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Orginalarbeit

Bienenvergiftung durch Wirkstoffabrieb von Saatgut­behandlungsmitteln während der Maisaussaat im Frühjahr 2008

Bee poisoning by abrasion of active substances from seed treatment of maize during seeding in spring 2008

Jens Pistorius1, Gabriela Bischoff 2 und Udo Heimbach1
Institut
Julius Kühn-Institut - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Braunschweig1
Julius Kühn-Institut - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Ökologische Chemie, Pflanzenanalytik und Vorratsschutz, Berlin-Dahlem2

Journal für Kulturpflanzen, 61 (1). S. 9–14, 2009, ISSN 0027-7479, DOI: 10.5073/JfK.2009.01.02, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dipl.-Agr. Biol. Jens Pistorius, Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Untersuchungsstelle für Bienenvergiftungen, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, E-Mail: jens.pistorius@jki.bund.de
Zur Veröffentlichung angenommen
Juli 2008

Zusammenfassung

Während der Maisaussaat im Frühjahr 2008 wurde in der Oberrheinebene und in Teilen von Bayern ein massives, großflächiges Auftreten von Bienenschäden mit eindeutigen Vergiftungssymptomen an Bienen beobachtet. Neben geringeren Schäden in einem Areal in Südbayern zeigten allein in der Oberrheinebene Baden-Württembergs mehr als 11500 Bienenvölker von etwa 700 Imkern Symptome einer Vergiftung durch Pflanzenschutzmittel.

Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den aufgetretenen Bienenschäden und einem Wirkstoffabrieb von behandelter Maissaat mit Freisetzung des Wirkstoffes Clothianidin (Saatgutbehandlungsmittel Poncho Pro) und einem Ausblasen in die Umwelt mit pneumatischen Sämaschinen während der Aussaat von Mais konnte mitt­lerweile zweifelsfrei nachgewiesen werden. Es stellte sich dabei heraus, dass einige der Mais-Saatgutpartien einen ungewöhnlich hohen mit dem Wirkstoff Clothianidin belasteten Staubanteil von bis zu etwa 40 g Staub je 50000 Korn aufwiesen. Die chemischen Analysen der Bienen- und Pflanzenproben belegen die durch den Wirkstoff Clothianidin von gebeiztem Maissaatgut stammende Vergiftung der Bienen.

Stichwörter: Mais, Clothianidin, Abrieb, Saatgutbehandlung, Bienensterben, Bienenvergiftung

Abstract

In spring 2008 high numbers of bee poisoning incidents were recorded during seeding of maize in the Oberrhein­ebene and in parts of south Bavaria. More than 11500 honey bee colonies from about 700 beekeepers in the Oberrheinebene showed symptoms of insecticide poisoning. The reason for the bee poisoning incidents was the abrasion from treated maize seeds treated with the insecticide Poncho Pro during the seeding process and release of this dust containing the active substance Clothianidin into the environment with pneumatic sowing machines. An exceptionally high amount of dust of up to 40 g per 50000 kernels of maize was detected in some of the maize seed batches. The chemical analysis of the bee and plant samples verified the poisoning by Clothianidin from seed-treated Maize seeds.

Key words: Maize, Clothianidin, abrasion, seed treatment, bee poisoning, bee losses

Einleitung

In der Oberrheinebene ist die höchste Bienendichte Deutschlands zu verzeichnen. Grund dafür ist vor allem das milde Klima, welches den Überwinterungserfolg und eine zügige Frühjahrsentwicklung der Bienenvölker fördert sowie hervorragende Trachtbedingungen in Frühjahrstrachten wie Raps und Obst bietet. Zudem sind, wenn überhaupt, meist nur geringe Wanderentfernungen zu attraktiven Folgetrachten wie Edelkastanie, Wald oder Weißtanne zurückzulegen.

Nach dem Winter 2007/2008 waren dort jedoch, hauptsächlich bedingt durch starken Varroabefall in 2007, überdurchschnittlich hohe Überwinterungsverluste von bis zu 40% der eingewinterten Völker zu beklagen.

Gerade während der wichtigen Frühjahrsentwicklung der Völker wurde dann im Frühjahr 2008 großflächig in der Oberrheinebene sowie in der Region um Passau in Bayern von starken Schäden an Bienenvölkern berichtet. Vor den Fluglöchern der Bienenvölker wurden täglich bis zu 1000 tote und verendende Bienen mit eindeutigen Vergiftungssymptomen, wie Krampfen, Desorientierung oder abnormales Flügelzittern, gefunden. Im Gegensatz zu Spritzschäden, bei denen die akute Schadwirkung meist auf einige Tage beschränkt ist, wurden akute Vergiftungserscheinungen und eine stark erhöhte Bienenmortalität über mehrere Wochen beobachtet.

Da die Schadfälle im Gegensatz zu bislang bekannten Fehlanwendungen von Pflanzenschutzmitteln einzelner Landwirte großflächig in der Oberrheinebene auftraten, konnte schnell ein zeitlicher und räumlicher Zusammenhang mit der Aussaat von Mais festgestellt werden. In den betroffenen Regionen wurde das Maissaatgut mit einer gegenüber der normalen Saatgutanwendung (max. 50 g AS Wirkstoff Clothianidin/ha) erhöhten Aufwandmenge (max. 125 g AS Wirkstoff/ha) behandelt, um den von der EU nach der Richtlinie 2000/29/EG als Quarantäneschaderreger eingestuften Westlicher Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera) zu bekämpfen. Der für Bienen hochtoxische Wirkstoff Clothianidin ist im Pflanzenschutzmittel Dantop zur Spritzanwendung als bienengefährlich eingestuft und darf nicht bei einer möglichen Exposition für Bienen ausgebracht werden. Bei Saatgutbehandlungen wurde bisher davon ausgegangen, dass die Bienen nicht direkt mit dem Wirkstoff in Kontakt kommen können und eine Gefährdung durch Exposition des systemisch verlagerten Wirkstoffs vom Samen in den Maispollen nur sehr gering ist.

Beim Sävorgang gelangten aber abgeriebene Beizmittelpartikel mit dem Abluftstrom von pneumatischen Einzelkorn-Sämaschinen auf blühende Bienenweidepflanzen in der näheren Umgebung der Maisäcker. Nektar und Pollen wurden so mit dem für Bienen stark toxischen Wirkstoff kontaminiert und schließlich von den Bienen gesammelt und in das Volk eingetragen.

Methoden und Ergebnisse

Probennahme, Dokumentation und Schadensberichte

Die Probennahme der an die Untersuchungsstelle für Bienenvergiftungen eingesandten Bienen- und Pflanzenproben sowie die Dokumentation der Ersterhebung der Schadensfälle und die Berichte zu den aufgetretenen Schadsymptome erfolgten durch die Imker selbst in Zusammenarbeit mit den Fachberatern für Bienenzucht der Länder, Sachverständigen der Imkervereine, den amtlichen Landwirtschaftsämter sowie den amtlichen Pflanzenschutzdiensten. Da während der Probennahme bei den Pflanzenproben die Schadensursache nicht klar war, ist die Dokumentation bei einem Teil der Proben unvollständig und die Interpretation der Daten nicht bei allen Proben möglich. Nach bekannt werden der Schadensfälle wurden noch nicht geöffnete Saatgutpartien im Handel aufgekauft, um sie auf ihren Staubanteil hin zu untersuchen.

Staubanteile in Saatgutpartien von Mais

Unbeschädigte Säcke mit Maissaatgut verschiedener Sorten und mit verschiedenen Insektizidbehandlungen wurden vorsichtig über einem 6 mm Lochsieb entleert und die Staubmengen der gesamten Sackinhalte nach Entfernung von Bruchkornstücken festgestellt. Es traten große Unterschiede zwischen den Herkünften auf mit Staubgehalten von knapp 2 g bis über 60 g (s. Abb. 2) umgerechnet auf eine Saatmenge von 80 000 Korn (etwa für 1 ha Fläche ausreichend). Ein besonders großer Anteil Staub fiel dabei auf kleine Blattreste, die sich je nach Sorte und Herkunft in unterschiedlichen Mengen an den Körnern befinden und sich wohl leicht lösen können (s. Abb. 1). Die gefundenen Staubmengen liegen in einer ähnlichen Größenordnung wie die aus Baden-Württemberg bekannten Werte (Glas und Heimbach, 2008).

Abb. 2. Staubmengen (je 80 000 Korn entsprechend etwa 1 ha Mais) aus verschiedenen Saatgutproben (ganze Säcke); Saatgutbehandlung, Sorten und Züchter je verschieden.

Abb. 2. Staubmengen (je 80 000 Korn entsprechend etwa 1 ha Mais) aus verschiedenen Saatgutproben (ganze Säcke); Saatgutbehandlung, Sorten und Züchter je verschieden.

Abb. 1. Staubabrieb je eines Saatgutsacks mit den gut sichtbaren Blattanteilen von zwei verschiedenen Saatgutpartien.

Abb. 1. Staubabrieb je eines Saatgutsacks mit den gut sichtbaren Blattanteilen von zwei verschiedenen Saatgutpartien.

Schadensberichte

Zu den während der Maisaussaat aufgetretenen Schadfällen wurden zwischen dem 30. April und dem 20. Juni 2008 105 Bienenproben, 52 Pflanzenproben und 46 sonstige Proben aus den Schadgebieten (Abb. 4 und Abb. 5) zur Analyse eingeschickt.

Abb. 4. Wirkstoffmengen in Bienen- und Pflanzenproben aus Baden-Württemberg.

Abb. 4. Wirkstoffmengen in Bienen- und Pflanzenproben aus Baden-Württemberg.

Abb. 5. Wirkstoffmengen in Bienen und Pflanzen im Südosten Bayerns.

Abb. 5. Wirkstoffmengen in Bienen und Pflanzen im Südosten Bayerns.

Einzelne Einsendungen mit Verdacht des Imkers auf Schadursache Beizmittelabrieb während der Maisaussaat sind auch aus anderen Bundesländern erfolgt. Aus Niedersachsen werden derzeit drei Einsendungen, eine aus Nordrhein-Westfalen und eine aus Sachsen analysiert. Diese sind in der Übersichtskarte (Abb. 3) bislang nicht dargestellt.

Abb. 3. Schadfallmeldungen aus Deutschland.

Abb. 3. Schadfallmeldungen aus Deutschland.

Der Schaden an den Völkern ist unterschiedliche stark ausprägt: Gut entwickelte Völker mit einem höheren Anteil an Flugbienen waren in der Regel aufgrund ihrer höheren Sammelleistung stärker betroffen als weniger gut entwickelte Völker des gleichen Bienenstandes. In einigen Fällen traten nach zwischenzeitlicher Normalisierung während und nach einer Schlechtwetterperiode erneute Vergiftungssymptome auf, da die adulten Bienen keine frische Nektar- und Pollentracht eintragen konnten und der in den Waben eingelagerte, kontaminierte Pollenvorrat konsumiert wurde.

Bei einigen Völkern sind nach Berichten der Imker auch Schäden an der Bienenbrut aufgetreten, zudem wurde von flugunfähigen Drohnen und mangelhaftem Königinnen-Begattungserfolg berichtet.

Die stark erhöhte Mortalität adulter Bienen führte zu einer rückläufigen Entwicklung der Bienenvölker- genau in der Zeit, in der normalerweise ein sehr rasches Wachstum stattfindet, sind die Völker stark geschrumpft. Eine Honigernte war von den meisten der geschädigten Völker nicht mehr zu erwarten, zudem waren die geschädigten Völker aggressiver und stechlustiger als nicht geschädigte. Totalverluste sind nur selten berichtet worden, jedoch mussten viele Völker zusammengelegt und vereinigt werden.

Biologische Untersuchungen

In der ersten Sichtung der eingesandten Bienenproben wurde ein geringer Anteil an Pollensammlern festgestellt. Die Untersuchung des Pollenspektrums aus dem Haarkleid der Bienen ergab, dass vielfältige Trachtpflanzen und keine ausschließliche Nutzung einer Massentracht wie Raps oder Obst vorlagen. Die Pollenanalysen zeigen einen hohen Anteil an Löwenzahn- und Ahorn-Pollen, deren Blühzeitpunkt gleichzeitig mit der Aussaatzeit von Mais in den Schadregionen lag.

In den Analysen auf Sporen von Nosema spp. wurden in 14 Bienenproben keine Sporen, in 10 Proben einzelne Sporen (<5), in 24 Fällen ein geringer Befall (5-10 Sporen), in 15 Fällen ein mittelstarker (10-30) und in 3 Fällen ein starker Befall der Bienen mit mehr als 30 Sporen festgestellt. Die Belastung der Bienen durch Nosema ist bei dem überwiegenden Teil der im Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (JKI) analysierten Proben nicht vorhanden oder so gering, dass aufgrund der Ergebnisse der biologischen Untersuchungen Nosema als Ursache bei diesen Schadfällen eindeutig ausgeschlossen werden kann.

Untersuchungen zu weiteren Bienenkrankheiten und Bienenviren (Untersuchungen des CVUA Freiburg (Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt), mündliche Auskunft Dr. Ritter) an betroffenen Bienenständen erbrachten ebenfalls keine Anzeichen auf einen Zusammenhang der Schäden mit Bienenkrankheiten.

In rund 88% der Proben konnte eine eindeutige Kontaktgiftwirkung in dem Bio-Test mit Larven der Gelbfieber-Mücke Aedes aegypti L. nachgewiesen werden.

Chemische Analysen

Die Bienen bzw. Pflanzen wurden eingewogen, mit zwei deuterierten Kontrollstandards, Aceton und Wasser versetzt, im Ultra Turrax homogenisiert und anschließend zentrifugiert. Die zentrifugierte Lösung wurde mit Natriumchloridlösung versetzt und auf eine CHEM ELUT-Säule gegeben. Nach einer Einwirkzeit wurde zweimal mit Dichlormethan eluiert. Anschließend wurde die organische Phase bis zur Trockne eingeengt und der Rückstand mit einer Lösung von acht deuterierten internen Standards in Acetonitril auf ein definiertes Volumen aufgefüllt. Die Identifizierung der Wirkstoffe in den Probenextrakten (Screening) erfolgt mit GC/MS [Trace DSQ II (Thermo Scientific)] und LC/MS/MS [API 4000 Q TRAP (Applied Biosystems MDS Sciex)] über einen Vergleich der in der Probe messbaren Substanzen mit den im Screening enthaltenen Wirkstoffen, deren Charakteristika in gerätespezifischen Bibliotheken niedergelegt sind. In der LC/MS/MS wird in einigen Fällen die Identität der Wirkstoffe durch drei charakteristische Massenübergänge (MRM) abgesichert. Im aktuellen Fall der Bienenvergiftungen wurden die vorliegenden chromatographischen Daten zunächst mit Blick auf Clothianidin, weitere Neonikotinoide und Methiocarb ausgewertet. Die Quantifizierung wurde in diesen Fällen mit LC/MS/MS durchgeführt. Die Auswertung erfolgte quantitativ nach der Methode des internen Standards unter Verwendung von Standardlösungen in Matrix. Bei der Matrix handelte es sich um Extrakte unbehandelter Proben (Bienen, Pflanzen), die in gleicher Weise gewonnen wurden wie die zu analysierenden Proben aus den Vergiftungsfällen. Diesen Extrakten wurden die zu quantifizierenden Wirkstoffe zugesetzt, um die Einflüsse der Matrix auf die chromatographische Messung zu kompensieren (Tab. 1).

Tab. 1. Wirkstoffanalysen Clothianidin

Symbolform Karte
Clothianidin (µg/kg)

Farbe

Bienen
Rund

Pflanzen
Eckig

n.n.

grün

4

5

<2

schwarz

2

8

2-10

gelb

26

13

10-100

blau

33

5

>100

rot

1

---

Anzahl insgesamt

66

31

n.n. = < 0,5 µg/kg für Clothianidin in Bienenmatrix
n.n. = < 0,3 µg/kg für Clothianidin in Pflanzenmatrix

Die Ergebnisse der Wirkstoffanalysen des JKI (Stand: 20.06.2008) sind in den Abb. 4 und Abb. 5 dargestellt. Einige Einsendungen aus Bayern und Baden-Württemberg sind bislang noch nicht ortsgenau abgebildet, da einige der Einsendungen über die Bienenzuchtberater oder Landwirtschaftsämter erfolgt sind und nicht immer genaue Ortsangaben vorliegen.

Da Maissaatgut zur Verhinderung von Vogelfraß in den meisten, aber nicht allen Saatgutchargen auch mit dem für Bienen wesentlich weniger toxischen Wirkstoff Methiocarb (Mittelname Mesurol) gebeizt wurde, war der Nachweis von Methiocarb (s. Tab. 2) ein weiterer Beleg für die Ursächlichkeit der Bienenschäden durch Wirkstoffabrieb von Maissaatgut; dieser Wirkstoff wird sonst im Ackerbau nicht genutzt.

Tab. 2. Wirkstoffanalysen Methiocarb

Methiocarb [µg/kg]

Anzahl Bienen

Anzahl Pflanzen

n.n. (<1 µg/kg)

44

19

<2

10

3

2-10

10

4

>10-100

2

5

>100

---

---

 

66

31

In allen Pflanzenproben mit einer Wirkstoffkonzentration von mehr als 10 µg Clothianidin/kg wurde auch Methiocarb nachgewiesen. Ein positiver Nachweis von Methiocarb wurde in 12 der analysierten Pflanzenproben erbracht. Maximalwerte bis zu 47,8 µg/kg Clothianidin und 43 µg/kg Methiocarb wurden in den Pflanzenproben nachgewiesen. In einer Probe mit Löwenzahnblüten, 200 Meter in Hauptwindrichtung eines Maisackers entfernt, wurde 1 µg Clothianidin /kg gemessen.

In 62 Bienenproben konnte Clothianidin (s. Tab. 1) nachgewiesen werden. Ein positiver Nachweis von Methiocarb gelang in 23 der analysierten Bienenproben. Die höchste gemessene Konzentration betrug 212 µg/kg Clothianidin, in 4 Proben wurde der Wirkstoff nicht nachgewiesen. In 2 dieser Proben konnte die Schadursache durch eine Vergiftung mit anderen Wirkstoffen eindeutig erklärt werde, in 2 Fällen steht das Ergebnis der Vollanalyse noch aus. Aus den bisher vorliegenden 15 Vollanalysen des JKI auf ein breites Wirkstoffspektrum wurden bislang keine Hinweise auf eine potentiell mögliche synergistische Wirkung zwischen Clothianidin und anderen Pflanzenschutzmittelwirkstoffen erhalten. Die bisher nur auf eine eingeschränkte Auswahl von Wirkstoffen analysierten übrigen Bienenproben werden derzeit weiter auf das Vorhandensein von mehreren hundert Wirkstoffen analysiert, um weitere Erkenntnisse zu anderen Schadursachen und möglichen Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen erhalten zu können.

Diskussion

Pflanzen

Der ursächliche Zusammenhang der Bienenvergiftung durch den Beizmittelabrieb des Wirkstoffs Clothianidin konnte durch die chemischen Analysen von vergifteten Bienen, Pflanzenproben, Frischpollen und Bienenbrot sowie verschiedenen Versuchsanstellungen zur Ermittlung des Wirkstoffabriebs, der Verfrachtung und der Wirkung auf Bienen zweifelsfrei nachgewiesen werden. Auch Greatti et al. (2006) fanden in Filtern vor dem Luftauslass der pneumatischen Sämaschinen nennenswerte Rückstände der Insektizide, mit denen das Maissaatgut behandelt worden war. Es wird vermutet, dass die Staubanteile in Saatgutsäcken nicht gleichmäßig auf die gesamte Fläche verteilt werden, sondern eventuell vor allem zu Beginn des Drillens, so dass es gerade in den Randbereichen zu besonders starken Belastungen von Beizmittelabrieb kommen kann.

Die Ergebnisse der chemischen Analysen belegen die bei der Maisaussaat aufgetretene Verdriftung von Abrieb der Saatgutbehandlung. Der Staubabrieb gelangte über die Luft auf Nektarien und Antheren der Pflanzen und wurde dann von den Bienen mit Nektar und Pollen gesammelt und in das Bienenvolk eingetragen. Trachtpflanzen in der näheren Umgebung von Maisäckern zeigten hohe Wirkstoffgehalte an Clothianidin und Methiocarb.

Die Größenordung der Messwerte des JKI wird durch die Analysen und eine Versuchsanstellung des LTZ Augustenberg (Landwirtschaftliches Technologiezentrum) bestätigt (Anonymus, 2008). Bis zu etwa 100 µg/kg wurden in gezielter Probennahme von Raps-, Obst- und Löwenzahnblüten aus direkter Nachbarschaft zu Maisäckern nachgewiesen. In einer Entfernung von 1 m zum Ackerrand wurden hier etwa 100 µg Clothianidin/kg Blattmasse, in 5 Metern Entfernung noch bis zu 70 µg/kg nachgewiesen. In einem am JKI durchgeführten Belaufstest mit Bienen auf Rapsblätter aus diesem Versuch wurde eine eindeutige Kontaktgiftwirkung des Staubbelags festgestellt, Verhaltensstörungen und eine erhöhte Mortalität wurden beobachtet.

Die Vergiftungsursache ist in den allermeisten Fällen eindeutig. Eine Giftwirkung über Fraßgiftwirkung oder orale Aufnahme beim Sammeln von Nektar und beim Verkleben des gesammelten Pollens mit Nektar zu Pollenhöschen und aus zusätzlicher Kontaktgiftwirkung über eine Einstäubung der Bienen durch Belauf von bestäubten Blütenoberflächen ist denkbar. Auch könnten vor allem Nektarsammler so toxische Konzentrationen aufgenommen haben, dass sie nicht zum Volk zurückkehren konnten. Als ausschließlich oraler Expositionsweg ist neben der Wirkstoffaufnahme über Nektar sowie dessen Weiterverarbeitung zu Honig, die Wasseraufnahme sowie die Weiterverarbeitung des mit Honig versetzten, frisch gesammelten Pollens zu Bienenbrot, welches in den Waben als Vorrat eingelagert wird, denkbar. Mittels Pollenfallen gewonnene Pollenproben unterschätzen die gemessene Kontamination um den Faktor 1,5-4,5 im Vergleich zu Pollen, der direkt aus den Blüten gewonnen wird (Bonmatin et al., 2001, 2002). So zeigen in der LTZ gemessene Bienenbrotproben Wirkstoffkonzentrationen bis zu 68,8 µg/kg Clothianidin.

Frischer Pollen wird nur in geringem Ausmaß direkt an die Brut verfüttert. (Babendreier et al., 2004; Rortais et al., 2005) Besonders die brutpflegenden Ammenbienen konsumieren sehr viel Pollen zur Produktion von proteinreichem Futtersaft, der dann als Nahrung für die Larven verfüttert wird (Haydak, 1943, 1968, 1970; Malone et al., 2002).

Da mehrere Pollenpakete von den einzelnen Bienen Schicht für Schicht nacheinander in einzelnen Zellen als Bienenbrot eingelagert werden, könnten besonders einzelne Schichten hohe Kontaminationen aufweisen. Aufgrund des hohen Sammelradius der Bienen ist davon auszugehen, dass die Verteilung der Kontamination in den Zellen der Waben eher heterogen als gleichmäßig ist und punktuell einzelne Pollenschichten mit sehr hohen Wirkstoffkonzentrationen belastet sein können. Bei schlechtem Wetter oder geringer Pollenverfügbarkeit wird das Bienenbrot von den Bienen konsumiert. So können auch die nach längeren Phasen erneut aufgetretene erhöhte Mortalität sowie die Brutschäden durch Fütterung der Larven mit kontaminiertem Pollen erklärt werden. Da ein Ende der Schadwirkung durch den Pollenvorrat nicht absehbar war, wurde als Konsequenz in den betroffenen Gebieten eine aufwendige Sanierung der Völker mit Entfernung aller pollenhaltigen Waben durchgeführt.

Um den genauen Schadensumfang zu beziffern und zu ermitteln, wurden die Schadensmeldungen in Zusammenarbeit zwischen Imkern und Bienensachverständigen bei den Veterinärämtern der Landratsämter erfasst. Die Herstellerfirma des Beizmittels Clothianidin und andere sind bereit, im Rahmen einer Freiwilligkeitsleistung Entschädigungen für Imker zur Verfügung zu stellen. Um betroffenen Imkern kurzfristig zu helfen, können bei der Landesregierung in Baden-Württemberg zinslose Darlehen in Anspruch genommen werden, bis die Regresspflichten abschließend geklärt sind.

Über das genaue Ausmaß des finanziellen Schadens, der den Imkern entstanden ist, wird derzeit noch diskutiert.

Babendreier, D., N. Kalberer, J. Romeis, P. Fluri, F. Bigler, 2004: Pollen consumption in honey beelarvae: a step forward in the risk assessment of transgenic plants. Apidologie 35, 293-300.

Bonmatin, J.M., E. Bengsch, I. Moineau, S. Lecoublet, M.E. Colin, 2001: Analyse de l’imidaclopride dans les pollens. rapport CNRS n° 10 remis au Ministère de l’Agriculture et de la Pêche, Paris.

Bonmatin, J.M., R. Charvet, E. Bengsch, M.E. Colin, 2002: Analyses d’imidaclopride dans les pollens de maïs. rapport CNRS n° 14 remis au Ministère de l’Agriculture et de la Pêche, Paris.

Crailsheim, K., L.H.W. Schneider, N. Hrassnigg, G. Bühlmann, U. Brosch., R. Gmeinbauer, B. Schöffmann, 1992: Pollen consumption and utilization in worker honeybees (Apis mellifera carnica): dependence on individual age and function. J. Insect. Physiol. 38, 409-419.

Glas, M., U. Heimbach, 2008: Vortrag Untersuchungen Abrieb Beizmittelstaub. Online im Internet: URL: http://www.mlr.baden-wuerttemberg.de/mlr/allgemein/GGTSPU-styx.bba.de-3487-4221235-DAT/UntersuchungenBeizmittelstaub.pdf (Stand 2008-07-05)

Greatti M., R. Barbattini, A. Stravisi, A.-G. Sabatini, S. Rossi, 2006: Presence of the a.i. imidacloprid on vegetation near corn fields sown with Gaucho® dressed seeds. Bulletin of Insectology 59 (2), 99-103.

Hänel, R., J. Siebers, 1998: Leitlinie: Rückstandsanalysenmethoden für die Überwachung. Berichte aus der Biol. Bundesanst. Land- und Forstwirtsch., H. 43.

Haydak, M.H., 1943: Larval food and development of castes in the honeybee. J. Econ. Entomol. 36, 778-790.

Haydak, M.H., 1968: Nutrition des larves d’abeilles. In: Chauvin, R. (Ed.): Traité de biologie de l’abeille. Paris, Masson et Cie, Vol. 1, pp. 302-333.

Haydak, M.H., 1970: Honey bee nutrition, Annu. Rev. Entomol. 15, 143-156.

Malone, L.A., E.L. Tregidga, J.H. Todd, E.P.J. Burgess, B.A. Philip, N.P. Markwick, J. Poulton, J.T. Christeller, M.T Lester, H.S. Gatehouse, 2002: Effects of ingestion of a biotin-binding protein on adult and larval honey bees. Apidologie 33, 447-458.

Rortais, A., G. Arnold, M.-P. Halm, F. Touffet-Briens, 2005: Modes of honeybees exposure to systemic insecticides: estimated amounts of contaminated pollen and nectar consumed by different categories of bees. Apidologie 36, 71-83.


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