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Originalarbeit

Untersuchungen zur Populationsökologie und Populations­kontrolle des Gemeinen Ohrwurms Forficula auricularia (Linnaeus) in pfälzischen Rebanlagen

Investigations on the population ecology and the population control of the Common earwig Forficula auricularia (Linnaeus) in vineyards of the Palatinate

Claudia Huth1, Karl-Josef Schirra1, Alfred Seitz2 und Friedrich Louis1
Institut
Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, State Education and Research Center of Viticulture and Horticulture, Neustadt an der Weinstraße, Germany1
Johannes Gutenberg-Universität, Johannes Gutenberg University, Mainz, Germany2

Journal für Kulturpflanzen, 61 (8). S. 265–277, 2009, ISSN 0027-7479, DOI: 10.5073/JfK.2009.08.01, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Claudia Huth, Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, Abteilung Phytomedizin, Breitenweg 71, 67435 Neustadt an der Weinstraße, Germany, E-Mail: claudia.huth@dlr.rlp.de
Zur Veröffentlichung angenommen
Juni 2009

Zusammenfassung

Der Gemeine Ohrwurm Forficula auricularia (Linnaeus) wurde bisher im Weinbau als natürlicher Gegenspieler verschiedener Rebschädlinge zu den Nützlingen gezählt. Etwa seit 2005 verursacht er aufgrund stark ansteigender Individuenzahlen verbreitet Schäden in pfälzischen Rebanlagen. Zu den Primärschäden zählen das An- und Ausfressen von faulen und vorgeschädigten Beeren, starke Kot­ablagerungen im Stielgerüst sowie die Übertragung von Pathogenen. Ein möglicher negativer Einfluss des in Stresssituationen aus der Abdominaldrüse ausgestoßenen und auch im Kot vorhandenen benzochinonhaltigen Abwehrsekretes auf die Weinqualität wird zurzeit analysiert. Sekundär können die hohen Individuendichten von Ohrwürmern am gesamten Rebstock die Pflege- und Erntemaßnahmen stören. Diese Schäden führen beim Erzeuger zu einer Qualitätsminderung des Weines. Beim Verbraucher verursachen die hohen Individuenansammlungen in den geernteten Trauben einen negativen Eindruck.

Aufgrund der beschriebenen Problematik wurde im Mai 2007 ein durch den Forschungsring des Deutschen Weinbaus (FDW) finanziertes Forschungsprojekt am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz in Neustadt an der Weinstraße begonnen. Bis 2010 sollen offene Fragen zur Populationsökologie und Populationsbiologie des Gemeinen Ohrwurms in Rebanlagen geklärt und Strategien zu seiner Befallsregulierung entwickelt werden. Primäres Ziel der Arbeit ist es, die lagenweise hohen Populationsdichten auf ein für die weinbauliche Praxis akzeptables Maß zu reduzieren. Ein weiterer wichtiger Projektpunkt war die Aufklärung des Entwicklungszyklus von F. auricularia speziell in Rebanlagen.

Am Rebstamm wurden die Individuen mit einer speziell entwickelten Lebendfalle aus Bambusröhren erfasst, die in Vortests die höchste Fangeffektivität von 4 Fallentypen erreichte. Die auf der Bodenoberfläche aktiven Ohrwürmer wurden mit Barberfallen aufgenommen.

Stichwörter: Forficula auricularia, Gemeiner Ohrwurm, Schädling, Bambusfalle, Lebenszyklus, Populationsöko­logie, Populationskontrolle, SpinTor

Abstract

The Common earwig has been classified as a beneficial predator in vineyards. Amongst others the insect feeds on grape pests like different tortricids. In recent years within many regions of the viticultural area of the Palatinate the individual densities increased to an extremely high level. Earwigs may cause direct damages such as contamination of the grapes with faeces, eroded berries and transfer of pathogens. The chemical agent 2-methyl-1,4-benzoquinone, released from the abdominal glands while earwigs are menaced and likewise contained in faeces, may have a negative influence on the wine quality. All these facts constitute a quality downslide by winegrowers. The high number of earwigs in the grapes after harvesting causes a negative image by consumers.

This study was carried out to investigate possible relations between the population dynamics of earwigs and specific environmental conditions in vineyards. The main focus of the research project is to test chemical, ecological and biological strategies to reduce the population densities. Another important point of survey was to study the life cycle of earwigs especially in vineyards.

For sampling purposes in the trunk zone a special life trap out of bamboo tubes has been developed. This type of trap showed the highest catch rate of the four trapping types tested. For the monitoring of ground dwelling earwigs pitfall traps were used.

Key words: Forficula auricularia, Common earwig, pest, bamboo tube, life cycle, population ecology, population control, SpinTor

Einleitung

Der Gemeine Ohrwurm ist kosmopolitisch verbreitet (Steinmann, 1993). Das omnivore Insekt hat ein breites Nahrungsspektrum an tierischen und pflanzlichen Komponenten. Speziell im Obst- und Weinbau wird kontrovers über die Einstufung als nützlicher Räuber oder Schädling diskutiert. Im Obstbau überwiegt bis heute die Einstufung als Nützling. In Apfelplantagen vertilgt F. auricularia große Mengen der Apfelblutlaus Eriosoma lanigerum (Hausmann) und der Grünen Apfelblattlaus Aphis pomi (DeGeer) sowie Eier der Kommaschildlaus Lepidosaphes ulmi (Linnaeus) und des Apfelwicklers Cydia pomonella (Linnaeus) (Chant und McLeod, 1952; Asgari, 1966; Glen, 1975). Dennoch treten bei hohen Individuendichten und geringer Verfügbarkeit von alternativen Nahrungsressourcen auch durch den Ohrwurm verursachte Schäden an Früchten auf (Phillips, 1981). Beispielsweise frisst F. auricularia Apfelfruchtfleisch, nachdem andere Insekten und Vögel die Fruchthaut verletzt haben (Fox-Wilson, 1942). Das Insekt frisst auch an unverletzten Äpfeln und Ernterückständen (Phillips, 1981). Im Weinbau zählt der Gemeine Ohrwurm zu den natürlichen Antagonisten von Larven und Puppen bestimmter Schadschmetterlinge, wie z. B. dem Bekreuzten Traubenwickler Lobesia botrana (Denis und Schiffermüller), dem Einbindigen Traubenwickler Eupoecilia ambiguella (Hübner) sowie dem Springwurmwickler Sparganothis pilleriana (Denis und Schiffermüller) (Schirra und Louis, 1995; Mohr, 2005). Die Einstufung als Nützling im Weinbau wurde bereits 2005 kritisch gesehen, weil die Massenansammlungen in den Trauben hauptsächlich vor der Weinlese als sehr störend betrachtet wurden (Mohr, 2005). Seit einigen Jahren wird insbesondere aus den Weinanbaugebieten Rheinhessen, Baden-Württemberg und vor allem aus der Pfalz ein Populationsanstieg von F. auricularia mit entsprechenden Schäden beobachtet. Die Primär- und Sekundärschäden am Rebstock sind in Abb. 1 dargestellt. Ein großes Problem ist die starke Traubenverkotung im Stielgerüst und zwischen den Beeren (Abb. 1a bis 1d). Das im Kot vorhandene Abwehrse­kret 2-Methyl-1,4-Benzochinon führt möglicherweise in hohen Konzentrationen zu Fehltönen im Wein. Bei feuchtem Mikroklima verpilzen die Ausscheidungen (Abb. 1e). Im weiteren Verlauf breiten sich die Pathogene auf gesunde Beeren aus. Umfangreiche Kotmengen in Trauben oder auf Rebblättern (Abb. 1g) locken Dipterenarten an, welche die Ausscheidungen als Eiablagemedium nutzen. Als weiteres Schadbild tritt massiver Ohrwurmfraß an bereits verletzten Beeren auf (Abb. 1f). Durch die maschinelle Traubenlese geraten enorme Mengen von Ohrwürmern ins Lesegut (Abb. 1h), was einen negativen Qualitätseindruck bei Winzern und Touristen hinterlässt. Das von den Tieren unter Stress abgegebene Abwehrsekret gelangt in den Most. Die Substanz hat einen rauchigen Geruch und schmeckt nach Desinfektionsmittel. Derzeit laufen Untersuchungen, inwieweit hierdurch Geschmacks- und Geruchsfehltöne im Wein verursacht werden.

Abb. 1. Schadbilder von F. auricularia im Rebstock: Starke Traubenverkotung in Riesling-Trauben durch Adulttiere (a - d), verpilzter Kot auf Riesling-Beeren (e), ausgefressene und verkotete Riesling-Beeren (f), stark verkotetes Rebblatt unter einer stark befallenen Pinotin-Traube (g) und adulte Ohrwürmer im Riesling-Lesegut (h), Neustadt an der Weinstraße 2007, Photos: C. Huth.

Abb. 1. Schadbilder von F. auricularia im Rebstock: Starke Traubenverkotung in Riesling-Trauben durch Adulttiere (a - d), verpilzter Kot auf Riesling-Beeren (e), ausgefressene und verkotete Riesling-Beeren (f), stark verkotetes Rebblatt unter einer stark befallenen Pinotin-Traube (g) und adulte Ohrwürmer im Riesling-Lesegut (h), Neustadt an der Weinstraße 2007, Photos: C. Huth.

Aufgrund dieser Problematik wurde im Mai 2007 am Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz in Neustadt an der Weinstraße ein Forschungsprojekt begonnen, das durch den Forschungsring des Deutschen Weinbaus finanziert wird. Bis 2010 sollen offene Fragen zur Populationsökologie und Populationsbiologie des Gemeinen Ohrwurms in Rebanlagen geklärt und Strategien zu seiner Befallsregulierung in Rebanlagen entwickelt werden. Ein weiterer wichtiger Projektpunkt war die Aufklärung des Entwicklungszyklus von F. auricularia speziell in Rebanlagen. Durch bereits in den 70iger Jahren durchgeführte Freilandstudien von Lamb (1975) wurde der Gemeine Ohrwurm als ortstreues Insekt eingestuft. Trotzdem war aufgrund fehlender Freilanduntersuchungen in Rebanlagen bisher nicht bekannt, ob die Ohrwürmer zur Überwinterung und Eiablage die Weinberge verlassen und in die Randbereiche abwandern.

Material und Methoden

Zur Erfassung der Ohrwürmer in der Laubwand des Rebstockes wurden in einem Freilandversuch im Mai 2007 verschiedene Fallentypen auf ihre Fangeffektivität (prozentualer Individuenanteil pro Fallentyp) getestet: Tontöpfe gefüllt mit Stroh, Wellpapperöhren gefüllt mit Holzwolle, zwei Eierpappen gefüllt mit Holzwolle und ein Bündel aus drei hohlen Bambusröhren. Die speziell entwickelte Bambusfalle (Abb. 2a und 2b) hatte im Vergleich zu den anderen getesteten Fangsystemen die höchste Fangeffektivität und fing signifikant mehr Individuen pro Fangintervall (Student-t-Test: α = 0.05).

Abb. 2. Bambusfalle zur Erfassung von F. auricularia am Rebstock: Fallenaufbau mit Wochenfang von 192 Individuen (a), Aggregationsverhalten von etwa 200 Individuen in einer Bambusröhre (b), Fallenstandort mit Boden- und Bambusfalle an einem Riesling-Stock (c), Photos: C. Huth.

Abb. 2. Bambusfalle zur Erfassung von F. auricularia am Rebstock: Fallenaufbau mit Wochenfang von 192 Individuen (a), Aggregationsverhalten von etwa 200 Individuen in einer Bambusröhre (b), Fallenstandort mit Boden- und Bambusfalle an einem Riesling-Stock (c), Photos: C. Huth.

Die Bambusfalle besteht aus drei mit Draht verbundenen und ca. 20 cm langen Bambusröhren, die jeweils einen Innendurchmesser von durchschnittlich 1 cm haben. Die Röhren haben eine Öffnung, die nach vertikaler Montage am Rebstamm nach unten zeigt. Der Hohlraum der Röhren ist so vor Lichteinfall und Regen geschützt und kann von den Tieren als optimales Tagesrefugium genutzt werden. Die sehr agilen Ohrwürmer können während der Fallendemontage nicht entkommen und fallen aus der unteren Öffnung direkt in den Fangbeutel. Hinsichtlich des Handlings und Zeitaufwandes haben die Bambusfallen große Vorteile gegenüber den anderen getesteten Fangsystemen: Schnelle Montage, einfache Säuberung, dauerhafter Einsatz und gute Wetterbeständigkeit.

Um zu überprüfen, welchen Individuenanteil die Bambusfalle von der Gesamtindividuenzahl des Rebstockes erfasst, wurden 2007 und 2008 Versuche in einer Riesling-Anlage durchgeführt. Dazu wurden von den mit Bambusfallen besetzten Rebstöcken alle Trauben abgeschnitten und deren Ohrwurmbefall bestimmt. Die Gesamtindividuenzahl in allen Trauben eines Rebstockes wurde prozentual mit der Individuenzahl verrechnet, die am gleichen Rebstock mit der Bambusfalle gefangen wurden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Bambusfallen 50 bis 80% aller Individuen erfassten, die sich in der Traubenzone der Laubwand aufhielten. Durch dieses Ergebnis wurde sichergestellt, dass sich der Einsatz von Bambusfallen zur Beurteilung der relativen Populationsdichte am Rebstock eignet.

Die am Boden aktiven Ohrwürmer wurden mit Bodenfallen nach Barber (1931) aufgenommen. Aufgrund dieser Ergebnisse wurden die Bambusfallen zusammen mit den Barberfallen seit 2007 zur Individuenerfassung in allen Versuchsanlagen eingesetzt (Abb. 2c). Beide Fallentypen wurden an ausgewählten Rebstöcken paarweise in Transekten in der Versuchsfläche angeordnet. Innerhalb eines Transektes wurden jeweils mindestens vier Barberfallen und vier Bambusfallen montiert. Die Fallenstandorte wurden in gleichem Abstand zueinander gewählt. In den Versuchsanlagen zur Befallsregulation wurden innerhalb jeder Stickellänge des Transektes eine Boden- und eine Bambusfalle installiert, um die Stichprobengröße und damit die statistische Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen. Eine Stickellänge ist der Abstand zwischen 2 Unterstützungspfählen, in dem 4 bis 5 Rebstöcke angepflanzt sind. 2008 wurden insgesamt in allen Versuchsflächen regelmäßig 500 Boden- und 500 Bambusfallen zur Erfassung der relativen Individuenabundanzen eingesetzt. Das Fangintervall betrug sieben Tage. Die Fallen wurden in vierzehntägigem Rhythmus installiert.

Die erfassten Ohrwürmer wurden im Labor durch Einfrieren in den Bambusfallen abgetötet, gezählt und das Geschlechterverhältnis ermittelt. Das Einfrieren der Insekten in den Fallen erfolgte bei einer Temperatur von -38°C und einer Gefrierdauer von mindestens 6 Stunden. Eine im Vorfeld getestete Temperatur von -18°C und ein kürzerer Gefrierzeitraum reichten nicht aus, um die Ohrwürmer in den Bambusröhren zuverlässig abzutöten. Die Individuen wurden nach Juvenil- und Adultstadien getrennt und anhand der Bestimmungsliteratur von Steinmann (1993) auf Artniveau bestimmt. Obwohl im bisherigen Versuchszeitraum permanent Individuen aus den Untersuchungsflächen aufgenommen wurden, konnte aufgrund der extrem hohen Populationsdichten bisher kein Wegfangeffekt festgestellt werden.

Zusätzlich zu den Fallenfangmethoden wurden Trauben visuell ausgewertet, um einen möglichen Zusammenhang zwischen den Traubenbefallsdichten von F. auricularia und morphologischen Traubeneigenschaften (Locker- und Dichtbeerigkeit, Traubengewicht, in die Trauben eingewachsene Rebblätter) sowie dem Gesundheitszustand der Trauben (Anteil verfaulter/vertrockneter Beeren) zu überprüfen.

Zur Aufklärung der Überwinterungs- und Entwicklungsbiologie von F. auricularia wurde von Dezember 2007 bis Mai 2008 in einer Versuchsanlage in Neustadt an der Weinstraße eine umfassende Nestkartierung mit insgesamt 300 Stichproben durchgeführt. Pro Stichprobe wurde der Boden in einem Umfang von 50x50x50 cm mit einem Spaten ausgehoben und auf vorhandene Forficula-Nester untersucht. An jedem Grabungsort wurden die Vegetationsdeckung, die Arten und Morphen der Pflanzenwurzeln, die Bodenbeschaffenheit, der Bodentyp, die Nesttiefe, die Ei- und die Larvenanzahl pro Nest sowie die Zahl der überwinternden Weibchen und Männchen am Grabungsort bestimmt.

Um den unmittelbaren Einfluss biotischer und abiotischer Umweltfaktoren auf die Populationsentwicklung und die Individuendichte von F. auricularia zu überprüfen, wurden 2007 6 Rebanlagen in den Gemarkungen Neustadt, Leistadt und Kallstadt als Dauermonitoring-Flächen ausgewählt. 2008 wurden 5 weitere Rebanlagen in die Untersuchungen einbezogen. Ausgewertet wurden die Parameter Rebsorte, Mikroklima, Bodentyp, Bewirtschaftungsform und Begrünungsart. Die mikroklimatischen Lufttemperatur- und Luftfeuchtigkeitsmessungen wurden permanent mit HOBO®Prov2-Datenloggern erfasst. Die Vegetationsdeckung der Weinbergflora wurde unter Verwendung der Abundanz-Deckungsskala nach Braun-Blanquet (1964) im Juni bestimmt. Alle weiteren Flächenparameter waren bereits im Vorfeld der Untersuchungen bekannt und wurden für die statistischen Auswertungen quantifiziert.

Die Laborversuche zum Übertragungspotential von Pathogenen durch Ohrwürmer werden in Zusammenarbeit mit der DLR-Arbeitsgruppe Mykologie durchgeführt und sind noch nicht abgeschlossen. Potenzielle sensorische und geschmackliche Fehltöne im Wein, verursacht durch das Ohrwurm-Abwehrsekret 2-Methyl-1,4-Benzochinon, werden zurzeit in der DLR-Arbeitsgruppe Analytik in definiert kontaminierten Weinen untersucht.

Die statistische Auswertung vorliegender Daten erfolgte mit univariaten Verfahren wie parametrischen Tests und Varianzanalysen sowie multivariaten Analyseverfahren wie der Cluster- und Redundanzanalyse. Diese Teststatistiken sind in den Programmen XLSTAT Version 2007.8.01, PC-Ord Version 4.25 und Canoco for Windows Version 4.5 integriert.

Ergebnisse und Diskussion

Entwicklungszyklus

Durch die im bisherigen Projektverlauf vollständig aufgeklärte Überwinterungs- und Entwicklungsbiologie von F. auricularia in pfälzischen Rebanlagen wurden wichtige Erkenntnisse für die Befallsregulierung des Ohrwurms im Boden- und Laubwandbereich gewonnen.

In Abb. 3 ist der univoltine (eine Generation pro Jahr) Entwicklungszyklus des Gemeinen Ohrwurms in Rebanlagen schematisch dargestellt. Phänologisch folgt auf eine im Oberboden verlaufende Überwinterungs- und Entwicklungsphase eine im Laubwandbereich ablaufende Aktivitäts- und Fortpflanzungsphase.

Abb. 3. Entwicklungszyklus von F. auricularia in Rebanlagen der Pfalz. Zeichnungen der Larven- und Adultstadien entnommen aus Kulzer (1996).

Abb. 3. Entwicklungszyklus von F. auricularia in Rebanlagen der Pfalz. Zeichnungen der Larven- und Adultstadien entnommen aus Kulzer (1996).

Überwinterungs- und Entwicklungsphase. Die Überwinterungs- und die Entwicklungsphase bis ins dritte Larvenstadium (L3) laufen unterirdisch im gesamten Oberbodenbereich der Rebanlagen ab. F. auricularia zählt zu den ortstreuen Insekten (Lamb, 1975) und überwintert in dem Gebiet, in welchem während der Vegetationsperiode Nahrungs- und Raumressourcen genutzt wurden. Ende September wandern die Ohrwürmer in den Oberboden ab. Wie eine Laborzucht und Halbfreilandversuche gezeigt haben, beginnen die Weibchen bereits im Oktober mit dem Nestbau. Das Nest wird ausschließlich vom Weibchen gebaut und kann, wie auch schon Lamb (1976) feststellte, vielfältige Formen annehmen, wie z. B. eine einfache Röhre (Abb. 5a) oder Kammer (Abb. 5b) mit einem Eingang oder ein Tunnel- und Kammerlabyrinth mit vielen Eingängen. Die Eiablage (Abb. 5b) von bis zu 60 Eiern pro Weibchen erfolgte unter Labor- und Freilandbedingungen synchron Mitte November. Im Freiland betrug die durchschnittliche Nesttiefe 4 bis 7 cm. Selten wurden Nesttiefen von 20 cm ermittelt. Das Weibchen überwintert im Nest und betreibt dabei eine aktive Brutpflege (Lamb, 1975). Die Eier werden vom Weibchen ständig mit den Mundwerkzeugen gedreht, durch konstantes Belecken gereinigt und beschädigte Eier werden aufgefressen, um eine Verpilzung des Geleges zu verhindern (Lamb, 1976). Wurde das Weibchen aus dem Zuchtbehälter entfernt, verpilzten die Eier schon nach 12 Stunden und starben ab. Ohrwürmer werden aufgrund ihres Brutverhaltens von Michener (1969) in die Gruppe der subsozialen Insekten eingeordnet. Solche Insekten betreiben zwar Brutpflege, diese ist aber nicht kooperativ, da sich nicht mehrere Individuen an der Pflege beteiligen. Mitte April schlüpfen im Nest die L1-Larven (Abb. 5c). Je nach der Bodentemperatur häuten sie sich nach ca. 2 Wochen zu L2-Larven (Abb. 5d). Das Weibchen pflegt das gesamte L1-Stadium und das L2-Stadium über die ersten Tage (Lamb, 1976). Brutpflegeverhaltensweisen, wie z. B. das Schutzverhalten, werden vom Eistadium in das Larvenstadium weitergeführt. Bei der Larvenpflege kommt die Bereitstellung von Futter bis ins zweite Larvenstadium als neue Verhaltensweise des Weibchens hinzu (Lamb, 1976). Anfang Mai häuten sich die L2-Larven zu L3-Larven, die anschließend das Nest verlassen und eigenständig nach Futter suchen (Lamb, 1976). Als L4-Larven wandern die Tiere Ende Mai (22.05.2007) oder Anfang Juni (02.06.2008) in die Traubenzone des Rebstockes auf. Der Gemeine Ohrwurm durchläuft eine hemimetabole Entwicklung ohne Puppenstadium. Die Larvalentwicklung ist stark temperaturabhängig und dauert im Labor bei 18°C ca. 60 Tage. Die Art bildet in Deutschland eine Generation pro Jahr. Die Männchen sterben während der Winter- und Frühjahrsmonate. Bereits vor der Eiablage werden sie aggressiv vom Weibchen durch frontale Stöße oder seitliche Attacken mit den Zangen vom Nest vertrieben. Dieses Verhalten wurde auch schon in früheren Laborstudien unter anderem von Goe (1925), Worthington (1926) und Lamb (1976) beschrieben.

Abb. 5. Brutbiologie von F. auricularia im Oberbodenbereich einer Versuchsanlage in Neustadt an der Weinstraße, Dezember 2007 bis April 2008: Weibchen beim Anlegen der Brutröhre (a), Brutpflege des Weibchens in Brutkammer (b), Weibchen bei der Pflege des L1-Stadiums in Brutkammer (c), Weibchen mit L2-Larven im Oberboden (d), Pfahlwurzeln der Ackerwinde (Convolvulus arvensis L.) links und des Gemeinen Löwenzahns (Taraxacum officinale Wiggers) rechts (e) und Gelege an Taraxacum-Wurzeln (f - g), Photos: U. Hetterling, C. Huth.

Abb. 5. Brutbiologie von F. auricularia im Oberbodenbereich einer Versuchsanlage in Neustadt an der Weinstraße, Dezember 2007 bis April 2008: Weibchen beim Anlegen der Brutröhre (a), Brutpflege des Weibchens in Brutkammer (b), Weibchen bei der Pflege des L1-Stadiums in Brutkammer (c), Weibchen mit L2-Larven im Oberboden (d), Pfahlwurzeln der Ackerwinde (Convolvulus arvensis L.) links und des Gemeinen Löwenzahns (Taraxacum officinale Wiggers) rechts (e) und Gelege an Taraxacum-Wurzeln (f - g), Photos: U. Hetterling, C. Huth.

Aktivitäts- und Fortpflanzungsphase. Während der Aktivitäts- und Fortpflanzungsphase von Anfang Juni bis Mitte September hält sich F. auricularia in verschiedenen Tagesrückzugshabitaten in den Rebanlagen auf: Im Trauben­inneren (Abb. 4a), auf lichtgeschützten Rebblattunterseiten (Abb. 4b), in Lückensystemen zwischen Erziehungseinrichtung und Rebstock (Abb. 4c), in Refugien zwischen zusammenstoßenden Rebtrieben (Abb. 4d), in Innenwinkeln von Metallstickeln (Abb. 4e) und in Engstellen zwischen Rebblättern und Metallstickeln (Abb. 4f). Bei hohen Populationsdichten entstehen von Juni bis September die bereits in der Einleitung ausführlich beschriebenen Schäden. Bei der Auswahl geeigneter Tagesrefugien spielen Verhaltensreflexe, die Verfügbarkeit artspezifischer Raum- und Nahrungsressourcen, arttypische Klimabedingungen sowie der Schutz vor Prädatoren eine wichtige Rolle (Weyrauch, 1929; Lamb, 1975). F. auricularia ist dämmerungs- und nachtaktiv und ausgesprochen lichtscheu (Weyrauch, 1929). Deshalb sucht das Insekt tagsüber die in Abb. 4 vorgestellten lichtgeschützten Habitate auf. Die Bildung von Aggregationsverbänden in diesen Tagesverstecken ist unter anderem auf den Kontaktsinn (Thigmotaxis) zurückzuführen. Er führt dazu, dass Ohrwürmer den direkten Kontakt mit der Habitatumgebung und mit den Artgenossen suchen (Weyrauch, 1929). Aufgrund dieser Verhaltensweise besiedelt F. auricularia engräumige Habitate mit hoher Raumheterogenität und wird deshalb als Lückensystembewohner eingestuft. Das Aggregationsverhalten ist eine sinnvolle Taktik für die Selektion von Verstecken (Lamb, 1975). Ein großer Aggregationsverband signalisiert Zuwanderern, dass das Versteck seit mehreren Tagen gute Nahrungsressourcen im Umfeld bietet (Lamb, 1975). Da F. auricularia omnivor ist (Dettner und Peters, 1999) findet das Insekt zahlreiche Nahrungsressourcen im Traubenzonen- bzw. Laubwandbereich vor: Eier, Larven und Puppen von Traubenwicklern und Springwurmwicklern, Blattläuse, Beerensaft und -fruchtfleisch, Pilzrasen von Botrytis cinerea und Penicillium-Arten, abgestorbenes organisches Material und Pollen (Dettner und Peters, 1999; Mohr, 2005). Der Rebblütenpollen ist eine der ersten attraktiven Nahrungsquellen am Rebstock, die vom Boden aufwandernde L4-Larven Ende Mai (22.05.2007) oder Anfang Juni (02.06.2008) in der Laubwand finden. Nach den Freilanduntersuchungen von Lamb (1975) war die Nahrungsverfügbarkeit um das Tagesrefugium die begrenzende Ressource und nicht wie im Vorfeld angenommen die Raumverfügbarkeit. Unter bestimmten Bedingungen hätten die angelegten Tagesrefugien nämlich noch viel mehr Ohrwürmer beherbergen können. Tagesruheplätze, wie beispielsweise das Traubeninnere oder eingerollte Rebblätter, bieten den Ohrwürmern auch Schutz vor insektenfressenden Singvögeln wie Staren (Sturnus vulgaris). Des Weiteren bieten die in Abb. 4 aufgeführten lichtgeschützten Refugien optimale Temperatur- und Luftfeuchtebedingungen. In diesen Verstecken werden keine artfeindlichen Temperaturen von über 38 bis 39°C und keine artschädlichen Luftfeuchten von über 90% erreicht (Van Heerdt, 1946; Lamb, 1975). Der Aufwanderungszeitpunkt hängt von den Frühjahrstemperaturen im April und Mai sowie dem Rebblütebeginn ab. Keinen Einfluss auf den Aufwanderungszeitpunkt haben die Rebsorte, die Begrünung, der Bodentyp und die Bewirtschaftungsmethode. In der Laubwand erfolgt die Häutung zum adulten Insekt, die Ende Juni abgeschlossen ist. Anfang August beginnt die Paarungsphase, die bis zur Abwanderung der Ohrwürmer Mitte September andauert.

Abb. 4. Tagesrückzugshabitate von F. auricularia in Rebanlagen von Juni bis September 2007 in Neustadt an der Weinstraße: Traubeninneres (a), lichtgeschützte Rebblattunterseite (b), Lückensysteme zwischen Erziehungseinrichtung und Rebstock (c), Refugien zwischen zusammenstoßenden Rebtrieben (d), Innenwinkel von Metallstickeln (e) und an Metallstickel anliegende Rebblätter (f), Photos: C. Huth.

Abb. 4. Tagesrückzugshabitate von F. auricularia in Rebanlagen von Juni bis September 2007 in Neustadt an der Weinstraße: Traubeninneres (a), lichtgeschützte Rebblattunterseite (b), Lückensysteme zwischen Erziehungseinrichtung und Rebstock (c), Refugien zwischen zusammenstoßenden Rebtrieben (d), Innenwinkel von Metallstickeln (e) und an Metallstickel anliegende Rebblätter (f), Photos: C. Huth.

Umweltfaktoren, welche die Befallsdichten steuern

Um zu analysieren, welche flächenspezifischen Umweltparameter einen Einfluss auf die Befallsdichten von F. auricularia haben, wurden die Individuenzahlen aus dem Boden- und Laubwandbereich aller Dauermonitoring-Flächen mit einer standardisierten Umweltdatenmatrix durch eine Redundanzanalyse (RDA) verrechnet (Jongmann et al., 1995). Mit dem im RDA-Verfahren enthaltenen Manteltest (“forward selection“) wurden die Umweltfaktoren ermittelt, welche die Individuendichten signifikant (α = 0.05) erklären (Jongmann et al., 1995, Ter Braak und Smilauer, 2002). Erste Datenanalysen ergaben, dass die Bewirtschaftungsintensität mit der resultierenden Vegetationsdeckung, die Bodenart, die Lufttemperatur und bestimmte Traubeneigenschaften die Individuendichten signifikant beeinflussen.

Vegetationsdeckung und Bewirtschaftungsintensität. Die Ergebnisse des Dauermonitorings und der Nestkartierung aus 2007 und 2008 haben gezeigt, dass die Bewirtschaftungsintensität und die daraus resultierende Vegetationsdeckung beziehungsweise Begrünungsform die Befallsdichten im Boden- und Laubwandbereich entscheidend beeinflussten. Die Nestkartierung ergab, dass in den begrünten Abschnitten signifikant mehr überwinternde Individuen und mehr Nester als in den unbegrünten Abschnitten gefunden wurden (Abb. 6). Ein entscheidender Grund für die hohe Individuenanzahl in den begrünten Gassen ist die hier fehlende Oberbodenbearbeitung: Die begrünten Abschnitte bieten weitgehend störungsfreie Überwinterungshabitate. Eine wichtige Voraussetzung für den Nestbau sind im Boden vorhandene Strukturen wie Wurzeln und Steine (Lamb, 1976). 78% aller Nester wurden unmittelbar an oder zwischen den Wurzeln von Begrünungspflanzen und Rebstöcken gefunden (Abb. 7). Insbesondere die Pfahlwurzeln des deckungsstarken Gemeinen Löwenzahns (Taraxacum officinale, Wiggers) bieten F. auricularia optimale Bedingungen für den Nestbau. Hier wurden auch die meisten Nester gefunden. Durch eine weitere RDA-Analyse konnte belegt werden, dass der Löwenzahn als einzige Begrünungspflanze unter den in Abb. 7 aufgeführten Pflanzen den Nestbau signifikant beeinflusste. In den unbegrünten Gassen führten die fehlende Bodendurchwurzelung und die regelmäßige Oberbodenbearbeitung dazu, dass die Ohrwürmer diese Bereiche als Überwinterungs- und Bruthabitat weitgehend mieden. Die Nesttiefe nahm mit zunehmender Störungsintensität durch die oberflächliche Bodenbearbeitung zu.

Abb. 6. Räumliche Individuen- und Gelegeverteilung von F. auricularia nach der Nestkartierung mit 100 Grabungen in der begrünten Gasse, 100 Grabungen im Unterstockbereich und 100 Grabungen in der unbegrünten Gasse in einer alternierend begrünten Sortenmix-Anlage von Dezember 2007 bis Mai 2008, Neustadt an der Weinstraße. Signifikanzgruppen A und B beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05).

Abb. 6. Räumliche Individuen- und Gelegeverteilung von F. auricularia nach der Nestkartierung mit 100 Grabungen in der begrünten Gasse, 100 Grabungen im Unterstockbereich und 100 Grabungen in der unbegrünten Gasse in einer alternierend begrünten Sortenmix-Anlage von Dezember 2007 bis Mai 2008, Neustadt an der Weinstraße. Signifikanzgruppen A und B beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05).

Abb. 7. Prozentuale Nestverteilung von F. auricularia an verschiedenen Bodenstrukturen in einer alternierend begrünten Rebanlage von Dezember 2007 bis Mai 2008, Neustadt an der Weinstraße.

Abb. 7. Prozentuale Nestverteilung von F. auricularia an verschiedenen Bodenstrukturen in einer alternierend begrünten Rebanlage von Dezember 2007 bis Mai 2008, Neustadt an der Weinstraße.

In den dauerbegrünten und damit im Oberboden ungestörten Bereichen lag die mittlere Nesttiefe bei 4 cm. In den unbegrünten Abschnitten, in denen mehrmals im Jahr eine Oberbodenbearbeitung durchgeführt wurde, lag die mittlere Nesttiefe bei 7 cm. Es ist anzunehmen, dass die Weibchen in den unbegrünten Gassen der Rebanlage nach einer Bewirtschaftung im Oberboden gestört wurden und ihre Nester in tiefere Bodenschichten verlagerten. Tendenziell war die Gelegegröße in unbegrünten Abschnitten geringfügig kleiner als in begrünten Bereichen, was möglicherweise auf die störende Oberbodenbearbeitung zurückzuführen war.

Vergleichbare Ergebnisse wurden im Dauermonitoring ermittelt. Hier waren in allen vollständig und alternierend begrünten Versuchsflächen die Befallsdichten im Boden- und Laubwandbereich in beiden Versuchsjahren deutlich höher als in den unbegrünten Anlagen. Selbst sehr kleinflächig durchgeführte Bodenpflegemaßnahmen innerhalb einer Rebanlage wirkten sich auf die Befallsdichten aus. In dem 2008 angelegten Bodenpflegeversuch in einer Riesling-Anlage waren die Befallsdichten in den vollständig begrünten Bereichen signifikant höher als in den unbegrünten (Abb. 8). Die Befallsdichte an Rebstöcken in einem Teil der begrünten Abschnitte, der am 30. Juni mit einer Kreiselegge bearbeitet wurde, war im Vergleich zum nicht bearbeiteten Teil tendenziell reduziert. Dieser Individuenrückgang war vermutlich auf die vorhergehende Begrünungsstörung zurückzuführen, da die Ohrwürmer bis Mitte Juli vom Boden- in den Laubwandbereich aufwanderten. Ob ein Großteil der Ohrwürmer durch den mechanischen Eingriff in den Oberboden abgetötet wurde oder während der Bearbeitungsphase in ungestörte Bereiche abwanderte, konnte nicht nachgewiesen werden.

Abb. 8. Jahresmittel der Ohrwurmzahlen in Abhängigkeit von der Begrünungsvariante in einer Riesling-Anlage, Neustadt an der Weinstraße 2008. Signifikanzgruppen A und B beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05).

Abb. 8. Jahresmittel der Ohrwurmzahlen in Abhängigkeit von der Begrünungsvariante in einer Riesling-Anlage, Neustadt an der Weinstraße 2008. Signifikanzgruppen A und B beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05).

Bodenart. Um zu überprüfen, ob die Bodenart die Entwicklungsphase des Gemeinen Ohrwurms beeinflusst, wurden Freiland- und Laborversuche durchgeführt. Im Dauermonitoring 2007 wurden in Rebanlagen auf Sandböden signifikant weniger Individuen erfasst als in Anlagen auf Lehmböden. Zuchtversuche im Labor ergaben, dass die Weibchen in lockerkörnigem Sandboden keine Brutröhren anlegen konnten und keine Eier ablegten. In den Zuchtbehältern mit grobscholligem Lehmboden bauten alle beobachteten Weibchen Brutröhren und legten bis zu 40 Eier pro Nest und Weibchen ab. Um diese Erkenntnisse im Freiland zu überprüfen, wurden 2008 in zwei Riesling-Ertragsanlagen mit unterschiedlichen Bodenarten von Juni bis September entsprechende Untersuchungen durchgeführt. Bewirtschaftung, Makroklima sowie alternierende Begrünung der Rebgassen waren in beiden Versuchsanlagen annähernd gleich, so dass die in Abb. 9 aufgezeigten Unterschiede in den Befallsdichten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Bodenart zurückzuführen waren. Im Laubwandbereich wurden im gesamten Versuchszeitraum trotz erheblicher Schwankungen der Individuenzahlen deutlich mehr Ohrwürmer in der Anlage mit Lehmboden erfasst. Der Mittelwertvergleich über den gesamten Versuchszeitraum ergab, dass der Rebstockbefall auf Lehmboden signifikant höher war als in der Anlage auf Sandboden (Student-t-Test: α = 0.05). Sowohl in Freiland- als auch in Laborzuchtversuchen konnte somit nachgewiesen werden, dass die Bodenart großen Einfluss auf die Entwicklungsphase von F. auricularia hat.

Abb. 9. Vergleich der Wochen- und Jahresmittel der Individuenzahlen in zwei alternierend begrünten Riesling-Ertragsanlagen mit unterschiedlichen Bodentypen (Sand- und Lehmboden), Neustadt an der Weinstraße 2008. *: signifikant weniger Individuen über den gesamten Versuchszeitraum erfasst (Student-t-Test: α = 0.05).

Abb. 9. Vergleich der Wochen- und Jahresmittel der Individuenzahlen in zwei alternierend begrünten Riesling-Ertragsanlagen mit unterschiedlichen Bodentypen (Sand- und Lehmboden), Neustadt an der Weinstraße 2008. *: signifikant weniger Individuen über den gesamten Versuchszeitraum erfasst (Student-t-Test: α = 0.05).

Lufttemperatur. Die Dauermonitoring-Versuche 2007 und 2008 in einer Riesling-Anlage ergaben, dass der Aufwanderungszeitpunkt der L4-Larven vom Boden in den Laubwandbereich von den Temperaturen in den Monaten April und Mai abhängig war. Höhere Frühjahrstemperaturen führten zu einer verkürzten Entwicklungsdauer, wodurch die L4-Larven früher vom Nest auf die Bodenoberfläche wanderten. Durch die temperaturbedingt früher einsetzende Rebblüte mit dem vorhandenen Blütenpollen wanderten die L4-Larven von der Bodenoberfläche ebenfalls eher in den Laubwandbereich ein. 2007 erreichten die Lufttemperaturen in der Versuchsfläche im April mit einem Monatsmittel von 14°C und Maximaltageswerten bis 30°C teilweise hochsommerliche Werte. Diese Tendenz setzte sich im Mai 2007 mit einem Monatsmittel von 17°C und Maximaltageswerten bis 32°C fort. Die Riesling-Blüte begann bereits am 23. Mai. Die ersten L4-Larven wurden schon einen Tag zuvor in den Blütenständen und auf angrenzenden Rebblättern beobachtet. 2008 war der April wesentlich kühler. Das Monatsmittel betrug 10°C, tagsüber wurden maximal 22°C erreicht. Die Temperaturen im Mai 2008 waren vergleichbar mit den Maitemperaturen 2007. Aufgrund des nur mäßig warmen Aprils setzte die Riesling-Blüte 11 Tage später als 2007 am 4. Juni ein. Die ersten L4-Larven wurden analog erst am 2. Juni im Blütebereich des Rebstockes erfasst. Durch die niedrigen Apriltemperaturen verlängerte sich auch die Larvalentwicklung, die ersten L3- und L4-Larven wurden erst am 26. Mai auf der Bodenoberfläche beobachtet.

Traubenmorphologie und -gesundheit. Am 12.09.2007, zwei Wochen vor der Lese, wurde der Ohrwurmbefall an 432 Riesling-Trauben aus drei verschiedenen Höhenzonen der Traubenzone bestimmt. Die morphologischen Eigenschaften aller untersuchten Trauben sowie die Anzahl an Ohrwürmern pro Traube wurden erfasst. Anhand der Untersuchungen sollte überprüft werden, ob ein Zusammenhang zwischen der Ohrwurmdichte in der Traube und morphologischen Traubeneigenschaften sowie der Traubengesundheit besteht. Eine Redundanzanalyse ergab, dass die Locker- und Dichtbeerigkeit, das Traubengewicht, in die Trauben eingewachsene Rebblätter und ein Fäulnisanteil von über 50% einen signifikanten Einfluss (α = 0.05) auf die Ohrwurmdichten in den Trauben hatten. Lockerbeerige Trauben mit geringem Gewicht waren im Vergleich zu dichtbeerigen, kompakten Trauben mit hohem Gewicht nicht oder nur von einzelnen Individuen befallen. Grund hierfür war, dass in den lockerbeerigen Trauben weniger enge und lichtgeschützte Refugien vorhanden waren als in den kompakten Trauben. Außerdem befanden sich lockerbeerige Trauben überwiegend in der Zone unter dem Biegdraht, freihängend und von wenig Reblaub und eingewachsenen Strukturen umgeben. Die in der unmittelbaren Umgebung von freihängenden Trauben deutlich geringere Zahl an Tagesverstecken verringerte die Befallsdichten. Mit zunehmender Dichtbeerigkeit und zunehmenden Traubengewicht erhöhte sich der Befall deutlich. Große dichtbeerige Trauben boten den Ohrwürmern engere und lichtgeschütztere Tagesrefugien als lockerbeerige. Kompakte Trauben befanden sich vorwiegend in den dichter beblätterten Höhenzonen der Traubenzone (Zone Biegdraht bis Rankdraht 1) und wiesen häufig eingewachsene Rebblätter auf. Dadurch verbesserten sich die räumlichen und klimatischen Habitatansprüche wesentlich gegenüber den tiefer hängenden, lockerbeerigen Trauben.

Zusätzlich zu den morphologischen Traubenparametern wurde für alle ausgewerteten Trauben der prozentuale Fäulnisanteil (1 bis 20%, 21 bis 50%, 51 bis 100%) und Trockenbeerenanteil (1 bis 20%, 21 bis 50%, 51 bis 100%) bestimmt. Vorhergehende Untersuchungen hatten gezeigt, dass beispielsweise Fäulniserreger wie der Grauschimmel Botrytis cinerea (Persoon) und das Beerenfleisch leicht eingetrockneter Beeren zum Nahrungsspektrum der Ohrwürmer zählen und folglich diese Trauben oft mehr Individuen aufwiesen als gesunde. Die Ergebnisse der Redundanzanalyse ergaben, dass ein Fäulnisanteil von 51 bis 100% einen signifikanten Einfluss (α = 0.05) auf die Ohrwurmdichten in Trauben hatte. Trauben mit hohen Fäulnisanteilen sind einerseits nicht nur als Nahrungsquelle für F. auricularia attraktiv und bieten andererseits durch ihre Kompaktheit und Lage in der Traubenzone viele Raumressourcen.

Stock- und Traubenbefall im Überblick

Stockbefall. In den Dauermonitoring-Flächen wurden 2007 und 2008 von Ende Mai bis Mitte Oktober insgesamt 86 000 Individuen im Boden- und Laubwandbereich erfasst. 2007 wurden in 6 Dauermonitoring-Anlagen 42 000 Individuen gezählt, 2008 wurden in 11 Dauermonitoring-Flächen 44 000 Individuen ausgewertet. Trotz der deutlich größeren Zahl an Versuchsflächen wurden 2008 nicht wesentlich mehr Ohrwürmer erfasst als 2007. Grund hierfür war der von 2007 auf 2008 zum Teil starke Rückgang der Befallsdichten in vielen Lagen im Raum Neustadt an der Weinstraße, der in Abb. 10 für eine alternierend begrünte Versuchsanlage mit verschiedenen Sorten auf Lehmboden dargestellt ist.

Abb. 10. Jahresmittel der Ohrwurmzahlen für den Laubwandbereich in unterschiedlichen Rebsorten, Neustadt an der Weinstraße 2007 und 2008. *: signifikant weniger Individuen über den gesamten Versuchszeitraum erfasst (Student-t-Test: α = 0.05).

Abb. 10. Jahresmittel der Ohrwurmzahlen für den Laubwandbereich in unterschiedlichen Rebsorten, Neustadt an der Weinstraße 2007 und 2008. *: signifikant weniger Individuen über den gesamten Versuchszeitraum erfasst (Student-t-Test: α = 0.05).

Die Ursachen für diesen zum Teil signifikanten (α = 0.05) Individuenrückgang im Jahr 2008 sind nach dem derzeitigen Stand der Datenauswertungen nicht eindeutig geklärt. Tendenziell wirkte sich das im Vergleich zu 2007 sehr wechselhafte Sommerklima auf die Intensität des Stockbefalls aus. Vor allem die Monate Juni, Juli und August 2008 waren von längeren Kälte- und Regenphasen geprägt, wodurch die Ohrwürmer vom Rebstock zurück in die trockeneren und wärmeren Bodenschichten abwanderten. Demzufolge lagen die Befallsdichten in den Rebstöcken vieler Anlagen unter denen von 2007. Ein weiterer möglicher Grund, der sich jedoch durch das Fehlen von Langzeitdaten nicht belegen lässt, ist ein Befallsrückgang durch das Erreichen einer Überpopulation. Das durch Übervölkerung verursachte Nahrungs- und Raumdefizit führt zu einer Populationsregulation mit Individuenrückgang (Lamb, 1975; Begon et. al., 1998).

Traubenbefall. Am 29.08.08 wurde an jeweils 40 Regent- und Riesling-Trauben der Ohrwurmbesatz ermittelt. Die Trauben jeder Sorte waren vergleichbar kompakt und etwa gleich groß. Sie wurden im Kopfbereich des jeweiligen Rebstockes entnommen. Beide Rebanlagen waren alternierend begrünt und standen auf Lehmboden. Vor der Entnahme der Traubenproben wurde ein hoher Ohrwurmbefall in den Versuchsanlagen festgestellt. Die Ergebnisse sind in Abb. 11 dargestellt. In den Riesling-Trauben lag der durchschnittliche Befall pro Traube bei 7 Ohrwürmern. Befallsdichten von 9 bis 33 Ohrwürmern fanden sich in jeweils einer Traube. In 11 von 40 Trauben wurden keine Ohrwürmer gefunden, obwohl sie die gleiche Morphologie wie die befallenen aufwiesen. Die mittlere Befallsdichte der Regent-Trauben lag bei 6 Ohrwürmern pro Traube. In einzelnen Trauben wurden 11 bis 21 Ohrwürmer gefunden. In 8 von 40 Trauben wurde kein Befall festgestellt.

Abb. 11. Ohrwurmbefall in Riesling-Trauben (a) und Regent-Trauben (b), jeweils n=40, Neustadt an der Weinstraße 29.08.2008.

Abb. 11. Ohrwurmbefall in Riesling-Trauben (a) und Regent-Trauben (b), jeweils n=40, Neustadt an der Weinstraße 29.08.2008.

Befallsregulation

2008 lag ein Untersuchungsschwerpunkt in Freilandversuchen darin, die Befallsdichten von F. auricularia im Boden- und Laubwandbereich zu regulieren. Überprüft wurde die Wirkung von ausgewählten Pflanzenschutzmitteln, Repellentsubstanzen und Eingriffen in die Habitatstruktur. Der Einsatz der jeweiligen Regulationsmaßnahmen richtete sich nach den Entwicklungsstadien und den jahreszeitlich bedingten Lebensräumen des Ohrwurms. In Tab. 1 sind im schematischen Überblick alle getesteten Strategien zur Reduzierung der Populationsdichten mit den Versuchsergebnissen aufgeführt.

Tab. 1. Gegen F. auricularia im Freiland getestete Regulationsmaßnahmen, B: Behandlung, K: Konzentration

Regulationsmaßnahme

Einsatzbereich

Entwicklungsstadium

Wirkung

Kalkstickstoff „PERLKA“
Cyanamidphase

Oberbodenbereich
B: 21.04.08
K: 3 kg/a, 6 kg/a

– Larven L3, L4

– überwinternde Adulte

keine Wirkung

Nematoden „NEMATOP 50“, Art:
Heterorhabditis bacteriophora

Oberbodenbereich
B: 19.05.08
K: 50 Mio/100m²

– Larven L3, L4

– überwinternde Adulte

keine Wirkung

Begrünungsentfernung +
Tiefenbodenlockerung

Oberbodenbereich
B1: 20.11.2008,
B2: 02.04.2009

– Nester mit Gelege

– überwinternde Adulte

Versuch noch in Bear­beitung

Foliendamm als Ersatzhabitat

Bodenoberfläche
Installation: 29.05.08

– aufwandernde Larven L4

– aufwandernde Adulte

keine Wirkung

Repellent „ENVIRepel“
Knoblauchpräparat

Laubwandbereich
B1-B3: 21.07.-07.08.08
K: 0,5%

– Adulte

keine Wirkung

Repellent „Benzochinon“
2-Methyl-1,4-Benzochinon

Laubwandbereich
B: 17.08.07
K: 0,1 molare Lösung

– Adulte

keine Wirkung

Laubwandkalkung
mit „Hydrocal®Super85“
Calciumhydroxid (pH 12,6)

Laubwandbereich
B1-B4: 17.07.-25.08.08
K: 30 kg/ha, 60 kg/ha

– Adulte

keine Wirkung

Entlaubung
einseitig / beidseitig

Laubwandbereich
B: 01.07.08

– Adulte

keine Wirkung

Traubenausdünnung
mit Vollernter

Laubwandbereich
B: 06.07.07

– Adulte

keine Wirkung

Insektizid „Reldan 22“
Chlorpyrifos

Laubwandbereich
B1: 19.06.08
B2: 07.08.08, K: 0,2%

– aufwandernde Larven L4

– Adulte

schlechte + kurze Wirkung

Insektizid „Confidor WG 70“
Imidacloprid

Laubwandbereich
B1: 19.06.08
B2: 07.08.08, K: 0,03%

– aufwandernde Larven L4

– Adulte

gute + kurze Wirkung

Insektizid „SpinTor“
Spinosad

Laubwandbereich
B1: 19.06.08
B2: 07.08.08, K: 0,01%

– aufwandernde Larven L4

– Adulte

gute + lange Wirkung

Das Insektizid SpinTor (0,01%) (Wirkstoff Spinosad) erzielte durch seine hohe und anhaltende Wirkung vielversprechende Bekämpfungserfolge für die weinbauliche Praxis. Neben der guten, aber nur sehr kurzen Wirkung des Insektizids Confidor WG 70 zeigten alle weiteren in Tab. 1 aufgeführten Maßnahmen zur Befallsregulation im Boden- und Laubwandbereich minimale bis keine reduzierende Wirkung auf F. auricularia und sind deshalb als Bekämpfungsmaßnahmen für den Weinbau nur bedingt oder nicht geeignet.

SpinTor wurde für die Versuche ausgewählt, weil es bereits im deutschen Tafel- und Keltertraubenanbau zur Bekämpfung des Rhombenspanners, des Springwurmwicklers und des Einbindigen und Bekreuzten Traubenwicklers zugelassen ist. Der Wirkstoff Spinosad (Spinosyn A und D) wird über Fraß sowie Körperkontakt aufgenommen. Einige Stunden nach der Behandlung treten neuronale Schädigungen auf, die zu einer vollständigen, irreversiblen Lähmung des Schädlings führen. Es werden sowohl die Adult- als auch Larvenstadien bekämpft (http://www.dowagro.com/de/produkte/).

Mit dem ersten Insektizidversuch sollte untersucht werden, wie viele Applikationen notwendig sind, um die Befallsdichten während der Reifezeit und insbesondere wenige Tage vor der Traubenlese auf ein für die Praxis akzeptables Maß zu senken. Als Versuchsfläche diente eine 18 Jahre alte Riesling-Ertragsanlage in Deidesheim, die in Kontroll- und Insektizidparzelle geteilt wurde. Die Fallentransekte wurden zentral in den Parzellen angelegt. Pro Stickellänge wurde im Laubwandbereich eine Bambusfalle montiert. Die Applikation erfolgte am frühen Morgen (3 bis 6 Uhr). Nachtbeobachtungen im Jahr 2007 hatten ergeben, dass die dämmerungs- und nachtaktiven Ohrwürmer vor allem zwischen 22 bis 5 Uhr außerhalb ihrer Verstecke in der Laubwand aktiv waren. Mit einer ersten Applikation Mitte Juni sollten die aufwandernden L4-Larven dezimiert werden. Da jedoch die Aufwanderung aus dem Boden- in den Laubwandbereich bis Anfang Juli kontinuierlich anhielt, wurde Anfang August eine zweite Applikation gegen die adulten Ohrwürmer durchgeführt.

Abb. 12 fasst die Wirkung der beiden SpinTor-Applikationen auf die mittleren Individuenzahlen im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle über sieben Fangintervalle zusammen. Der Wirkungsgrad nach Abbott (1925) wurde zusätzlich in die Graphik eingefügt.

Abb. 12. Einfluss von SpinTor (0,01%) auf F. auricularia im Laubwandbereich einer Riesling-Anlage, Deidesheim 2008. A1: Nachtapplikation 1, A2: Nachtapplikation 2, *: signifikant weniger Individuen im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle (Student-t-Test: α = 0.05).

Abb. 12. Einfluss von SpinTor (0,01%) auf F. auricularia im Laubwandbereich einer Riesling-Anlage, Deidesheim 2008. A1: Nachtapplikation 1, A2: Nachtapplikation 2, *: signifikant weniger Individuen im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle (Student-t-Test: α = 0.05).

Eine Woche (20. bis 27.06.) nach der ersten SpinTor-Applikation wurde der Befall im Laubwandbereich gegenüber der Kontrolle um 75% reduziert. Drei Wochen nach der ersten Applikation (04. bis 11.07.) nahm der Wirkungsgrad des Insektizids aufgrund der stark anhaltenden Individuenzuwanderung aus dem Bodenbereich deutlich ab, so dass zwischen den Individuenzahlen der SpinTor- und Kontrollparzelle keine signifikanten Unterschiede mehr auftraten. Fünf Wochen nach Versuchsbeginn (18. bis 25.07.) fielen die Individuenzahlen in den Kontroll- und Insektizidparzellen und damit verbunden der Wirkungsgrad weiter stark ab. Grund hierfür waren die in Deidesheim für Ende Juli außergewöhnlich kalten Sommertemperaturen, durch die eine starke Abwanderung der Ohrwürmer von der Laubwand zurück in den Boden erfolgte. Aufgrund der bis Mitte Juli stark anhaltenden Individuenaufwanderung vom Boden- in den Laubwandbereich wurde am 07.08.08 eine zweite SpinTor-Applikation durchgeführt. Hiermit sollte die Befallsdichte in der Traubenzone vor der Lese nochmals reduziert werden. Eine Woche nach der zweiten Applikation (08. bis 15.08.) verringerten sich mit einem Wirkungsgrad von 79% die Befallsdichten in der SpinTor-Parzelle gegenüber der Kontrolle signifikant. Der Wirkungsgrad blieb mit etwa 50% (19. bis 25.09.) unmittelbar vor der Lese auf vergleichsweise hohem Niveau. Die gute Dauerwirkung ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass sich zum zweiten Applikationszeitpunkt ein Großteil der adulten Ohrwürmer im Laubwandbereich aufhielt und somit keine Tiere nach der Applikation aufwanderten.

Das Insektizid Confidor WG 70 (Wirkstoff: Imidacloprid), das zur Bekämpfung der Reblaus und von Thripsen im Weinbau genehmigt ist, reduziert den Gemeinen Ohrwurm gegenüber SpinTor nur kurzzeitig, bis zwei Wochen nach der Nachtapplikation. Drei Wochen vor der Traubenlese zeigte das Mittel keine Wirkung auf den Ohrwurm mehr.

In einem weiteren SpinTor-Bekämpfungsversuch wurde die Wirkung einer Nachtapplikation des Mittels mit der Wirkung einer Tagapplikation verglichen. Hierzu wurde SpinTor in einer 22-jährigen Riesling-Fläche in Neustadt an der Weinstraße einmal spätabends (05.08.08: 22 Uhr) und einmal am frühen Morgen (06.08.08: 7:30 Uhr) ausgebracht. Die Riesling-Anlage wurde in gleichen Teilen in Kontroll-, SpinTor-Tag- und SpinTor-Nacht-Parzelle geteilt. Zentral in den jeweiligen Parzellen wurden die Fallentransekte angelegt, in denen pro Stickellänge eine Bambusfalle im Traubenzonenbereich montiert wurde.

In Abb. 13 sind die Ergebnisse zusammengefasst. Zur Verdeutlichung der Insektizidwirkung wurden die Signifikanzgruppen des Tukey-Tests und die Wirkungsgrade nach Abbott (1925) durch Liniengraphen zusätzlich eingefügt.

Abb. 13. Einfluss einer Tag (06.08.08: 7.30 Uhr)- und Nachtapplikation (05.08.08: 22 Uhr) von SpinTor (0,01%) auf F. auricularia im Laubwandbereich einer Riesling-Anlage, Neustadt an der Weinstraße 2008. Unterschiedliche Buchstaben über den Balken beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05). Die Liniengraphen zeigen die Wirkungsgrade nach Abbott, (1925).

Abb. 13. Einfluss einer Tag (06.08.08: 7.30 Uhr)- und Nachtapplikation (05.08.08: 22 Uhr) von SpinTor (0,01%) auf F. auricularia im Laubwandbereich einer Riesling-Anlage, Neustadt an der Weinstraße 2008. Unterschiedliche Buchstaben über den Balken beschreiben signifikante Unterschiede (Tukey (HSD): α = 0.05). Die Liniengraphen zeigen die Wirkungsgrade nach Abbott, (1925).

Die Nachtapplikation von SpinTor reduzierte die Ohrwurmzahlen im Laubwandbereich über den gesamten Versuchszeitraum am deutlichsten. Unmittelbar nach der Applikation bis zur Traubenlese wurden in der SpinTor-Nacht-Parzelle signifikant weniger Individuen erfasst als in der Kontroll- und SpinTor-Tag-Parzelle (Abb. 13, Signifikanzgruppen). Eine Woche nach der Nachtapplikation (15.08.) erreichte SpinTor einen für Freilandbedingungen sehr hohen Wirkungsgrad von 94%. Vier Tage vor der Lese betrug der Wirkungsgrad in der Parzelle immer noch 55%. Mit der Tagapplikation wurden die Ohrwurmdichten im Laubwandbereich deutlich weniger reduziert. Bereits drei Wochen nach der Applikation (29.08.) wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den Individuenzahlen der SpinTor-Tag- und Kontrollparzelle mehr errechnet. Dieser Zusammenhang wird auch anhand der Wirkungsgrade der Tagapplikation deutlich: Eine Woche nach der Applikation (15.08.) wurde ein für die Praxis noch akzeptabler Wirkungsgrad von 67% erzielt. Bis zur Traubenlese nahm die Wirkung auf 17% ab, der Befall unterschied sich nur noch unwesentlich vom Befall in der Kontrollparzelle.

Die Versuche mit SpinTor haben eindeutig ergeben, dass eine Nachtapplikation die Befallsdichten im Laubwandbereich effektiver reduzieren kann als eine Applikation bei Tag. Dies ist auf die nächtliche Aktivitätsphase der Ohrwürmer zurückzuführen, welche den Kontakt der Tiere mit dem Insektizid stark erhöht. Am Tag werden deutlich weniger Individuen unmittelbar von dem Wirkstoff getroffen, weil sich die Tiere tagsüber in Verstecke zurückziehen und hier weitgehend geschützt sind.

Aufgrund der vorgestellten Ergebnisse wurde Anfang 2009 bei der zuständigen Behörde ein Genehmigungsantrag nach § 18a Pflanzenschutzgesetz für das Insektizid SpinTor gegen F. auricularia gestellt. Im Falle einer Genehmigung liegt ein geeigneter Bekämpfungstermin bei hohem Befall etwa Mitte Juni, um das in den Rebstock aufwandernde vierte Larvenstadium zu bekämpfen. Da SpinTor als bienengefährlich (B1) eingestuft ist, sollte die erste Applikation Mitte Juni erst nach der Rebblüte erfolgen. Für einen zweiten Termin eignet sich der Zeitraum etwa drei bis vier Wochen vor der Lese, um die adulten Ohrwürmer zu reduzieren. Bei hohen Befallsdichten wird der optimale Wirkungserfolg mit einer Nachtapplikation (ab 22 bis 5 Uhr) erreicht, wenn die Ohrwürmer ihre Tagesverstecke verlassen und sich aktiv und offen in der Laubwand bewegen.

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