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Originalarbeit – Kurzmitteilung

Erfahrungen mit der Einführung biologischer Pflanzenschutzverfahren im Ökologischen Obstbau

Experiences with the implementation of biocontrol methods in organic fruit growing

Jutta Kienzle
Institut
Fördergemeinschaft Ökologischer Obstbau e.V., Weinsberg

Journal für Kulturpflanzen, 62 (3). S. 81–83, 2010, ISSN 0027-7479, DOI: 10.5073/JfK.2010.03.05, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Jutta Kienzle, Apfelblütenweg 28, 71394 Kernen, E-Mail: jutta@jutta-kienzle.de
Zur Veröffentlichung angenommen
Februar 2010

Zusammenfassung

Die Implementierung biologischer Pflanzenschutzverfahren im Ökologischen Obstbau erfolgt in enger Ver­zahnung von Praxis, Beratung und Forschung. Bewährt hat sich die frühe Einbeziehung von interessierten Praxisbetrieben in die Entwicklung und später auch in die Prüfung der Wirkungssicherheit und die Optimierung der Verfahren. Strategien zum Resistenzmanagement sollten auf einer ausgewogenen Mischung aus direkten und indirekten Regulierungsmaßnahmen beruhen.

Stichwörter: Ökologischer Obstbau, biologische Pflanzenschutzverfahren

Abstract

The introduction of biocontol measures in organic fruit growing is realized in close cooperation between farmers, extension and research. Interested farmers are included very early in the development and the test of the reliability of the efficacy of the different measures. Strategies for resistance management should rely on a well-balanced combination of direct and indirect control measures.

Key words: Organic fruit growing, biocontrol

Einleitung

Im Obstbau, besonders im Kernobstanbau, gibt es sehr viele Schädlinge und Krankheiten. Daher ist der Obstbau auch einer der letzten Kulturbereiche, in dem die Umstellung auf eine ökologische Wirtschaftsweise in nennenswertem Umfang erfolgen konnte. Für zahlreiche Schädlinge und Krankheiten mussten erst einmal Regulierungsverfahren entwickelt werden, die den Grund­prinzipien des Ökologischen Landbaus entsprechen. Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren einige biologische Verfahren nicht nur in den Ökologischen Obstbau eingeführt, sondern oft auch auf Nachfrage des Ökologischen Obstbaus entwickelt.

Großflächenversuche auf Praxisbetrieben

Aus mangelnder Verfügbarkeit geeigneter Verfahren beteiligten sich die Praxisbetriebe schon sehr früh und oft auf eigene Kosten an der Entwicklung. Aus dieser Situation heraus hat sich eine sehr enge Vernetzung von Praxis, Beratung und Forschung ergeben. Seit 2004 gibt es das BÖL-Projekt „Arbeitsnetz zur Weiterentwicklung der Anbauverfahren des Ökologischen Obstbaus (Projekt-Nr. 04OE178 bzw. 06OE100) als bundesweites Diskussionsforum, in dem Praktiker, Berater und Forscher an der laufenden Weiterentwicklung ihrer Anbaumethoden arbeiten. Die Anbaukonzepte im Ökologischen Obstbau sind noch nicht ganz ausgereift. Für die wichtigsten ungelösten Problembereiche konnten auf diese Weise sehr effizient aus der Praxis heraus Strategien für Lösungsansätze erarbeitet und umgesetzt werden. Diese Struktur ist für eine Entwicklung und Praxiseinführung von biologischen Pflanzenschutzverfahren sehr wichtig. Die meisten dieser Verfahren zeichnen sich durch komplexere Wirkmechanismen aus, die oft von vielen Standort- und Witterungsfaktoren abhängig sind. Oft kann die Wirkung auch nur bei großflächiger (z.B. Verwirrungsmethode) und/oder langfristiger Anwendung (z.B. Effekte von Apfelwicklergranuloviren, CpGV, auf die Populationsentwicklung) nachgewiesen werden oder sie ist lediglich befallsmindernd (z.B. entomopathogene Nematoden gegen Apfelwickler). In diesen Fällen hat es sich bewährt, die Untersuchungen zur Prüfung der Wirkung durch möglichst mehrjährige Ringversuche auf interessierten Praxisbetrieben in verschiedenen Regionen zu ergänzen. Hierdurch kann nicht nur die Wirkung, sondern auch die Wirkungssicherheit der Verfahren besser abgeschätzt werden. Außerdem bietet dies die Möglichkeit, in der Praxis auftretende Fragen und Probleme noch während der Entwicklungsphase zu identifizieren und zu bearbeiten. Durch ein solches Vorgehen kann ein Ver­fahren nicht nur optimal in eine bestehende Bausteinstrategie implementiert, sondern auch sehr gut an bestehende Lücken in der Strategie angepasst werden.

Ein Beispiel für ein erfolgreiches Vorgehen durch breite Einbeziehung der Praxis bei der Prüfung der Wirkungssicherheit eines Verfahrens ist die Verwirrungsmethode ISOMATE ROSSO für den Kleinen Frucht­wickler (Grapholita lobarzewskii). Nach mehrjährigen Praxistests in ökologischen Anlagen (Kienzle et al., 2006) konnten Anbauer und Vertreiber sich von der langjährig stabilen Wirkungssicherheit dieses Verfahrens auch in Befallsgebieten überzeugen. Auf dieser Basis wurde ein Zulassungsverfahren in Deutschland in Angriff genommen.

Auch eine schnellere Absicherung von Ergebnissen ist durch die Einbeziehung betroffener Praxisbetriebe möglich. So konnten z.B. im Jahr 2006 die Ergebnisse von Wirkungsprüfungen mit einem neuen Isolat des Apfelwicklergranulovirus an CpGv-M-resistenten Populationen auf wenigen Standorten durch begleitende Ring­versuche auf allen betroffenen Betrieben abgesichert werden. Dies ermöglichte eine wesentlich schnellere Absicherung der Aussage und eine zügige Problemlösung in der Praxis (Kienzle et al., 2007).

Wird mit Verfahren gearbeitet, die nur eine Befalls­minderung bewirken und gleichzeitig nur großflächig wirksam sind, ist bereits eine Versuchsanstellung nur unter Mitwirkung vieler Betriebe in verschiedenen Regionen möglich.

Anwendung entomopathogener Nematoden gegen Apfelwickler

Die Wirkung von entomopathogenen Nematoden gegen die überwinternden Larven des Apfelwicklers wird meist über die Erfassung des Fruchtbefalls im darauffolgenden Jahr ermittelt. Auf größeren Flächen gibt es oft starke natürliche Befallsgefälle, so dass randomisierte Versuche mit mehreren Wiederholungen kaum durchführbar sind. Aus diesem Grund wurden zahlreiche Versuche mit nur ein oder zwei Wiederholungen auf verschiedenen Standorten in mehreren Regionen und Versuchsjahren durchgeführt. Diese wurden gruppiert. Hier zeigte sich sehr gut, dass der Befall durch die erste Generation des Apfelwicklers im Folgejahr bei fast allen Versuchen mit entsprechend günstigen Witterungsbedingungen nach der Applikation (d.h. ausreichende Feuchtigkeit und Tem­peratur) durch die Behandlung um ca. 50% reduziert werden konnte. Bei zwei Versuchen war die Wirkung trotz günstiger Witterungsbedingungen nicht ausreichend gegeben (Abb. 1). Daraus lässt sich ablesen, dass beim Einsatz dieser Nützlinge die Wirkungssicherheit gelegentlich schwanken kann, im Durchschnitt der Anwendungen aber ein verlässliches Ergebnis zu erwarten ist. Mit dieser Aussage war nach mehreren Versuchsjahren eine Empfehlung an die Praxis möglich (Kienzle et al., 2009).

Abb. 1. Wirkungsgrade von Steinernema feltiae bei der Bekämpfung des Apfelwicklers, ermittelt über drei Jahre in Großparzellenversuchen. Die Applikation erfolgte im Herbst gegen die Diapauselarven (Aufwandmenge 750 × 106/ha × m Kronenhöhe). Auf der X-Achse sind die Witterungsverhältnisse 12–24 Stunden nach der Applikation aufgetragen. Die Wirkungsgrade wurden anhand des Befalls der Früchte im Folgejahr ermittelt.

Abb. 1. Wirkungsgrade von Steinernema feltiae bei der Bekämpfung des Apfelwicklers, ermittelt über drei Jahre in Großparzellenversuchen. Die Applikation erfolgte im Herbst gegen die Diapauselarven (Aufwandmenge 750 × 106/ha × m Kronenhöhe). Auf der X-Achse sind die Witterungsverhältnisse 12–24 Stunden nach der Applikation aufgetragen. Die Wirkungsgrade wurden anhand des Befalls der Früchte im Folgejahr ermittelt.

Aus der Summe der Ergebnisse ist ersichtlich, dass ein Wirkungsgrad von etwa 50%, wie beim Einsatz von Nematoden, für eine ausreichende Regulierung eines Schädlings bei hohem Befallsdruck nicht unbedingt ausreichend ist. Das Verfahren kann jedoch im Rahmen einer Bausteinstrategie aus direkten und indirekten Pflanzenschutzmaßnahmen eine wichtige Rolle spielen. Dieser Besonderheit des Ökologischen Anbaus wird seit einigen Jahren auch beim Zulassungsverfahren Rechnung getragen, wo unter Berücksichtigung der entsprechenden Bausteinstrategien auch Präparate mit lediglich befallsmindernder Wirkung zulassungsfähig sind.

Resistenzmanagement bei der Apfelwicklerregulierung

Auch beim Resistenzmanagement wird der Ökologische Obstbau eher auf Bausteinstrategien als auf Wirkstoffwechsel setzen. Verfahren zum Monitoring und zum entsprechenden Management der Virulenz bei CpGV sind bereits sehr weit entwickelt (Jehle, 2008). In intensiven Diskussionen mit Praxis und Beratung über ein nachhaltiges Resistenzmanagement für den Ökolo­gischen Obstbau wurde aber deutlich, dass ein solches Konzept nicht nur auf der Nutzung mehrerer biolo­gischer Verfahren beruhen darf (Tab. 1). In den letzten Jahren hat sich das manuelle Absammeln befallener Früchte in der ersten Generation als effektive Maßnahme zur schnellen Reduktion des Befallsdrucks bei unverhofftem Auftreten sehr gut bewährt. Es kann mit dem Ausdünnen der Früchte verbunden werden und ist in vielen Betrieben bereits eine Standardmaßnahme, wenn sichtbarer Befall auftritt. Standard ist inzwischen auch die Empfehlung, bei Neuanlagen auf Unterstützungsmaterialien zu verzichten, die sich besonders gut als Winter­verstecke für Diapauselarven eignen (z.B. Tonkinstäbe, Weichholzpfähle).

Tab. 1. Auf drei Säulen basierendes Konzepts zum Resistenzmanagement bei der Apfelwicklerregulierung im Ökologischen Obstbau

Einsatz von biologischen Pflanzenschutzverfahren

Managementmaßnahmen

Nutzung funktioneller Biodiversität

CpGV Isolate: Virulenzmanagement

Reduktion des Befallsdrucks durch Absammeln befallener Früchte

Förderung und Schonung von Nützlingen (z.B. Parasitoide)

Verwirrungsmethode

Verzicht auf Unterstützungsmaterialien, die optimale Unterschlupfmöglichkeiten für überwinternde Larven bieten

Allgemeine Förderung und Schonung der Arthropodenfauna in der Obstanlage

Entomopathogene Nematoden

Ggf. Angebot von Winterverstecken, die später aus der Anlage entfernt werden

Förderung von anderen Gegenspielern (z.B. Vögel, Fledermäuse usw.)

Parasitoide spielen nach bisherigen Erfahrungen für das Niedrighalten der Population nur eine geringe Rolle, könnten aber bei starkem Befall dazu beitragen, diesen etwas niedriger zu halten. Die Förderung verschiedener Gegenspieler sowie einer vielfältigen Arthropodenfauna in der Anlage kann einem Betrieb mit akuten Apfelwicklerproblemen nicht als „Notfallmaßnahme“ empfohlen werden. Es ist jedoch sehr wichtig, die Bedeutung solcher Maßnahmen für die Stabilisierung langfristig tragfähiger Gesamtstrategien zu beachten. Hier wird an Systemen gearbeitet, die Integration solcher Maßnahmen als selbstverständliche Teile von Bausteinstrategien vermehrt in der breiten Praxis zu verankern.

Literatur

Jehle, J.A., 2008: The Future of Cydia pomonella Granulovirus in Biological Control of Codling Moth. In: Proceedings of the 13th International Conference on Cultivation Technique and Phytopathological Problems in Organic Fruit Growing. Ed. Föko, Weinsberg.

Kienzle, J., S. Buchleither, C. Scheer, C.P.W. Zebitz, 2006: Control of the appleseed moth Grapholita lobarzewskii Ragonot in organic fruit growing. In: Proceedings of the 12th International Conference on Cultivation Technique and Phytopathological Problems in Organic Fruit Growing. Ed. Föko, Weinsberg.

Kienzle, J., C.P.W. Zebitz, F. Volk, 2007: Erste Freilanduntersuchungen zur Wirkung von Madex plus, einem Präparat basierend auf einem selektionierten CpGV, auf CpGV-resistente Apfelwickler­populationen in Öko-Betrieben. 9. Wissenschaftstagung Ökolo­gischer Landbau.

Kienzle, J., D. Heinisch, P. Heyne, J. Kiefer, M. Trautmann, I. Toups, F. Volk, J. Zimmer, C.P.W. Zebitz, 2009: Einsatz von entomopathogenen Nematoden in der Strategie zur Regulierung des Apfelwicklers: Aktueller Stand und Empfehlungen. Öko-Obstbau 3, 2009.


ISSN (elektronisch): 1867-0938
ISSN (print): 1867-0911
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