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Originalarbeit – Mitteilung

Biodiversität in der Kulturlandschaft und Pflanzenschutzrecht

Biodiversity in cultivated landscape and plant protection law

Gerhard Gündermann
Institut
Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Braunschweig

Journal für Kulturpflanzen, 63 (3). S. 77–82, 2011, ISSN 0027-7479, DOI: 10.5073/JfK.2011.03.03, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dr. Gerhard Gündermann, Vizepräsident des Julius Kühn-Instituts – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, E-Mail: gerhard.guendermann@jki.bund.de
Zur Veröffentlichung angenommen
10. Januar 2011

Zusammenfassung

Biodiversität in der Kulturlandschaft kann in Konkurrenz zur Landwirtschaft stehen, hat aber auch vielfältige Synergien. Die rechtlichen Vorgaben im europäischen und deutschen Pflanzenschutzrecht tarieren die möglichen Interessenwiderstreite aus. Der Gesetzgeber knüpft bei der Zulassung und Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln an den jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik an, um unvertretbare Auswirkungen auf die Biodiversität zu vermeiden, bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln an gut informierte und ausgebildete Anwender und an ein Pflanzenschutzgerät nach dem neuesten technischen Standard. Die Gute Fachliche Praxis des Pflanzenschutzes ist ein Kenntnisstand, den der Gesetzgeber vom Anwender erwartet. Die Messung der Biodiversität, die den Erhalt und die Verbesserung der Biodiversität beeinflussen werden, ist ein neuer vom europäischen Gesetz­geber gestellter Auftrag. Die Transparenz des Pflanzenschutzes ist damit um eine weitere Dimension bereichert.

Stichwörter: Biodiversität, Gute Fachliche Praxis, integrierter Pflanzenschutz, Kulturlandschaft, nationaler Aktionsplan, Pflanzenschutzrecht, Pflanzenschutzmittel, Pflanzenschutzgeräte, Risikoindikatoren

Abstract

Biodiversity in the cultivated landscape can be in com­petition with agriculture, but it has got many synergetic effects. The rules of the European and German plant protection laws balance possible conflicts of interest. The authorization and the approval of plant protection products involve the actual state of science and technique thus avoiding unacceptable effects on biodiversity. Plant protection laws demand additionally well informed and educated farmers and technical equipment approved related to the latest state of the art. The measurement of the biodiversity is a new order of the European law and will influence the preservation and the improvement of biodiversity. The transparency of plant protection has been further improved thereby.

Key words: Biodiversity, good agricultural practice, integrated pest management, cultivated landscape, national action plan, plant protection laws, plant protection products, technical equipment for plant protection products, risk indicators

A Einführung

Die Erhaltung der Biodiversität in der Kulturlandschaft ist eine anspruchsvolle Aufgabe, weil die Kulturlandschaft im Gegensatz zur Naturlandschaft ein von Menschen geprägter und genutzter ländlicher Raum ist. Private und öffentliche Nutzungsinteressen stehen dort dem Erhaltungsinteresse gegenüber. Die Nutzungsinteressen in der Kulturlandschaft werden vor allem durch die Land- und Forstwirtschaft bestimmt, dazu gehört auch der Pflanzenschutz. Die Nutzungsinteressen der Wasserwirtschaft, des Tourismus und das Interesse an der Nutzung des Raumes für Zwecke wie Siedlung, Industrie, Gewerbe und Verkehr, stehen grundsätzlich nicht im Einklang mit den Erhaltungsinteressen der Kulturlandschaft. Im Rahmen dieser Veröffentlichung steht jedoch die landwirtschaftliche Nutzung und dort der Pflanzenschutz mit Blick auf das Erhaltungsinteresse der Naturräume im Vordergrund.

Unberührt bleibt im Rahmen dieses Beitrages die Agrobiodiversität, die alle Bestandteile der biologischen Vielfalt, die für die Agrarwirtschaft direkt von Bedeutung sind oder Schlüsselfunktionen von Agrarfunktionen sichern (1). Auch durch pflanzenschutzrechtliche Regelungen, wie z.B. die Prüfung von Pflanzen auf ihre Widerstandsfähigkeit gegen Schadorganismen gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 7 Pflanzenschutzgesetz (PflSchG) (2) erfolgt insoweit ein Beitrag.

Die Kulturlandschaft umfasst schon begrifflich nicht die urban genutzten Räume. Die menschengerechte Wohnbarmachung von Räumen und deren Erhaltung ist dort der oberste Zweck (3). Der Beitrag beschränkt sich auf die Biodiversität und den Pflanzenschutz in länd­lichen Räumen.

Die Aufgabe des Staates bei der Biodiversität ist auf der Basis einer Zustandsbeobachtung und -bewertung Erhaltungsziele zu bestimmen, Strategien zur Zielerreichung zu entwickeln, Maßnahmen zur Umsetzung festzulegen und Erfolgskontrollen vorzusehen. Der umfangreiche Indikatorenbericht 2010 zur nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (4) stellt dies nachhaltig unter Beweis. International rechtliche Abkommen zum Schutz der Biodiversität (5) und europarechtliche Vorgaben (6) bestimmten das Vorgehen. Übergeordnetes Interesse ist ein optimierender Ausgleich zwischen Nutzungs- und Erhaltungsinteressen.

Ein solcher Ausgleich gelingt umso besser, je mehr Synergien zwischen Schutz und Nutzung bestehen, da gerade Biodiversität in einer Kulturlandschaft eine Bewirtschaftung voraussetzt. Schutz erfordert damit eine bestimmte Form der Nutzung. Die Kulturlandschaft hat gerade deshalb ein besonderes Habitat- und Artenspek­trum hervorgebracht.

Leistet der Pflanzenschutz im Rahmen der Landbewirtschaftung einen Synergiebeitrag? Dazu werden die Ziele und Instrumente des Pflanzenschutzes für das Management der Biodiversität der Kulturlandschaft aus juris­tischer Sicht untersucht.

B Pflanzenschutzrechtliche Regelungen und Biodiversität

Pflanzenschutzrechtliche Regelungen setzen ein Ziel für die Biodiversität fest und stellen bestimmte Erfordernisse an das Pflanzenschutzmittel, den Anwender von Pflanzenschutzmitteln und das Pflanzenschutzgerät.

1 Ziel des Pflanzenschutzes für das Management der Biodiversität

Gem. § 1 Nr. 4 (PflSchG) ist es Zweck dieses Gesetzes u.a.: „Gefahren abzuwenden, die durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln oder durch andere Maßnahmen des Pflanzenschutzes, insbesondere für den Naturhaushalt, entstehen können.“ Damit wird ein allgemein qualitatives Ziel formuliert, nämlich Gefahren, die für den Naturhaushalt entstehen können, abzuwenden. Dies bedarf der Konkretisierung.

Der Begriff Naturhaushalt umfasst gem. § 2 Nr. 7 PflSchG die Bestandteile Boden, Wasser, Luft, Tier- und Pflanzenarten sowie das Wirkungsgefüge zwischen ihnen. Der Begriff Biodiversität ist die Kurzform des Begriffs Biologische Vielfalt und ein Sammelbegriff für die Gesamtheit aller Lebensformen auf allen Organisations­ebenen (7). Biodiversität beinhaltet somit verschiedene Stufen der Vielfalt, nämlich die genetische Diversität, die Artendiversität, die Ökosystem-Diversität und die funk­tionale Biodiversität, d.h. die Einbindung der Arten in das Ökosystem und ihre ökosystemare Leistung. Die Gesamtheit aller Lebensformen und ihre verschiedenen Ebenen sind von der Legaldefinition des Naturhaushaltes in § 2 Nr. 7 PflSchG umfasst. Um die Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes zu erhalten, ist der Erhalt der Bio­diversität notwendig. Die Konkretisierungen des quantitativen Zieles erfolgt in den nachfolgenden Bestimmungen.

2 Die Rechtsinstitute der Zulassung und Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln sowie der Wirkstoffaufnahme in Annex I der Richtlinie 91/414/EWG (8) als Instrumente für den Schutz und das Management der Biodiversität


Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3e PflSchG darf die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels keine unvertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt haben. Der Begriff „unvertretbare Auswirkungen“ wird weiter konkretisiert durch die dafür beizubringenden Unterlagen gem. §§ 1, 1a Pflanzenschutzmittelverordnung (9) und durch die Bewertung der Unterlagen gem. § 1a Abs. 6 Pflanzenschutzmittelverordnung iVm Anhang VI der Richtlinie 91/414/EWG.

Damit wird das qualitative Ziel um ein quantitatives Element, nämlich keine unvertretbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt, ergänzt. Das für die Bewertung der unvertretbaren Auswirkung entwickelte Prüfsystem ist schon vom Wortlaut her weder auf den Erhalt des Istzustandes noch auf die Förderung des Naturhaushaltes ausgerichtet, der durch das Pflanzenschutzmittel verursachte Eingriff soll nämlich nicht unvertretbar sein. Das Ziel ist orientiert an dem Stand der Wissenschaft und Technik gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 PflSchG. Der Naturhaushalt und damit auch die Biodiversität darf in Konkurrenz des jeweiligen Pflanzenschutzmittels nicht unvertretbar weder kurz- noch langfristig beeinträchtigt werden. Eine vertretbare Beeinträchtigung in Konkurrenz mit den Pflanzenschutzmitteln zur Bewirtschaftung der Kulturlandschaft soll hingenommen werden. Dies bedeutet insbesondere keine kurzfristige noch langfristige nachhaltige Beeinträchtigung der Biodiversität.

Dieses quantitative Ziel wird im Rahmen der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels nicht exakt gemessen, sondern durch Bewertung bestimmter Organismen wie z.B. durch die Auswirkung auf Bienen oder Regen­würmer nach gesetzlich festgelegten Testleitlinien durchgeführt. Diese Testleitlinien nehmen wiederum Bezug auf wissenschaftlich erarbeitete und vereinbarte Leit­linien (z.B. European and Mediterranean Plant Protection Organization – EPPO). Die Leitlinien sind in Anhang II der Richtlinie 91/414/EWG festgelegt. Die Bewertung erfolgt beispielsweise für die Honigbiene nach Anhang VI 2.5.2.3 der Richtlinie 91/414/EWG oder der Regenwürmer nach Anhang VI 2.5.2.5 der Richtlinie 91/414/EWG. Das Bewertungssystem ist bezogen auf jeden Prüforganismus gestuft und lässt über Labortests auch den sogenannten praktischen Beweis zu. Der Labortest ist jedoch nicht näher beschrieben und bedarf einer nach Stand von Wissenschaft und Technik vereinbarten Vorgehensweise bei einer Inanspruchnahme durch den Antragsteller.

Dieses Prinzip des Schutzes des Naturhaushaltes und damit auch der Sicherung der Biodiversität setzt sich bei dem Genehmigungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln, wie z.B. zur Lückenschließung (§ 18 ff. PflSchG), fort. Das Genehmigungsverfahren knüpft an zugelassene Pflanzenschutzmittel an.

Mit der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (10) hat sich diese Zielsetzung bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nicht verändert. Die Rechtsinstitute für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wurden im Interesse der stärkeren Harmonisierung der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Europa verbreitert. Die sogenannte Zonenzulassung gem. Artikel 29, 35 ff. i.V.m. Artikel 3 Nr. 17 und Anhang I der Verordnung mit einem vor­gegebenen Zeitmanagement bei der Zulassung gemäß Artikel 37 der Verordnung lässt dieses Ziel unberührt. Das Management bei der Zulassung identifizierter Risiken ist weiterhin nationale Angelegenheit. Abstände zu Gewässern oder zu schützenden Biotopen etc. basieren auf nationalen Berechnungen und Managementmaßnahmen und werden umgesetzt mit den in Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumenten. Dies sind in Deutschland Anwendungsbestimmungen gem. § 15 Abs. 2 Nr. 2 und 3 PflSchG oder Auflagen gem. § 15 Abs. 4 PflSchG. Darüber hinaus können weitere Nebenbestimmungen gem. § 34 VerwVerfG (11) gemacht werden.

Die auf EU-Ebene stattfindende Wirkstoffprüfung und Aufnahme in Annex I der Richtlinie 91/414/EWG hat das System der Prüfung der unvertretbaren Auswirkung auf den Naturhaushalt übernommen. Artikel 4 Abs. 3e der Verordnung legt dies nunmehr gesetzlich fest. Artikel 4 Abs. 3e der Verordnung fordert „keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt“. Damit ist kein anderes Niveau als der Schutz des Naturhaushaltes betroffen, der Begriff Umwelt ist nämlich entsprechend dem Begriff Naturhaushalt zu verstehen. § 2 Nr. 6 PflSchG mit der Definition des Naturhaushaltes steht nicht hinter dem Begriff „Umwelt“ gemäß Artikel 3 Nr. 13 der Verordnung zurück, der Begriff „Umwelt“ wird dort nur breiter erläutert.

Durch Artikel 4 Abs. 3e der Verordnung werden die besonderen Prüfbereiche nochmals hervorgehoben, nämlich die Bewertung der Effekte des Verbleibs und der Aus­breitung des zu prüfenden Pflanzenschutzmittels, die Bewertung der Effekte auf die Auswirkung auf die nicht zu bekämpfenden Arten und schließlich die Bewertung der Effekte der Auswirkung auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem. Damit hat der Gesetzgeber das besondere Anliegen in diesem Prüfbereich nochmals hervorgehoben. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob dort noch weitere Anforderungen gemäß dem Verfahren nach Artikel 78 ff. der Verordnung entwickelt werden.

3 Biodiversität durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln


3.1 Grundsätzlich ist der Schutz der Biodiversität durch die Zulassung des Pflanzenschutzmittels und der Ein­haltung der Anwendungsbestimmungen gewährleistet. Darüber hinaus gibt es jedoch generelle Verpflichtungen und Grundsätze bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, auch zum Schutz der Biodiversität. Der Gesetzgeber hat dieses Ziel mit der Regelung in § 2a Abs. 1 Nr. 2 Pflanzenschutzgesetz qualitativ vorgegeben, indem er den Zweck der Guten Fachlichen Praxis, nämlich Gefahrenabwehr für den Naturhaushalt und damit auch für die Biodiversität, gleichrangig neben der Gefahrenabwehr von Gesundheit von Mensch und Tier stellt. Wie dies bewerkstelligt werden soll, ist durch die veröffentlichten Grundsätze der Guten Fachlichen Praxis (12) gemäß § 2a Abs. 2 Pflanzenschutzgesetz erfolgt.

Die Grundsätze konkretisieren die qualitativen Zielvorgaben zum Schutz des Naturhaushaltes und der Biodiversität, ein qualitativ messbares Ziel wird jedoch nicht festgelegt. Gemäß Nr. 12 der Bekanntmachung ist beispielsweise Abdrift grundsätzlich zu vermeiden. Dies gilt besonders für Abdrift zu Gewässern und besonders schützenswerten Biotopen.

Zum Schutz der Biodiversität auf der Zielfläche sind beispielsweise Maßnahmen zu beachten, die einen Befall durch Schadorganismen vorbeugen (Nr. 5 der Bekanntmachung), die Auswahl geeigneter Pflanzenschutzmittel bei einer erforderlichen Bekämpfung (Nr. 7 der Bekanntmachung) oder der Einsatz von geeigneten und funktionssicheren Pflanzenschutzgeräten (Nr. 11 der Bekanntmachung).


3.2 Mit § 6 Abs. 1 PflSchG wird die qualitative Zielvor­gabe, Schutz der Biodiversität, in besonderer Weise, konkretisiert.

§ 6 Abs. 1 S. 1 PfSchG ist das gesetzliche Beachtungsgebot der Guten Fachlichen Praxis bei den einzelfall- und flächenbezogenen Pflanzenschutzmaßnahmen. Dies umfasst auch den Schutz der Biodiversität und die Möglichkeit, entsprechende behördliche Anordnungen gemäß § 6 Abs. 1 S. 6 PflSchG zu treffen.

§ 6 Abs. 1 S. 3–5 PflSchG hebt den Schutz der Bio­diversität bei den besonders geschützten Arten hervor.

Nach § 6 Abs. 1 S. 3 PflSchG ist die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bei wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten, der wild lebenden Tiere der streng geschützten Arten, der europäischen Vogel­arten und der wild lebenden Pflanzen der besonders geschützten Arten verboten, es sei denn, der Pflanzenschutz wird nach den Grundsätzen des § 2a PflSchG durchgeführt (§ 6 Abs. 1 S. 5 PflSchG) und der Erhaltungszustand der lokalen Population wird nicht verschlechtert (§ 6 Abs. 1 S. 4 PflSchG). Mit § 6 Abs. 1 S. 6 PflSchG wird ein Verschlechterungsverbot einer lokalen Population in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet bei wild lebenden Tieren und Pflanzen in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 (13) oder der europäischen Vogelarten der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 (14) festgesetzt. Der Schutz der Biodiversität wird bei den besonders und streng geschützten Arten durch den Gesetzgeber nochmals hervorgehoben, und es wird ein besonderes Beachtungsgebot vom Anwender von Pflanzenschutzmitteln gefordert. Der Gesetzgeber hat dies flankiert durch die persönlichen Anforderungen an den beruflichen Anwender von Pflanzenschutzmitteln, der Anwender braucht deshalb gemäß § 10 Abs. 1 PflSchG unter anderem dafür die erforderlichen fachlichen Kenntnisse.


3.3 Die qualitative Zielvorgabe, Schutz der Biodiversität, will der Gesetzgeber bereits durch persönliche Anforderungen bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und bei der Abgabe sowie Beratung über die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln sicherstellen.

Die berufliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln erfordert gemäß § 10 Abs. 1 Pflanzenschutzgesetz einen Sachkundenachweis. Der Sachkundenachweis kann durch einen Befähigungsnachweis gemäß §§ 1 Abs. 2, 1a und 1b Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung (15) oder durch eine Prüfung gemäß § 2 Pflanzenschutz-Sachkunde­verordnung erbracht werden. Die durch die Prüfung geforderten Kenntnisse umfassen unter anderem Wissen um den integrierten Pflanzenschutz, indirekte und direkte Pflanzenschutzmaßnahmen und das Verhindern von schädlichen Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf Mensch, Tier und Naturhaushalt. Der geforderte Kenntnisstand ist die Wissensbasis für die situations­gerechte Entscheidung über durchzuführende Pflanzenschutzmaßnahmen und soll auch die qualitative Zielvorgabe, Schutz der Biodiversität, sicherstellen. Bestimmte Berufsausbildungen, Hochschulabschlüsse, Fort- und Umschulungsmaßnahmen sowie Befähigungsnachweise aus anderen Mitgliedsstaaten werden der durch Prüfung erworbenen Sachkunde gemäß §§ 1 Abs. 2a, 1a, 1c Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung gleichgestellt.

Der Gesetzgeber etabliert den Beginn des Schutzes der Biodiversität jedoch bereits in die Abgabe von Pflanzenschutzmitteln gemäß § 22 Pflanzenschutzgesetz. Gemäß § 3 Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung muss derjenige, der Pflanzenschutzmittel im Einzelhandel abgibt, genauso wie der Anwender dieselben Kenntnisse gemäß § 2 Abs. 2 Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung nachweisen und zusätzlich die Kenntnisse für die Unterrichtung des Erwerbers gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung besitzen. Die abschließend in § 3 Abs. 2 Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung genannten Berufe gelten als sachkundig für die Abgabe von Pflanzenschutzmitteln.


3.4 Die qualitative Zielvorgabe, Schutz der Biodiversität, wird weiterhin durch die gesetzlichen Anforderungen für die Pflanzenschutzgeräte optimiert.

Die eingesetzte Gerätetechnik soll bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln die bestmögliche Gerätetechnik sein. Pflanzenschutzgeräte dürfen nur auf den Markt gebracht werden, wenn sie bei bestimmungsgemäßer und sachgerechter Anwendung beim Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln u.a. keine vermeidbaren schäd­lichen Auswirkungen auf den Naturhaushalt gemäß § 24 PflSchG haben. Die durch das Erklärungsverfahren geforderte Einhaltung der Vermeidbarkeit schädlicher Auswirkungen nach dem Stand der Technik kann auch gemäß § 27 PflSchG überprüft werden.

Um die Funktionsfähigkeit und die bestmögliche Technik bei Pflanzenschutzgeräten auch im praktischen Betrieb sicherzustellen und die vermeidbaren Auswirkungen auf den Naturhaushalt zu unterbinden, unterliegt das Pflanzenschutzgerät einer regelmäßigen Prüfung gemäß § 7 Pflanzenschutzmittelverordnung.

Die Prüfung und Listung von Abdrift mindernden Düsen durch das Julius Kühn-Institut gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 5 PflSchG und das Vorschreiben von bestimmten Abdrift mindernden Düsen bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln durch Anwendungsbestimmungen gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 2 Pflanzenschutzgesetz ist eine weitere Stufe der Optimierung des technikorientierten Schutzes des Naturhaushaltes und damit des Schutzes der Bio­diversität.

C Wird der Schutz der Biodiversität verändert und erweitert?

Mit der Novellierung und Neufassung von europäischen Regelungen wird der Schutz der Biodiversität in der Kulturlandschaft verändert und erweitert werden.


1 Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 lässt grundsätzlich das Schutzniveau der Biodiversität bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unberührt. Es werden neue Rechtsinstitute, wie z.B. die zonale Zulassung eingeführt. Die Harmonisierung der Zulassung wird durch die unmittelbare Geltung der Verordnung in dem Mitgliedsstaat sichergestellt. Es verbleibt Regelungsbedarf für die nationalen Zuständigkeiten, für die Zulassung und die durch die Verordnung verbliebenen Ausfüllungsmöglichkeiten*.


2 Die Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments des Rates über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (16) erweitert den durch Gesetz vorgeschriebenen Schutz der Biodiversität. Die Umsetzung soll in nationales Recht bis spätestens 14. Dezember 2011 erfolgen.


2.1 Der Schutz der Biodiversität wird durch den gemäß Art. 5 der Richtlinie geforderten Sachkundenachweis des Beraters erweitert. Die beruflichen Anwender von Pflanzenschutzmitteln, die Berater und Vertreiber von Pflanzenschutzmitteln müssen sich desweiteren Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen in regelmäßigen Abständen unterziehen. Der Gesetzgeber will damit nicht nur die Sensibilisierung und Verbreiterung des Kenntnisstandes im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln sicherstellen, sondern vor allem auch den zeitnahen Transfer des neuesten Standes der Erkenntnisse in der Durchführung von Pflanzenschutzmaßnahmen gewährleisten. Der Transfer der Wissenschaft zur Praxis soll verkürzt und damit auch der Schutz und Erhalt der Biodiversität optimiert werden.


2.2 Die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes sollen gemäß Art. 14 und Anhang III der Richtlinie von den Mitgliedsstaaten verpflichtend gemacht werden. Neu und damit eine Konkretisierung der Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes sind die von den Mitgliedsstaaten geforderten Anreize an berufliche Anwender von Pflanzenschutzmaßnahmen zur freiwilligen Umsetzung von Kultur- oder sektorspezifischen Leitlinien zum integrierten Pflanzenschutz gemäß Art. 14 Abs. 5 der Richt­linie. Dies hat auch eine Differenzierung des integrierten Pflanzenschutzes durch einen kulturbezogenen oder sektorbezogenen Pflanzenschutz zur Folge. Der Schutz der Biodiversität wird damit verbessert und mehr flächen- und ortsbezogen.


2.3 Eine wesentliche Neuerung ist die Messung des Risikos der Pflanzenschutzmaßnahmen durch noch zu findende harmonisierte Risikoindikatoren gemäß Art. 15 der Richtlinie. Ziel ist neben der Verringerung der Risiken auch die Verringerung der Auswirkungen der Pflanzenschutzmittel auf den Menschen, die Gesundheit und die Umwelt. Damit sollen auch die Auswirkungen auf die Biodiversität als Teil des Naturhaushalts einer Messung zugeführt werden. Die Ergebnisse werden gemäß Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie auch dazu genutzt, um Fortschritte bei der Verwirklichung der Ziele in anderen Politikfeldern zu bewerten (17). Die möglicherweise erforderlichen Maßnahmen aufgrund der Messungen durch harmonisierte Risikoindikatoren finden unter anderem ihren Niederschlag im nationalen Aktionsplan.


2.4 Der nationale Aktionsplan gemäß Art. 4 der Richt­linie soll der zentrale Fixpunkt sein, indem sich die gesetzgeberischen, administrativen und politischen Vorgaben und Vorhaben für den Pflanzenschutz finden, letztlich ein Rechenschafts- und Handlungsbericht für die Öffentlichkeit, für die Kommission und für die anderen Mitgliedsstaaten. Bei der Aufstellung und der Überprüfung sind unter anderem auch die ökologischen Auswirkungen, mithin auch die Wirkungen auf die Biodiversität zu berücksichtigen.

Eine unmittelbare Wirkung für den Einzelnen entfaltet der Aktionsplan nicht, jedoch hat er Wirkung bei Pflanzenschutzmaßnahmen, die für oder gegen den Einzelnen durch die zuständige Behörde zu treffen sind, wie z.B. bei einer Anordnung gemäß § 6 Abs. 1 S. 7 PflSchG.


2.5 Mit der Richtlinie 2009/127/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2006/240/EG betreffend Maschinen zur Ausbringung von Pestiziden (18) wird das obligatorische Erklärungsverfahren für Pflanzenschutzgeräte aufgehoben. Das Vorliegen der Umwelteigenschaften des Pflanzenschutzgerätes ist nunmehr vom Hersteller oder Inverkehrbringer im Rahmen der CE-Kennzeichnung zu überprüfen. Dieser Systemwechsel lässt das Herstellen des Gerätes nach den entwickelten und harmonisierten Prüfkriterien und für den Schutz der Umwelt unberührt. Die Verantwortung des Herstellers und desjenigen, der das Pflanzenschutzgerät auf den Markt bringt, soll gestärkt werden. Das Ziel, vermeidbare Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes nach dem jeweiligen technischen Stand, soll mit der CE-Kennzeichnung gewährleistet sein.

Die regelmäßige Überprüfung der in Gebrauch befindlichen Pflanzenschutzgeräte wird durch Art. 8 der Richtlinie 2009/128/EG nunmehr in allen Mitgliedsstaaten gefordert. Das Niveau der Überprüfung und damit auch der Schutz des Naturhaushaltes und der Biodiversität durch ein funktionsfähiges Pflanzenschutzgerät bleiben unberührt.


2.6 Mit der Verordnung (EG) Nr. 1185/2009 des Euro­päischen Parlaments des Rates vom 25.11.2009 über Statistiken zu Pestiziden (19) werden harmonisierte und vergleichbare Gemeinschaftsstatistiken über Verkauf und auch über die Verwendung von Pestiziden erhoben. Die Statistik über die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln ist eine entscheidende Grundlage für die Berechnung von Risikoindikatoren**.

D Zusammenfassung und Fazit

In der Kulturlandschaft kommt es für den Schutz der Biodiversität wesentlich darauf an, eine naturverträgliche Landwirtschaft sicherzustellen. Der europäische wie auch der deutsche Gesetzgeber haben dafür im Bereich des Pflanzenschutzes die notwendigen Regelungen geschaffen und durch die Richtlinie 2009/128/EG wird die nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in den Mittelpunkt gerückt, damit wird auch der Schutz der Biodiversität in der Kulturlandschaft verbessert und transparenter gemacht. Das durch den nationalen Aktionsplan zu erwartende Strategiepotenzial wird für den Bereich des Schutzes der Biodiversität stimulierend sein. Der Schutz der Biodiversität wird künftighin kontrolliert werden können, der Steuerungshebel liegt in den harmonisierten Indikatoren. Die Biodiversitätspolitik bekommt durch die Richtlinie 2009/128/EG eine neue Dimension. Geld ist nicht mehr das einzige Steuerungsmittel.

Literatur

(1) Agra-Europe 29/09, 13.07.2009, S. 1.

(2) Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen, Pflanzenschutzgesetz vom 14.05.1998, zuletzt geändert am 05.03.2008, BGBl. I, S. 284.

(3) Vgl. auch Kolodziejcok/Recken/Apfelbacher/Iven, Naturschutz, Landschaftspflege, Berlin, Lose Blatt, Stand: 2006, § 5 BNATSchG, Randnr. 17.

(4) Agra-Europe 49/10, 6. Dez. 2010, S. 1 ff.

(5) Vgl. Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD 1992) – Deutschland hat das Übereinkommen 1993 ratifiziert (Gesetz zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt v. 30.08.1993, BGBl. II, Nr. 32, S. 1741 ff.), aber auch die Berner Konvention über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere in ihren natürlichen Lebensräumen (1979) oder die Bonner Konven­tion zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten (1979).

(6) Vogelschutzrichtlinie aus dem Jahr 1979 und die Fauna-, Flora-, Habitat-Richtlinie aus dem Jahr 1992.

(7) Vgl. auch die Legaldefinition von § 7 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz vom 29.07.2009, BGBl. I S. 2542.

(8) Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. L 230 vom 19.08.1991.

(9) Verordnung über Pflanzenschutzmittel und Pflanzenschutzgeräte, Pflanzenschutzmittelverordnung vom 09.03.2005 i.d.F. vom 13.12.2007, BGBl. I, S. 2930.

(10) Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 vom 21.10.2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG.

(11) Verwaltungsverfahrensgesetz vom 23.01.2003, BGBl. I, S. 102.

(12) Grundsätze für die Durchführung der guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz, Bekanntmachung vom 30.03.2010, BAnz Nr. 76 a vom 21.05.2010.

(13) ABl. EG Nr. L 206, S. 7.

(14) ABl. EG Nr. L 59, S. 61.

(15) Pflanzenschutz-Sachkundeverordnung vom 28.07.1987 i.d.F. vom 28.12.2010, BGBl. I S. 872.

(16) ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 71.

(17) Vgl. z.B. Mitteilung der Kommission vom 04.02.1998 über eine Gemeinschaftsstrategie zur Erhaltung der Artenvielfalt, KOM 1998, 42 und Mitteilung der Kommission vom 22.05.2006: Eindämmung des Verlustes der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 und darüber hinaus – Erhaltung der Ökosystemleistung zum Wohle der Menschen, KOM 2006, 216.

(18) ABl. L 310 vom 25.11.2009, S. 29.

(19) ABl. L 324 vom 10.12.2009, S. 1.


Fußnoten:

*  

 Vgl. auch Ausführungen unter A Nr. 2

**  

 Vgl. Ausführungen unter B 2.3

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