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Übersichtsarbeit

Was bedeutet Vorratsschutz, was versteht man unter Nachernteschutz, wo endet der Pflanzenschutz? Eine Darlegung im Hinblick auf die Erarbeitung spezifischer Leitlinien für den integrierten Pflanzenschutz im Sektor Vorratsschutz

What is stored product protection, what is meant by the term post-harvest, where does plant protection end? An explanation in terms of the development of specific guidelines for integrated pest management in the sector stored product protection

Gabriele Flingelli, Dagmar W. Klementz und Cornel Adler
Institut
Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für ökologische Chemie, Pflanzenanalytik und Vorratsschutz, Berlin

Journal für Kulturpflanzen, 66 (8). S. 276–280, 2014, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2014.08.02, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Gabriele Flingelli, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für ökologische Chemie, Pflanzenanalytik und Vorratsschutz, Königin-Luise Straße 19, 14195 Berlin, E-Mail: gabriele.flingelli@jki.bund.de
Zur Veröffentlichung angenommen
12. März 2014

Zusammenfassung

Zum Begriff ‚Vorratsschutz‘ sind unterschiedliche Auffassungen möglich und gegenwärtig umgangssprachlich im Gebrauch. Für die Erstellung spezifischer Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes für den Sektor Vorratsschutz, so wie es der Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln der Bundesregierung vorsieht, eignet sich im Resümee jedoch der Begriff ‚Vorratsschutz‘ gemäß seiner Begriffsbestimmung aus dem Pflanzenschutzgesetz im Vergleich zu der umfassenderen Wendung, ‚Vorrats- und Nachernteschutz‘ am besten, weil es hier ausschließlich um den Schutz lagerfähiger Pflanzenerzeugnisse (z.B. Getreide) geht. In der vorliegenden Arbeit wird gezeigt, dass der Vorratsschutz eine spezifische Maßnahme zum Schutz von Erzeugnissen pflanzlichen Ursprungs, die nicht oder nur durch einfache Verfahren be- oder verarbeitet worden sind, ist. Der Begriff ‚Nachernteschutz‘ sollte aus Sicht der Autoren im Sinne des englischen Sprachgebrauchs für den Schutz verderblicher Erntegüter, wie Obst und Gemüse verwandt werden. Die Nähe vieler Vorratsgüter pflanzlichen Ursprungs zum Lebensmittel und die Vielzahl an Bioziden mit Wirkstoffen, welche zum Teil auch für bestimmte Zweckbestimmungen im Vorratsschutz zugelassen sind, führen dazu, dass zukünftige Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes im Sektor Vorratsschutz auch die Biozidprodukte nicht unbeachtet lassen können. Insbesondere ein Resistenzmanagement, wie es die Grundsätze des Integrierten Pflanzenschutzes gemäß Anhang III der Richtlinie 2009/128/EG fordern, sollte diesem Sachverhalt Rechnung tragen.

Stichwörter: Vorratsschutz, Nachernteschutz, Integrierter Pflanzenschutz (IPS), Leitlinien

Abstract

The German term ‘Vorratsschutz’ i.e. ‘stored product protection’ is often similarly used for the corresponding but more overall term ‘Nachernteschutz’ i.e. ‘post harvest protection’. This colloquial use does not identically match the meaning of the original word ‘Vorratsschutz’. But when developing specific guidelines for integrated pest management in the matters of ‘stored product protection’ (see ‘National Action Plan for the sustainable use of pesticides’ by the Federal Government, 2013) the term ‘Vorratsschutz’ is the more suitable one according to its strict definition from the German Plant Protection Act, being a specific measure for the protection of products of plant origin in an unprocessed state or having undergone only simple preparation. In order to avoid confusions the authors suggest to distinguish ‘Vorratsschutz’ from ‘Nachernteschutz’. The latter refers more to perishable crops. Because of applications for hygienic reasons and the great number and variety of biocides containing active substances also approved for plant protection products future guidelines for integrated pest management in stored product protection should consider these biocidal products as well. In particular, the resistance management as required by the general principles of Integrated Pest Management (IPM), laid down in the Directive 2009/128/EC Annex III, should be taken into account.

Key words: Stored product protection, Post harvest, Integrated pest management (IPM), Guidelines

1 Einleitung

Seit April 2013 liegt der Nationale Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (NAP) vor. Die Bundesregierung hat darin globale Ziele formuliert, vornehmlich sind die Reduktion von Risiken und negativen Auswirkungen durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln für die menschliche Gesundheit und den Naturhaushalt zu nennen.

In diesem Kontext sollen die Einführung und Weiterentwicklung von Pflanzenschutzverfahren mit geringen Pflanzenschutzmittelaufwendungen gefördert werden. Hierzu gehören der integrierte Pflanzenschutz und der ökologische Landbau.

Weitere Ziele werden im Bereich des Pflanzenschutzes angegeben, welche auch den Anwendungsbereich Vorratsschutz betreffen. Hier ist vor allem die Verbesserung der Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln und alternativen Maßnahmen zu nennen. Vorrangig sind im Vorratsschutz zur Prävention spezielle Lagerungsweisen erforderlich, denn bei Befall sind die Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes meist nur noch eingeschränkt wirksam. Tritt letzterer Fall ein, so basiert ein nachhaltiger Pflanzenschutz auf einer ausreichenden Zahl an nicht-chemischen und chemischen Pflanzenschutzverfahren. Dies gewinnt im Zusammenhang mit einer wirksamen Resistenzstrategie besondere Bedeutung. Für einige Anwendungen in Deutschland, z.B. die Schädlingsbekämpfung in der Entwesung von Rohkakao sind die Auswahlmöglichkeiten bei der Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel stark begrenzt. Deshalb wurden als Maßnahmen innerhalb des NAP ein „Aktionsplan zur Verbesserung der Situation im Vorratsschutz“ und die Erarbeitung von Leitlinien für den integrierten Pflanzenschutz im Sektor ‚Vorratsschutz‘ aufgenommen. Beide Maßnahmen werden durch das Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen wissenschaftlich begleitet.

Leitlinien zum integrierten Pflanzenschutz werden bereits in der Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (sog. Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie) als wich­tiges Instrument zur Erreichung der Ziele erachtet. Die Grundsätze des integrierten Pflanzenschutzes sind im Anhang III der Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie aufgeführt. Auf der Grundlage von Leitlinien sollen auch hier die Einführung und die Weiterentwicklung eines integrierten Pflanzenschutzes befördert werden.

Vorräte finden sich in unterschiedlichen Bereichen. Vom Landwirt bis hin zum lebensmittelverarbeitenden Betrieb müssen Getreide, Hülsenfrüchte aber auch weitere pflanzliche Erzeugnisse für unterschiedliche Zeitperioden und Zwecke eingelagert werden. Die Grenzen zwischen pflanzlichem Erzeugnis nach der Ernte und Lebensmittel sind zum Teil fließend und in der Praxis nicht immer leicht zu bestimmen. Dementsprechend nahe stehen die Rechts­bereiche des Pflanzenschutzes und der Lebens- und Futtermittelgesetzgebung beieinander.

Zudem wird im Zusammenhang mit dem Schutz von Pflanzenerzeugnissen immer wieder der Begriff ‚Nach­ernteschutz‘ sehr allgemein verwendet, was zusätzlich zur Begriffsverwirrung führen kann.

In den nachfolgenden Ausführungen wird deshalb erörtert, warum bei der Erstellung von Leitlinien für den integrierten Pflanzenschutz im Sektor Vorratsschutz der Blick zusätzlich auf den Bereich der Lebensmittel gerichtet sein sollte. Beabsichtigt ist, den Begriff ‚Vorratsschutz‘ dahingehend abzustimmen, wie er nach den gesetzlichen Grundlagen verstanden und für kommende Ausführungen und für den Geltungsbereich der Leitlinien zugrunde liegen wird.

2 Vorratsschutz und Nachernteschutz

Die Begriffe ‚Vorratsschutz‘ und ‚Nachernteschutz‘ werden oft synonym verwendet, da sie sich auf sehr ähnliche Sachverhalte beziehen. Zum allgemeinen Verständnis von Vorratsschutz bestehen selbst in Fachkreisen je nach Blickwinkel unterschiedliche Ansichten.

Zunächst sei der Begriff ‚Vorratsschutz‘ näher beleuchtet:

Bereits Zacher (1944) stellt „…die sorgsame Pflege aller Nahrungsmittelvorräte…“ und den Schutz vor Schäden an Wirtschaftsgütern, welche durch „…die kleinen Mit­bewohner unserer Erde, besonders Insekten, Milben und Nagetiere…“ angerichtet werden, als „dringendes Gebot“ heraus. Ebenfalls wurde als eine Beschreibung einer Aufgabenstellung (Anonymus, 1954) der Begriff ‚Vorratsschutz‘ im Gegensatz zum Schutz der „…wachsenden Kulturpflanze vor Krankheiten und Schädlingen…“ mit dem Auftrag, „…die erzeugten lagernden Produkte vor Verlust und Verderb zu bewahren...“, erklärt.

Reichmuth (2007) erfasst das Themenfeld ‚Vorratsschutz‘, indem er auf die schädlichen Organismen und die Vorratsgüter eingeht. Erstere zeichneten sich dadurch aus, „…dass ihnen landwirtschaftliche Produkte mit relativ geringem Wassergehalt (Getreide, Nüsse, Samenkerne, getrocknetes Obst und Gemüse, Trockenfisch und Trockenfleisch) dennoch als Nahrung dienen. Sie vermögen zum Teil, die Produkte so zu verdauen, dass sie das für ihre Entwicklung erforderliche Wasser metabolisch erzeugen…“. Reichmuth erweitert das Spektrum der Schad­organismen um Vögel und Schnecken sowie „…Pilze und Bakterien, die allerdings typischerweise nur nach der Ernte und Schlachtung und nicht bereits während der Produktion im Feld auftreten…“.

In den Technischen Regeln und Normen der Schädlingsbekämpfung (TRNS) ‚Gesundheits- und Vorratsschutz‘ ist der Vorratsschutz als die ‚Beseitigung bzw. Reduzierung von Vorratsschädlingen (VS) in Gebäuden/Betriebsstätten, die dem Wohnen, Aufhalten, Produzieren und Lagern dienen‘ definiert (TRNS, 2013).

Je nach Blickwinkel und aus der Historie verständlich erfolgt also die Annäherung an den Begriff ‚Vorratsschutz‘ entweder über das Forschungsgebiet, über die Vorräte oder oft über die jeweilig auftretenden typischen Schad­erreger. Dabei ist in vielen Fällen der Bezug zur Kulturpflanze und dem Nahrungsmittel erkennbar, wenngleich auch bereits bei Reichmuth (1998) auch auf den allgemeinen, sehr weiten Sprachgebrauch von ‚Vorrat‘ hingewiesen wird.

Eng mit der Frage, was der Vorratsschutz bedeutet, ist die Frage verknüpft, wie sich die Maßnahmen und Anwendungen im Vorratsschutz darstellen. Mit einer Einteilung in drei wesentliche Bereiche, der Schädlingsvermeidung, Schädlingsfrüherkennung und der Bekämpfung, wie bei Adler (1998) (Abb. 1), zeigt sich ein Feld von Maßnahmen, welche helfen, den Begriff,Vorratsschutz‘ in seiner Komplexität zu fassen.

Abb. 1. Elemente und Maßnahmen des Vorratsschutzes (nach Adler, 1998).

Abb. 1. Elemente und Maßnahmen des Vorratsschutzes (nach Adler, 1998).

Letztlich verbindlich wird allerdings in der deutschen Gesetzgebung gemäß Pflanzenschutzgesetz (PflSchG § 21b) der Begriff ‚Vorratsschutz‘ dem Schutz von Pflanzenerzeugnissen vor Schadorganismen zugeordnet. Unter den Begriffsbestimmungen heißt es dazu genau: 1. Pflanzenschutz: b) der Schutz der Pflanzenerzeugnisse vor Schadorganismen (Vorratsschutz). Schadorganismen in gelagerten Pflanzenerzeugnissen sind Insekten und Milben, Wirbeltiere (Nager und Vögel) sowie Mikroorganismen bei erhöhter Produktfeuchte. Diese Schadorganismen machen allerdings auch vor verarbeiteten Produkten nicht Halt. Daher ist auch der Schutz von Vorräten bis hin zum Verbraucher ein Thema, welches über das Pflanzenschutzrecht hinausgeht.

Die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln definiert in Art. 3 Punkt 6 den Begriff ‚Pflanzenerzeugnisse‘ als aus Pflanzen gewonnene Erzeugnisse, welche unverarbeitet oder durch einfache Verfahren wie Mahlen, Trocknen oder Pressen bearbeitet sind. Ausgenommen davon sind Pflanzen.

Das Pflanzenschutzmittelverzeichnis listet die in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel und u.a. deren Anwendungen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2013). Unter das Einsatz­gebiet ‚Vorratsschutz‘ fallen darin die Anwendungen von zulassungspflichtigen Pflanzenschutzmitteln auf Vorratsgüter, z.B. direkt auf das Lagergut gegen vorratsschäd­liche Insekten, und in Objekten, z.B. in leeren Räumen, Speichern oder Mühlen. Typische Beispiele bei der Zulassung von Anwendungen im Vorratsschutz sind vorrats­lagerndes Getreide, Hülsenfrüchte, Schalenobst oder Rohkaffee und Kakao. Auch Getreideerzeugnisse wie Mahl­erzeugnisse, Schälmühlenerzeugnisse und Stärke sowie getrocknetes Obst, Gemüse und Teedrogen, Arzneipflanzen, Gewürze, Heu oder Expeller stellen im Rahmen der Beschreibung der zugelassenen Anwendung eines Pflanzenschutzmittels Vorratsgüter dar. Dagegen zählen die keimhemmende Behandlung von Kartoffeln oder die Anwendung von Wachstumsreglern z.B. bei Äpfeln nach der Ernte nicht zu Anwendungen im Vorratsschutz.

Für alle diese Produkte typische Charakteristika sind die Merkmale ‚Einlagerung‘ und ‚Schutz nach der Ernte‘, was die Frage aufwirft, wo die Abgrenzung der Be­griffe,Vorratsschutz‘ und ‚Nachernteschutz‘ zu ziehen ist. Da der Schutz nach der Ernte beginnt, läge es zunächst vordergründig nahe, beide Begriffe synonym zu gebrauchen. Problematisch ist dabei jedoch, dass in Analogie zum englischen Sprachgebrauch unter dem Begriff ‚Nach­ernteschutz‘ ausschließlich der Schutz von verderblichen Ernteprodukten, wie Obst und Gemüse, zu verstehen ist.

Für den englischen Sprachgebrauch ist als Übersetzung von ‚Vorratsschutz‘,stored product protection‘ geläufig. Die englische Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 liefert für ‚Nacherntebehandlung‘ den Ausdruck ‚post harvest treatment‘. Auch existieren entsprechende Fachzeitschriften zum Schlagwort ‚post-harvest‘: Journal of post harvest biology and technology (PBT), Journal of post harvest technology (Jpht). Deren inhaltliche Ausrichtung konzentriert sich auf den Qualitätserhalt frischer landwirtschaftlicher Produkte (z.B. die Lagerhaltung, Behandlung und Verpackung von Früchten und gartenbaulichen Kulturen), wobei Getreide explizit ausgeschlossen ist (PBT).

Zunächst gilt es zur Klärung der Abgrenzung einen weiteren Begriff zu beleuchten, welcher sich in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 in Art. 3 findet, nämlich die ‚Nacherntebehandlung‘. Es wird hier die Behandlung von Pflanzen oder Pflanzenerzeugnissen nach der Ernte in einem isolierten Raum […] z.B. in einem Lager im Sinne der Verordnung als Begriff bestimmt. Hieran wird deutlich, dass die Verordnung die Behandlung mit Pflanzenschutzmitteln im Vorratsschutz unter Nacherntemaßnahmen subsummiert. Den gesetzlichen Begriffsbestimmungen folgend, lassen sich Pflanzenschutzmittelanwendungen im Vorratsschutz immer auch als Nacherntebehandlungen interpretieren. Aus Sicht der Autoren führt dies aber zu begrifflichen Verwirrungen.

Mit der Frage, wie landwirtschaftliche Produkte nach der Ernte geschützt werden, spannt sich also ein großes Themenfeld auf. Aus Sicht der Autoren ist es hilfreich, den Vorratsschutz bei lagerfähigen Pflanzenerzeugnissen vom Nachernteschutz bei frischen, verderblichen Erntegütern zu trennen, auch wenn letztere durchaus für eine gewisse Zeitspanne eingelagert werden können, zum Beispiel Kartoffeln.

3 Vorratsschutz und Schutz von Lebensmitteln

Die Leitlinien für den integrierten Pflanzenschutz im Sektor Vorratsschutz beziehen sich auf Erzeugnisse der landwirtschaftlichen Produktion, welche im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 als Pflanzenerzeugnisse definiert sind.

Diese können für den Verzehr bestimmt sein oder als Futtermittel verwendet werden. Andere Pflanzenerzeugnisse, wie Holz und Tabak können auch dem Bedarf allgemein dienen und stellen als sogenannte Bedarfsgegenstände jedoch weder Lebens- noch Futtermittel dar.

In der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 für u.a. Lebensmittelsicherheit wird für die Begriffsbestimmung eines Lebensmittels zunächst der Erntezeitpunkt herangezogen, darin sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Nicht zu Lebensmitteln gehören: Pflanzen vor dem Ernten (178/2002 Kap. 2, Art 2c). Somit ist im Umkehrschluss eine Pflanze oder ein Pflanzenerzeugnis ab dem Erntezeitpunkt bereits als Lebensmittel anzunehmen, wenn diese Stoffe oder Erzeugnisse dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden.

Unterschieden werden unverarbeitete Lebensmittel als Pflanzenerzeugnisse im Rechtsbereich des Pflanzenschutzgesetzes von verarbeiteten Lebensmitteln im Rechtsbereich des Biozidgesetzes.

An dieser Stelle wird der Rechtsbereich der Lebensmittelhygiene-Verordnung (EG) Nr. 852/2004 als auch der deutschen Lebensmittelhygieneverordnung, kurz LMHV, berührt. Beide zielen auf die Abwehr von Gefahren für Verbraucher durch bedenkliche Lebensmittel ab.

Lebensmittel dürfen keiner nachteiligen Beeinflussung ausgesetzt werden (LMHV, § 3). Als nachteilige Beeinflussungen gelten mit § 2 jegliche Ekel erregenden oder sonstigen Beeinträchtigungen, die der hygienischen Beschaffenheit von Lebensmitteln abträglich sind. Darunter fallen u.a. tierische Schädlinge, Gerüche, tierische Ausscheidungen oder auch Pflanzenschutzmittel. Im Weiteren stellt die europäische Lebenmittelhygiene-Verordnung in ihrer Begründung fest: …(11) Die Anwendung der Grundsätze der Gefahrenanalyse und der Überwachung kritischer Kontrollpunkte (HACCP-Grundsätze) auf den Primärsektor ist noch nicht allgemein durchführbar. Es sollte aber Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis geben, die zur Anwendung einer geeigneten Hygienepraxis in den landwirtschaftlichen Betrieben beitragen. Soweit erforderlich, sollten außerdem spezifische Hygienevorschriften für die Primärproduktion diese Leitlinien ergänzen. Die Hygieneanforderungen an die Primärproduktion und damit zusammenhängende Vorgänge sollten sich von denen für andere Arbeitsvorgänge unterscheiden (Verordnung (EG) Nr. 852/2004).

Hier werden Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis gefordert. Sie werden im Anhang der Verordnung als allgemeine Hygienevorschriften für die Primärproduktion und damit zusammenhängende Vorgänge beschrieben, dabei sind für den Bereich der Primärproduktion bereits zehn konkrete Punkte festgelegt. An dieser Stelle sind Schnittmengen dieser zukünftigen Leitlinien zur guten Hygienepraxis und den Leitlinien im Vorratsschutz denkbar.

Zusätzlich existieren bereits Leitlinien der Hygiene zu den Bereichen der Schädlingsbekämpfung und der Hygiene in Mühlenbetrieben (DIN 10523, VDM-Hygieneleitlinien).

Neben privatwirtschaftlichen Standards behandelt darüber hinaus eine internationale Norm den Bereich der Lebensmittelproduktion entlang der gesamten Lebensmittelkette (ISO 22000:2005). Darin werden die Schädlingsbekämpfung (als Maßnahme) und der Bereich der Primärproduktion (Agrarbetriebe), aber auch die Lagerung (als Bereich) in den Geltungsbereich mit einbezogen. (Hamdorf und Keweloh, 2009).

Vor diesem Hintergrund wird bei der Erarbeitung der Leitlinien für den Sektor Vorratsschutz immer der Abgleich, aber auch die Abgrenzung zum Hygienebereich eine Rolle spielen, wenn die Pflanzenerzeugnisse die Zweckbestimmung ,Lebensmittel‘ haben.

4 Vorratsschutz und Biozide

Zunächst ist festzuhalten, dass chemische Maßnahmen zum Schutz unverarbeiteter und nur einfach verarbeiteter Pflanzenerzeugnisse mit Pflanzenschutzmitteln durchzuführen sind.

Bei einigen Wirkstoffen, die in Pflanzenschutzmitteln für den Vorratsschutz verwendet werden, handelt es sich zudem um genehmigte biozide Wirkstoffe.

So ist der Wirkstoff ‚Sulfurylfluorid‘ zur Leeraumentwesung gegen dieselben vorratsschädlichen Insekten in beiden Bereichen zugelassen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, BVL; Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, BAuA). Sollen anschließend Pflanzenerzeugnisse eingelagert werden, gilt die Behandlung nach Pflanzenschutzrecht, werden im Anschluss verarbeitete Lebensmittel eingelagert, gilt das Biozidrecht. Als Pflanzenschutzmaßnahme steht immer der ausschließliche Schutz von Pflanzenerzeugnissen im Vordergrund, während im Biozidbereich die Hygienemaßnahme vorrangig ist. Diese Situation findet sich vergleichbar auch bei Rodentiziden, z.B. für Präparate auf der Basis gerinnungshemmender Wirkstoffe, insbesondere bei Difenacoum. Die sachgerechte Anwendung obliegt dabei der Sachkunde des Anwenders.

Hinzu kommt, dass aufgrund der weiten Anwendungsbereiche von Biozidprodukten von Hygienemaßnahmen über Gesundheits- bis hin zum Materialschutz häufig eine weitaus größere Anzahl und Vielfalt von Mitteln verfügbar sind als vergleichbar im Pflanzenschutzbereich für den Vorratsschutz. Vor diesem Hintergrund wird umso deut­licher, dass zukünftig im Vorratsschutz und grundsätzlich im Nachernteschutz bei Formulierungen mit denselben Wirkstoffen (z.B. Pyrethrine) in verschiedenen Anwendungsbereichen bei gleichen Zielorganismen (z.B. fliegende Motten im Getreidelager und im Verarbeitungsbereich) und Anwendungsorten einem übergreifenden Resistenzmanagement eine besondere Bedeutung zukommen wird.

5 Fazit

Vorratsschutz und Nachernteschutz sind griffige, zunächst allgemein und für jedermann verständliche Ausdrücke, welche je nach Sichtweise aber durchaus unterschiedlich mit Inhalten belegt sein können. Im engen Kontext des Pflanzenschutzgesetzes stellt Vorratsschutz eine spezifische Maßnahme zum Schutz von unverarbeiteten oder nur mit einfachen Verfahren verarbeiteten Pflanzenerzeugnissen dar und lässt sich damit unterscheiden von dem Nachernteschutz, der sich vorrangig auf den Schutz verderblicher Erntegüter wie Obst und Gemüse bezieht.

Die zu erstellenden Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes für den Sektor Vorratsschutz im Rahmen der Maßnahmen des Nationalen Aktionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln betreffen diesen Vorratsschutz und das Resistenzmanagement beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, wie es die Grundsätze des Integrierten Pflanzenschutzes gemäß Anhang III der Pflanzenschutz-Rahmenrichtlinie 2009/128/EG fordern. Diese Festlegung erfolgt auch unter Berücksichtigung von Biozidprodukten in Abhängigkeit von Zielorganismen und dem Ort der Anwendung.


Der Dank gilt an dieser Stelle Frau Dr. Garnet Marlen Kroos für zahlreiche Ergänzungen im Text, mehrfaches Lektorat und die unermüdliche Unterstützung hinsichtlich aller Fragen bezüglich rechtlicher Regelungen.

Literatur

Adler, C., 1998: What is Ingegrated Stored Product Protection? In Adler, C. and Schöller, M. (eds.): Proceedings of the meeting of the IOBC-WPRS study group ´Integrated Protection of Stored Products´, Zurich, 31 August – 2 September 1997, IOBC-Bulletin 21 (3), 1-8.

Anonymus, 1954: Bericht über die Maßnahmen zur Intensivierung des Vorratsschutzes/Berichterst.: Referat Pflanzenschutz im Bundesminis. f. Ern., Bundesrepublik Deutschland, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Hrsg.), Bonn, 1956, S. 7.

Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), URL http://www.baua.de/de/Chemikaliengesetz-Biozidverfahren/Biozide/Produkt/Zugelassene-Biozidprodukte.html, abgerufen am 28.02.2014.

Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), 2013: Pflanzenschutzmittelverzeichnis 2013 Teil V, 61. Aufl. 2013, ISSN 0178-063.

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Hamdorf, J., H. Keweloh, 2009: Managementsysteme für die Lebensmittelsicherheit, DIN EN ISO 22000 in der Praxis. Deutsches Institut für Normung e.V., 1. Aufl. 2009, Berlin, Beuth Verlag.

ISO 22000:2005: Managementsysteme für die Lebensmittelsicherheit – Anforderungen an Organisationen in der Lebensmittelkette (ISO 22000:2005); Deutsche Fassung EN ISO 22000:2005, Berlin, Beuth Verlag.

Journal of post harvest biology and technology (PBT), URL http://www.journals.elsevier.com/postharvest-biology-and-technology/, abgerufen am 28.02.2014.

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Lebensmittelhygiene-Verordnung (LMHV), Verordnung über Anforderungen an die Hygiene beim Herstellen, Behandeln und Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Ausfertigungsdatum: 08.08.2007, BGBl. I S. 1816, 1817.

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Pflanzenschutzgesetz (PflSchG), Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz – PflSchG), Ausfertigungsdatum: 06.02.2012, BGBl. I S. 148, 1281.

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