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Originalarbeit

Kühletoleranz bei der Sojabohne (Glycine max (L.) Merr.) – Voraussetzung für die Ausweitung des Sojaanbaus in Deutschland

Chilling tolerance in soybeans (Glycine max) – a prerequisite for soybean cultivation in Germany

Christiane Balko1, Volker Hahn2 und Frank Ordon1
Institut
Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz, Quedlinburg und Groß Lüsewitz1
Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim, Stuttgart2

Journal für Kulturpflanzen, 66 (11). S. 378–388, 2014, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2014.11.02, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dr. Christiane Balko, Julius Kühn-Institut, Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Resistenzforschung und Stresstoleranz, OT Groß Lüsewitz, Rudolf-Schick-Platz 3, 18190 Sanitz, E-Mail: christiane.balko@jki.bund.de
Zur Veröffentlichung angenommen
6. Mai 2014

Zusammenfassung

Über die Vorteile hinaus, die Leguminosen generell in der Fruchtfolge bieten, hat die Sojabohne (Glycine max (L.) Merr.) eine für die Ernährung von Mensch und Tier besonders günstige Proteinzusammensetzung. Aufgrund der nicht hinreichenden züchterischen Anpassung von Soja an unsere Klimaverhältnisse kann sie jedoch in Deutschland nur begrenzt angebaut werden. In diesem Zusammenhang ist die Kühletoleranz ein wichtiges Zuchtziel. Um Informationen über die genetische Variation bezüglich der Kühletoleranz zu gewinnen, wurde ein Test zur Erfassung des Hülsenansatzes unter Kühlestress etabliert, bei dem unter kontrollierten Bedingungen ab Blühbeginn 3 Wochen Kühlestress bei 15°C Tag/10°C Nacht appliziert wird. Dieser Test erwies sich als gut geeignet, um genotypische Unterschiede bezüglich des Hülsenansatzes unter Kühlestress reproduzierbar zu erfassen. Dabei wurde sowohl die Toleranz im engeren Sinne in Form eines wenig verminderten Hülsenansatzes unter Kühlestress gefunden, als auch Kompensationsvermögen in Form von vermehrtem Hülsenansatz nach der Kühlestressphase (Toleranz im weiteren Sinne) – bei einigen Genotypen ohne, bei anderen mit deutlicher Reifeverzögerung. Darüber hinaus gab es auch sensitive Genotypen ohne Kompensationsvermögen.

Im Feldversuch 2011 und 2013 beobachtete Auswirkungen einer Kühlestressphase nach Blühbeginn auf den Hülsenansatz ergaben eine vergleichsweise gute Übereinstimmung mit den Ergebnissen aus dem Gefäßversuch unter kontrollierten Bedingungen. Die dreijährigen Feldversuche am Standort Groß Lüsewitz zeigten weiterhin, dass trotz der extrem nördlichen Lage des Standortes Soja erfolgreich in Norddeutschland angebaut werden kann, wenn entsprechend frühreife Sorten (frühe 00–0000) zum Einsatz kommen. Dabei stellte sich heraus, dass in Jahren mit höheren Wärmesummen die etwas späteren Sorten ihr meist höheres Ertragspotential realisieren konnten, über alle Jahre gesehen, die frühen Sorten auf einem etwas niedrigeren Ertragsniveau jedoch ertragsstabiler sind und ertragsstabile Sorten in der Regel auch über eine gute Kühletoleranz verfügen.

Stichwörter: Sojabohne, Glycine max (L.) Merr., Kühle toleranz, Hülsenansatz, Ertrag, Proteingehalt

Abstract

Besides advantages in crop rotations, soybeans are best suited for animal feed and human nutrition due to their protein content and composition. But, because of the limited adaptation to growing conditions, soybeans cannot be grown all over Germany mainly due to a lack of chilling tolerance, which is an important goal in soybean breeding in Germany therefore. In order to get information on the genetic variation of chilling tolerance in soybean, a test under controlled conditions was developed applying 15°C day/10°C night temperature for 3 weeks, which allows to get reliable information on pod set under cool conditions. Using this test, genotypes were identified revealing only a small reduction of the number of pods (chilling tolerance in the narrow sense), but also those compensating the loss of pods under cool conditions by a higher pod set in warmer conditions after the chilling period (tolerance in a broader sense). With respect to the latter also genotypic differences concerning the time to harvest were observed. Moreover, real sensitivity without compensation ability occurred. Responses of cultivars to a chilling period in the field trials of 2011 and 2013 showed a good correlation to the results obtained under controlled conditions. These field trials also demonstrated that soybean can be successfully grown even in Northern Germany, in case early ripening varieties (early 00–0000) are used. In this respect, higher yields of later ripening cultivars were observed in years with higher temperature sums while more stable yields but on a lower level were obtained by early ripening cultivars, where cultivars with high yield stability in general also showed a good chilling tolerance.

Key words: Soybean, Glycine max L. (Merr.), chilling tolerance, podset, yield, protein content

Einleitung

Für die Ausweitung des Sojaanbaus in Deutschland werden Sorten mit hoher Ertragsstabilität benötigt. Diese sind bislang nur für klimatisch günstige Lagen wie zum Beispiel die Oberrheinebene verfügbar. In kälteren Lagen ist die Gefahr von Ertragseinbußen sehr groß, da die Sojabohne in zwei Entwicklungsstadien besonders empfindlich auf Kühlestress reagiert: (I) Keimung und Sämlingsstadium mit Auswirkung auf die Bestandesdichte und (II) Blüte und Hülsenansatz mit Auswirkung auf den Ertrag (Hülsenansatz und Kornfüllung) und die Qualität (Verfärbungen, Risse durch Kälteschäden) (Hume und Jackson, 1981; Musser et al., 1986; Kurosaki und Yumoto, 2003; Funatsuki et al., 2004). Kühletoleranz, vor allem im Hinblick auf den Hülsenansatz, ist daher ein essentielles Zuchtziel im Hinblick auf die Etablierung des Sojaanbaus in nörd­lichen Regionen (Schori et al., 1993; Gass et al., 1996; Takahashi et al., 2005). Genotypische Variabilität für Kühletoleranz – eine wichtige Voraussetzung, um die Soja­bohne an die hiesigen klimatischen Bedingungen anzupassen – wurde sowohl für Kühletoleranz per se, als auch für die Steigerung der Kühletoleranz durch Härtung beschrieben (Funatsuki et al., 2003). Vergleichende Untersuchungen für das verfügbare zentraleuropäische Soja-Sortiment wurden bisher jedoch nicht publiziert. Die Ziele der vorliegenden Arbeit waren daher (i) ein effektives Verfahren zur Erfassung der Kühletoleranz zu entwickeln und (ii) Informationen über genotypische Unterschiede in der Kühletoleranz von Sojasorten zu gewinnen.

Material und Methoden

Pflanzenmaterial

Im Gefäßversuch wurden 35 Sorten aus dem mitteleuropäischen angepassten Sojabohnen-Sortiment unter kon­trollierten Bedingungen geprüft. Parallel wurden 2011 bis 2013 zwischen 20 und 30 Sojasorten der Reifegruppen 00–0000 im Feldversuch evaluiert. Die Sortenauswahl richtete sich vor allem nach potentieller Eignung (in erster Linie Frühzeitigkeit) sowie Saatgutverfügbarkeit, wobei eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Gefäß- und Feldversuch angestrebt wurde (Tab. 1).

Tab. 1. Überblick über das geprüfte Pflanzenmaterial

Sorte

Gefäßversuch Kühletoleranz

Feldversuch

 

2011

2011

2012

2013

Sultana

x

x

x

x

ES Mentor

x

x

x

x

Merlin

x

x

x

x

Aligator

x

x

x

x

Daccor

x

x

  

Opaline

x

x

x

x

Supra

x

x

x

 

Mapel Arrow

x

x

  

Petrina

x

x

x

x

Moravians

x

x

x

x

Cordoba

x

x

x

x

Lissabon

x

x

x

x

OAC Champion

x

x

x

 

Cardiff

x

x

  

Protina

x

x

x

x

Proteix

x

x

  

Primus

x

x

x

x

Capnor

 

x

x

 

Sigalia

x

x

  

Gallec

x

x

x

x

Malaga

x

x

x

x

Aveline

x

x

x

x

Alma Ata

x

x

x

x

OAC Erin

x

x

x

 

Sevilla

x

x

x

 

Paradis

x

x

x

x

Lotus

x

x

x

 

Tundra

x

x

x

 

Josefine

x

x

x

x

Ohgata

x

   

Fiskeby V

x

   

Albinos

x

   

Color

x

   

London

x

   

Isidor

x

   

Neoplanta

x

   

Kassidy

 

x

x

x

Bohemians

 

x

x

x

Augusta

 

x

x

x

Gefäßversuche unter kontrollierten Bedingungen zur Ermittlung des Hülsenansatzes unter Kühlestress

Im Gefäßversuch wurden je 12 Pflanzen pro Genotyp in 2 unabhängigen Wiederholungen bei 25°C/20°C Tag/Nacht in der Klimakammer bei 10 h Licht (Lichtstärke ca. 20 klux)/14 h Dunkelphase bis zum Blühbeginn angezogen (ca. 5 Wochen nach der Aussaat). Mit Blühbeginn wurden 8 Pflanzen je Genotyp und Wiederholung einer 3 wöchigen Kühlestressphase bei 15°C/10°C Tag/Nacht und 12 h Licht ausgesetzt. 4 Pflanzen je Genotyp und Wiederholung wurden ebenfalls bei gleicher Tageslänge unter Kontrollbedingungen weiter kultiviert. Die Aufstellung der Pflanzen in der Klimakammer erfolgte randomisiert. Wöchentlich wurden die Pflanzen auf 70% der maximalen Wasserkapazität des Bodens gegossen, um eine annähernd gleichmäßige Wasserversorgung zu gewährleisten. Der Versuch wurde in 2 Wiederholungen durchgeführt.

Am Ende der Stressphase wurde der Hülsenansatz am Nodium sowohl in der Kontrolle, als auch der Kühlestressvariante erfasst. Im Anschluss daran wurden die Pflanzen bis zur Abreife im Gewächshaus (Langtag) kultiviert und der Hülsenansatz zur Abreife bestimmt.

Feldversuch – Hülsenansatz und Leistungsprüfung

Die Feldversuche wurden auf dem ökologisch bewirtschafteten Versuchsfeld des Standortes Groß Lüsewitz des Julius Kühn-Instituts (JKI) durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen diluvialen Standort mit lehmigem Sand und einer Bodenzahl von 47, 692 mm Niederschlag im langjährigen Mittel und einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 8,3°C.

Niederschlags- und Temperaturverlauf für die Vegetationszeit der drei Versuchsjahre 2011 bis 2013 sind in Abb. 1 dargestellt (Daten dankenswerterweise von der Universität Rostock, Agrarwissenschaftliche Fakultät, Institut für Umweltingenieurwesen). Wärme- und Niederschlagssummen sind Tab. 2 zu entnehmen. Die Wärmesummen wurden mittels der kanadischen Methode der Crop Heat Units (CHU) (Brown und Bootsma, 1993) ermittelt. Das CHU-System berücksichtigt, im Gegensatz zu der sonst gebräuchlichen Wärmesumme auf Basis 6°C, auch die für Soja unter Umständen kritischen Nachttemperaturen und reduziert das Gewicht der Maximaltemperaturen von Hitzetagen bis hin zu negativen Werten. Der Auswertungszeitraum wurde auf den für den Anbau von Sojabohnen relativ sicher nutzbaren Vegetationszeitraum vom 1. Mai bis zum 30. September beschränkt.

Abb. 1. Temperaturverlauf (Linien) und Niederschläge (Säulen) für die Vegetationszeit 2011–2013; Pfeile: Küh­lestressereignisse 2011 (rot) und 2013 (grün, nur Nächte kalt).

Abb. 1. Temperaturverlauf (Linien) und Niederschläge (Säulen) für die Vegetationszeit 2011–2013; Pfeile: Küh­lestressereignisse 2011 (rot) und 2013 (grün, nur Nächte kalt).

Tab. 2. Wärme- und Niederschlagssummen für die Vegetationszeit vom 1.5. bis 30.9. für die Versuchsjahre 2011/2012/2013 am Versuchsstandort Groß Lüsewitz

 

2011

2012

2013

CHU Wärmesumme

2661

2588

2664

Niederschlag (mm)

598

246

342

Die Anlage des Feldversuches erfolgte im Blockdesign mit 4 Wiederholungen und einer Parzellengröße von 8 m2. Dabei wurde die Randomisation innerhalb der Blöcke zu Gunsten einer Gruppierung des angebauten Materials nach Reifegruppen eingeschränkt.

Auflauf, Blühbeginn mit dazugehörigem Nodium, Standfestigkeit und Abreife wurden erfasst. Die Reifebonitur erfolgte vom Beginn der Seneszenz bei den frühen Genotypen bis zum Beginn der Ernte wöchentlich auf einer Skala von 1 (komplett grün) bis 9 (komplett braun und druschreif). Zur Ernte wurde die Struktur des Hülsenansatzes ermittelt. Einen Überblick über die wichtigsten erfassten agronomischen und phänologischen Daten gibt die Tab. 3.

Tab. 3. Überblick über die agronomischen Eckdaten in den drei Versuchsjahren (2011/2012/2013) am Standort Groß Lü­sewitz

 

2011

2012

2013

Inokulat

Hi-Stick

Hi-Stick

Hi-Stick

Aussaat

28.4.

3.5.

30.4.

Auflauf

11.5.

20.5.

12.5.

Blühbeginn (Spanne)

27. 6. – 5. 7.

2. 7. – 9.7.

25. 6. – 4. 7.

Abreife (Spanne)

16.9. – 24.10.

5.9. – 30.10.

30.8. – 27.9.

Ernte

4.10. – 24.10.

1.10. – 30.10.

30.9.

Die Erträge und das Tausendkorngewicht (TKG) sind auf der Bezugsbasis von 14% Feuchte angegeben. Die Proteinbestimmungen erfolgten mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim.

Statistische Auswertung

Alle Daten wurden mit SAS 9.3 (SAS Institute Inc.) varianz­analytisch verrechnet (Prozedur GLM). Die Berechnung der kleinsten signifikanten Differenz (LSD) erfolgte nach Newman-Keuls. In den Diagrammen angegebene Balken stellen die Standardabweichung dar. Für die Korrelationen wurde der Korrelationskoeffizient nach Pearson bestimmt.

Ergebnisse und Diskussion

Hülsenansatz im Gefäßversuch

Die im Rahmen des Projektes in 3 Jahren durchgeführten Gefäßversuche unter kontrollierten Bedingungen zeigen eine deutliche Variabilität der Sorten in der Reaktion auf Kühlestress.

Dabei war der Hülsenansatz unmittelbar nach der Stressphase (15°C Tag/10°C Nacht) bei den gestressten Pflanzen im Vergleich zur Kontrolle (25°C Tag/20°C Nacht) in unterschiedlichem Maße reduziert (Abb. 2). Anschließend setzte bei einigen Sorten eine Kompensa­tionsreaktion ein, die zur Ernte zum Teil zu höheren Hülsenansätzen bzw. auch Erträgen als bei der Kontrolle führte. Dies gelang einigen Genotypen bei annähernd gleicher Abreifezeit, bei anderen war es mit einer deut­lichen Verlängerung der Abreife verbunden. Wieder andere Genotypen konnten den verminderten Hülsenansatz und damit das Ertragsdefizit nicht kompensieren. Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Kühlestress werden im Folgenden beispielhaft an einzelnen Sorten dargestellt.

Abb. 2. Hülsenansatz im Gefäßversuch unter kontrollierten Bedingungen nach einer dreiwöchigen Kältestres­sphase im Vergleich zur Kon­trolle (LSD (α ≤ 5%) Kontrolle 3,0; Stress 2,2) und Verhalten der Sorten im Feld nach einer Kühlestressphase in der Blüte 2011 und 2013 auf dem Versuchsfeld Groß Lüsewitz; Grü­ner Stern: Ohne ‚Lücke‘ im Hülsenansatz = tolerant; Roter Stern: Mit ‚Lücke‘ im Hülsenansatz = sensitiv, roter/grüner Stern ohne Füllung = Reaktion nicht eindeutig, untere Sternchenreihe: 2011, obe­re: 2013.

Abb. 2. Hülsenansatz im Gefäßversuch unter kontrollierten Bedingungen nach einer dreiwöchigen Kältestres­sphase im Vergleich zur Kon­trolle (LSD (α ≤ 5%) Kontrolle 3,0; Stress 2,2) und Verhalten der Sorten im Feld nach einer Kühlestressphase in der Blüte 2011 und 2013 auf dem Versuchsfeld Groß Lüsewitz;
Grü­ner Stern: Ohne ‚Lücke‘ im Hülsenansatz = tolerant; Roter Stern: Mit ‚Lücke‘ im Hülsenansatz = sensitiv, roter/grüner Stern ohne Füllung = Reaktion nicht eindeutig, untere Sternchenreihe: 2011, obe­re: 2013.

Die Sorte Merlin reagierte bereits während der drei­wöchigen Kühlestressphase mit einem nur wenig verminderten Hülsenansatz – zeichnete sich also durch Toleranz im engeren Sinne aus. Zur Ernte wies auch der Hülsen­ansatz der Stressvariante eine zur Kontrolle vergleich­bare Verteilung auf, die Stressvariante war im Mittel nur 5 Tage später reif, als die Kontrolle (Abb. 3).

Abb. 3. Mittlerer Hülsenansatz pro Nodium bei den Sorten Merlin, Paradis, Moravians und Malaga unmittelbar nach der dreiwöchigen Kühlestressphase (A) und zur Ernte (B).

Abb. 3. Mittlerer Hülsenansatz pro Nodium bei den Sorten Merlin, Paradis, Moravians und Malaga unmittelbar nach der dreiwöchigen Kühlestressphase (A) und zur Ernte (B).

Bei der Sorte Paradis ergab sich unmittelbar nach der Stressphase ein signifikant verminderter Hülsenansatz im Vergleich zur Kontrolle. Die Sorte war jedoch in der Lage, diesen Verlust bis zur Ernte zu kompensieren. Sie zeigte nach Abschluss der Stressphase eine deutliche Blüte an den Nebenblütentrieben und damit zur Ernte eine mit der Kontrolle vergleichbare Verteilung der Hülsen am Hauptspross (Abb. 3). Die Reifeverzögerung beschränkte sich auf 12 Tage. Hier kann von einer Toleranz im weiteren Sinne gesprochen werden, die auf Grund der geringen Reifeverzögerung in den Bereich der erwünschten Toleranzmechanismen fällt.

Die Sorte Moravians zeigte unmittelbar nach der Stress­phase einen deutlich verminderten Hülsenansatz, konnte diesen Verlust aber ebenfalls bis zur Ernte kompensieren. Diese Kompensation im Hülsenansatz fand vor allem an der Spitze und zu einem gewissen Grad an den Seitentrieben statt. Entsprechend dem Bereich, in dem die Kompensation stattfand, war auch eine deutliche Reifeverzögerung (37 Tage) zu beobachten – es handelt sich damit um eine Toleranz im weiteren Sinne (Abb. 3).

Dies steht in guter Übereinstimmung mit Ergebnissen von Kurosaki et al. (2003), die bei kältebehandelten Soja­pflanzen auch eine deutlich verlängerte Blütezeit im Vergleich zur entsprechenden Kontrollgruppe beobachteten. Vor allem die an der Spitze gebildeten Hülsen füllen sich oft nicht mit Samen und werden früher oder später abgeworfen. Eine Kompensationsreaktion, bei der circa einen Monat nach der Kältebehandlung an den Spitzen viele parthenokarp gebildete Hülsen entstehen, ist auch aus Untersuchungen von Hume und Jackson (1981) und Gass et al. (1996) bekannt.

Auch die Sorte Malaga hatte unmittelbar nach der dreiwöchigen Stressphase einen deutlich verminderten Hülsenansatz, konnte diesen aber bis zur Ernte nicht kompensieren – sie reagierte also sensitiv auf die Kühlestress­phase (Abb. 3). Aus der Literatur ist bekannt, dass bei
kühlesensitiven Sorten der Ertrag bei länger andauernder Kälteeinwirkung im Endeffekt vermindert ist (Kurosaki et al., 2003). Dabei korreliert die besonders sensitive Phase im Wesentlichen mit der Blütenentwicklung an den Nodien 4–9 (Gass et al., 1996). Wie in Abb. 3 für die unmittelbar nach der Stressphase eher sensitiv reagierenden Sorten zu sehen, steht dies in guter Übereinstimmung mit den vorliegenden Untersuchungen. Trotz des nicht ausreichenden Kompensationsvermögens betrug die mittlere Reifeverzögerung bei der Sorte Malaga unter unseren Testbedingungen 35 Tage.

Aus der Literatur ist bekannt, dass empfindliche Genotypen ihre Blüten bei < 18°C abwerfen, während andere Genotypen Temperaturen bis zu 15°C oder sogar niedriger tolerieren (Gass et al., 1996). Tolerante Genotypen – wie in unseren Untersuchungen z.B. Merlin und Primus – zeichnen sich schon während der Stressphase durch einen anhaltenden Hülsenansatz aus (Kurosaki et al., 2003). Daneben beschreiben Schori et al. (2003, 2005) Genotypen mit asynchroner Blüte der Nebenblütenstände am selben Nodium, die den Blütenabwurf teilweise unter Erhaltung der gleichmäßigen Hülsenverteilung am Haupttrieb kompensieren können, ohne dass eine wesentliche Reifeverzögerung eintritt, und die daher in kühleren Regionen ertragsstabiler sind. Tritt eine Kompensation an Spitze und Seitentrieben ein, ist damit in der Regel die auch in unseren Versuchen beobachtete Reifeverzögerung verbunden.

Hülsenansatz im Feld

Eine Auswertung der Struktur des Hülsenansatzes im Feld zeigte 2011 bei einer Reihe von Sorten eine Lücke im Hülsenansatz im Bereich des 8. und/oder 9. Nodiums. Dieser ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf 3 kalte Tage und Nächte vom 23. bis 25. Juli zurückzuführen und erlaubt eine Klassifizierung in Genotypen mit (sensitiv) und ohne (tolerant) Lücke im Hülsenansatz (vgl. Abb. 4) für die tolerante Sorte Merlin und die sensitive Sorte Malaga.

Abb. 4. Struktur des Hülsenansatzes im Feldversuch 2011 bis 2013 am Standort Groß Lüsewitz für die kühleto­lerante Sorte Merlin und die sensitive Sorte Malaga (ST = Hülsenansatz am Seitentrieb, im Diagramm rot dargestellt); Pfeile: Lücken im Hülsenansatz.

Abb. 4. Struktur des Hülsenansatzes im Feldversuch 2011 bis 2013 am Standort Groß Lüsewitz für die kühleto­lerante Sorte Merlin und die sensitive Sorte Malaga (ST = Hülsenansatz am Seitentrieb, im Diagramm rot dargestellt); Pfeile: Lücken im Hülsenansatz.

2012 ergab sich bei toleranten wie sensitiven Sorten eine Verteilung, bei der keine auf Kühlestress zurückzuführenden Anomalien beobachtet werden konnten, während 2013 wieder Lücken im Hülsenansatz auftraten, dieses Mal im Bereich des 5.–7. Nodiums (Abb. 4). Diese sind mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Reihe von Nächten mit Temperaturen deutlich unter 10°C in Boden­nähe vom 5. bis 13. Juli sowie 21. bis 24. Juli zurückzuführen.

Eine Zuordnung dieser Klassifizierung zu den Ergebnissen aus dem Gefäßversuch 2011 zeigt eine weitgehende Übereinstimmung (Abb. 2).

Im Freiland (Hokkaido, Japan) wurde eine stark negative Korrelation zwischen den Temperaturen im Juli zur Blüte der Sojabohnen und dem Kornertrag nachgewiesen (Horiguchi, 1980). Dabei ist der Hülsenansatz die Ertrags­komponente, die bei Kühlestress am deutlichsten beeinflusst wird (Kurosaki und Yumoto, 2003). Über Ausfälle im Hülsenansatz, verursacht durch Kühlestress in der Blüte, berichten auch Hume und Jackson (1981) sowie Michailov et al. (1989).

Ertrag und Proteingehalt

Trotz der extrem nördlichen Lage des Standortes konnten in den Jahren 2011–2013 alle angebauten Sorten geerntet werden (Abb. 5). Die Erträge bewegten sich zwischen 13–34 dt/ha in 2011, 6–21 dt/ha in 2012 sowie 15–30 dt/ha in 2013 (Abb. 6). Die statistische Auswertung der Erträge über alle 3 Versuchsjahre ergab einen signifikanten Einfluss von Genotyp und Jahr sowie der Wechselwirkung Genotyp × Jahr. Während sich 2011 eine schwach negative Korrelation zwischen Frühzeitigkeit und Ertrag zeigte (r= –0,33), war sie in 2012 deutlich positiv (r = 0,61*). Ursachen sind die etwas niedrigeren Temperaturen im Frühjahr, die zu einer Verzögerung in der Entwicklung führten sowie die im Vergleich zum Vorjahr deutlich geringeren Niederschläge in der Vegeta­tionszeit (Tab. 1), die zu einer Begünstigung der frühen Sorten führten. Im Jahr 2013 war die Korrelation wieder deutlich negativ (r = –0,62*), was wiederum auf die vergleichsweise hohe Wärmesumme für dieses Jahr, vergleichbar mit der von 2011, und somit einer guten Abreife auch der späteren Sorten zurückzuführen ist.

Abb. 5. Beginnende Abreife der Sojabohnen auf dem Versuchsfeld in Groß Lüsewitz Ende August 2013.

Abb. 5. Beginnende Abreife der Sojabohnen auf dem Versuchsfeld in Groß Lüsewitz Ende August 2013.

Abb. 6. Erträge der Sojasorten im Feldversuch Groß Lüsewitz 2011 bis 2013 und Reifebonitur (Erträge: LSD (α ≤ 5%) 2011 9,4 dt/ha; 2012 6,0 dt/ha; 2013 9,2 dt/ha; Reifebonitur: 9 = früh, 1 = spät).

Abb. 6. Erträge der Sojasorten im Feldversuch Groß Lüsewitz 2011 bis 2013 und Reifebonitur (Erträge: LSD (α ≤ 5%) 2011 9,4 dt/ha; 2012 6,0 dt/ha; 2013 9,2 dt/ha; Reifebonitur: 9 = früh, 1 = spät).

Im Hinblick auf die Ertragsstabilität, ausgedrückt als Standardabweichung bzw. Varianz, waren bei den 20 Sorten, die in allen drei Jahren geprüft wurden, deut­liche Unterschiede zu verzeichnen. Dabei waren Frühzeitigkeit und Ertragsstabilität positiv korreliert (r = 0,68*). Als vergleichsweise stabil im Ertragsbereich 20–25 dt/ha stellten sich die Sorten Merlin, Primus, Lissabon, Paradis und Gallec heraus. Anzumerken ist, dass alle diese Sorten auch über eine gute bis sehr gute Kühletoleranz verfügen.

Auch beim Proteingehalt ergab sich ein signifikanter Einfluss von Sorte und Jahr. Der Proteingehalt lag im Mittel aller Sorten in 2012 und 2013 um knapp 1% niedriger als im Jahr 2011 und die signifikante Wechselwirkung Sorte * Jahr zeigt auch bei diesem Merkmal, dass die Sorten unterschiedlich auf die Witterungsbedingungen reagieren (Abb. 7). Dabei wiesen 2012 die frühen Sorten mit einem im Vergleich zu 2011 verminderten TKG leicht erhöhte Proteingehalte gegenüber 2011 auf, während es bei den späteren Sorten zu einer Abnahme im Proteingehalt kam. Der gleiche Trend gilt auch für 2013. Vergleicht man Höhe und Stabilität der Proteinerträge als letztlich entscheidendes Kriterium bei den 20 Sorten, die in allen drei Jahren geprüft wurden, so sind es die gleichen Sorten, die sich durch eine hohe Stabilität im Ertrag wie auch im Proteinertrag auszeichnen. In der Reihenfolge der Sorten bezüglich der Höhe der Proteinerträge im Vergleich zu den Erträgen selbst kommt es zu geringen Verschiebungen: Primus gewinnt im Vergleich zu Merlin etwas auf Grund des hohen Proteingehaltes; Lissabon fällt wie Merlin etwas ab, da die Proteingehalte niedriger sind.

Abb. 7. Proteingehalte der Sojasorten im Feldversuch Groß Lüsewitz 2011 bis 2013 (LSD (α ≤ 5%) 2011 1,90%; 2012 2,78%; 2013 2,22%).

Abb. 7. Proteingehalte der Sojasorten im Feldversuch Groß Lüsewitz 2011 bis 2013 (LSD (α ≤ 5%) 2011 1,90%; 2012 2,78%; 2013 2,22%).

Von besonderem Interesse ist der Vergleich der Reifegruppen der Sorten zur tatsächlichen Abreife am Standort im Mittel der drei Prüfjahre in Form der bis zum Beginn der Ernte durchgeführten Reifebonitur. Hier zeigt sich, dass für den nördlichen Standort Groß Lüsewitz die Zuordnung der Sorten zu den Reifegruppen mit der tatsächlichen Abreife nur bedingt übereinstimmt (Tab. 4). Das spricht für eine Wechselwirkung zwischen Tages­länge (Breitengrad) und Abreife. Sichtbar wird aber noch einmal, dass die am Standort ertragsstabilen Sorten – in der Tabelle grau unterlegt – (fast) alle im Bereich einer früheren Abreife lagen.

Tab. 4. Dreijährig in Groß Lüsewitz angebaute Sorten mit ihrer Reifegruppe und Bonitur der tatsächlichen Ab­reife über die drei Jahre; * Reifebonitur: 9 = früh, 1 = spät; grau unterlegt: Sorten mit relativ hoher Er­tragsstabilität über die Jahre

Sorte

Reifegruppe

Mittlere Abreife*

ES Mentor

00

2,7

Josefine

000

3,1

Malaga

000/00

3,3

Cordoba

00/000

3,5

Kassidy

00

3,6

Opaline

00/000

3,6

Protina

000/00

3,8

Alma Ata

000/00

3,9

Petrina

000/00

3,9

Sultana

000

3,9

Aligator

000

4,0

Moravians

00/000

4,0

Aveline

000

4,3

Primus

00

4,5

Gallec

000/00

4,7

Lissabon

000

4,7

Merlin

000

5,4

Bohemians

000

6,7

Augusta

000

7,0

Paradis

000

7,1

Die Autoren danken dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für die finanzielle Unterstützung (FKZ 2811NA007 und 2809OE069) sowie Carolin Schumacher, Andrea Garrels und Silvana Koschak (JKI) für die hervorragende technische Assistenz.

Literatur

Brown, D.M., A. Bootsma, 1993: Crop heat units for corn and other warm-season crops in Ontario. Ont. Ministry Agric. & Food Fact­sheet No. 93-119, Agdex 111/31, 4 pp.

Funatsuki, H., H. Kurosaki, T. Murakami, S. Matsuba, K. Kawaguchi, S. Yumoto, Y. Sato, 2003: Deficiency of a cytosolic ascorbate peroidase associated with chilling tolerance in soybean. Theoretical and Applied Genetics 106, 494-502.

Funatsuki, H., S. Matsuba, K. Kawaguchi, T. Murakami, Y. Sato, 2004: Methods for evaluationof soybean chilling tolerance at the reproductive stage under artificial climatic conditions. Plant Breeding 123, 558-563.

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