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Mitteilungen und Nachrichten

Mitteilungen und Nachrichten

Bericht über den Workshop „Anforderungen und Beitrag der Landwirtschaft zum Phosphor­recycling“ im November 2014 in Braunschweig

Journal für Kulturpflanzen, 67 (2). S. 76–83, 2015, ISSN 1867-0911, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart


Bei ihrem Antritt im Dezember 2013 hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, dass „der Schutz der Gewässer vor Nährstoffeintragen sowie Schadstoffen … verstärkt und rechtlich so gestaltet werden [soll], dass Fehlentwicklungen korrigiert werden. … die Klärschlammausbringung zu Düngezwecken [soll beendet] und Phosphor und andere Nährstoffe zurück [gewonnen werden].“ Damit ist eine Kehrtwende in der Düngepolitik eingeleitet worden, die den Fokus auf die Wiedergewinnung von Nährstoffen, insbesondere Phosphor, aus erneuerbaren Ressourcen lenkt. Ein Blick auf den Verbrauch von Phosphor in der Landwirtschaft aus unterschiedlichen Quellen zeigt, dass theoretisch rein mengenmäßig der bisher aus Mi­neraldüngern gedeckte Phosphorbedarf vollständig aus dem in Schlachtabfällen, Klärschlamm und Wirtschaftsdüngern enthaltenen Phosphor befriedigt werden könnte (siehe Kratz et al., 2014). Hierzu ist allerdings eine genauere Betrachtung der Frage erforderlich, welche Anforderungen die Landwirtschaft an moderne Phosphordünger stellt und welche Lösungen die Wissenschaft bisher für die Herstellung entsprechender Re­cyclingdünger bereit hält. Diesem Thema widmete sich am 6. November 2014 der vom Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ver­anstaltete Workshop im Forum des Thünen-Institutes in Braunschweig.

Nach einem Grußwort des Präsidenten des JKI, Georg F. Backhaus, eröffnete Ewald Schnug, einer der beiden Leiter des JKI-Institutes für Pflanzenbau und Bodenkunde, die Fachvorträge mit der Feststellung, dass die zur Sicherung der Leistungsfähigkeit von Böden, Pflanzen und Betrieben an P-Düngemittel zu stellenden Forderungen mit dem Schlagwort „100%/Zero“ zusammengefasst werden könnten. Dahinter verbergen sich P-Dünger, die zu 100% von Pflanzen ausnutzbar und außerdem schadstoffneutral sind, d.h. ihre Ausbringung führt nicht zu einer Anreicherung im Boden.

Als Vertreter des BMEL erläuterte Georg Embert zunächst fachpolitische Aspekte des Phosphorrecyclings. Insbesondere betonte er, dass auf dem Weg vom Rohphosphat zum fertigen Dünger bzw. zur P-Aufnahme durch Pflanzen und Endkonsumenten noch ein hohes Potential zur Effizienzsteigerung vorhanden sei. Daneben müssten jedoch auch Recyclingprodukte selbstverständlich als Düngemittel akzeptiert werden, sofern sie in ihrer Wirksamkeit sowie hinsichtlich ihrer Schadstoffgehalte den Vorgaben des Düngemittelrechtes genügen. So sind beispielsweise Klärschlammaschen bereits seit 2003 in der Düngemittelverordnung zugelassen, eine weitere Konkretisierung erfolgte 2009. Recyclingprodukten den Weg in die Anwendung über das deutsche Düngemittelrecht bahnen zu wollen sei allerdings unrealistisch, da über 90% der in Deutschland gehandelten Dünger dem EU-Recht unterlägen. Dies könne daher nur über eine entsprechende Gestaltung der Marktbedingungen erfolgen.

Andrea Ulrich, Wissenschaftlerin der ETH Zürich, vermittelte eine historische Perspektive auf die gegenwärtige Diskussion um die Reichweite globaler Rohphosphatreserven. Wie ihre Untersuchungen zeigten, gab es bereits seit Beginn der kommer­ziellen P-Düngerproduktion aus Knochenmehl und Guano Ende des 19.Jahrhunderts immer wieder Sorgen, die bekannten Vorräte könnten in absehbarer Zeit zur Neige gehen und eine Hungerkatastrophe ausbrechen. Diese Besorgnisse konnten jedoch bislang regelmäßig durch die Entdeckung neuer Phosphatlagerstätten bzw. neuer Techniken zur Nutzbarmachung bisher unzugänglicher Ressourcen zerstreut werden, so dass vorübergehend beschlossene Maßnahmen zum nachhaltigeren Umgang mit vorhandenen Reserven in der Regel nicht weiter verfolgt wurden. Gegenwärtig gibt es sehr unterschiedliche Prognosen hinsichtlich des Umfangs und der Lebensdauer bekannter und technisch zugänglicher Rohphosphatvorkommen, die von 25 bis zu 400 Jahren reichen. Dass letzten Endes aber ein nachhaltiger Umgang mit endlichen Ressourcen ebenso wie die Wiederverwendung erneuerbarer Ressourcen unumgänglich sein wird, bleibt dennoch unbestritten.

Wie eingangs angekündigt, präsentierte Ewald Schnug anschließend die Grundlagen und Voraussetzungen des Konzeptes „Phosphor: 100%/Zero“. Er stellte verschiedene Methoden zur Bestimmung des Ausnutzungsgrades von Düngerphosphat (insbesondere die Differenz- und die Isotopenmethode) vor und zeigte auf, dass diese lediglich die Ermittlung der Düngerausnutzung im Anwendungsjahr, nicht aber der langfristigen Ausnutzung erlauben. Da das Element Phosphor keine Inter­aktionen mit der Atmosphäre aufweist und sich durch eine im Vergleich zu anderen Hauptnährstoffen geringe Mobilität im Boden auszeichnet, gibt es keine substanziellen Verluste aus dem Boden. Somit wandelt sich das nicht umgehend von Pflanzen aufgenommene Düngerphosphat nach seiner Auflösung bzw. Mineralisierung in standortspezifische P-Formen um, die mit zunehmendem Alter an Löslichkeit verlieren. Der sogenannte scheinbare Ausnutzungsgrad im Anwendungsjahr ergibt sich aus dem Quotienten von Ernteentzug und Düngermenge. P aus vorangegangenen Düngungen sowie native Bodenvorräte sind in der Berechnung nicht berücksichtigt. Wird nach Entzug gedüngt, so stellt sich langfristig ein stabiler Gehalt an pflanzenverfügbarem Phosphor im Boden ein. Um die tatsächliche langfristige Ausnutzung von Düngerphosphaten im Feld ermitteln zu können, müssten nach Schnug idealerweise Dauerdüngungsversuche von mindestens 20 Jahren Laufzeit angelegt werden, die neben einer Kontrolle ohne P-Düngung die Varianten Düngung auf Entzug, bzw. halben und 1,5fachen Entzug enthalten. Nach jeder Ernte oder sonstigen Behandlung müsse der verfügbare P-Gehalt im Boden bestimmt werden, um Veränderungen im Zeitverlauf zu erfassen. Zu erwarten sei dabei ein Höchst­ertrag bei Düngung auf Entzug (bei gleichbleibenden verfüg­baren P-Gehalten nach der Ernte), Ertragsabfall bei geringerer, jedoch keine weitere Ertragssteigerung bei 1,5facher Düngung des Entzuges. Allerdings seien solche Versuche in Europa kaum zu finden. Wenige Ausnahmen wie die Langzeitversuche in Lauchstädt, Sergen und Groß-Lüsewitz bestätigen die von Schnug genannten Hypothesen. Aus diesen Erkenntnissen lasse sich ableiten, dass die zur Düngung verwendeten P-Formen binnen einer Vegetationsperiode in die standortspezifische P-Dynamik eingehen, d.h. sich unter den gegebenen Standortbedingungen vollständig auflösen bzw. mineralisieren und für Pflanzen verfügbar werden müssten. Nur dann könne eine langfristig vollständige Ausnutzung durch die Pflanzen unterstellt werden. Die bisher auf dem Markt verfügbaren P-Recyclingdünger er­füllen diese Vorgaben zum größten Teil nicht, Ausnahmen sind lediglich die diversen aus Klärschlamm bzw. aus dem Abwasserstrom gewonnenen Struvitprodukte. Diese bergen jedoch neben unerwünschten Schwermetallen, die sich chemisch relativ leicht abtrennen lassen, ein weiteres, weniger leicht beherrschbares Risiko, nämlich das einer unübersehbaren Zahl organischer Schadstoffe. Das gilt auch für andere Recyclingprodukte wie Kompost, Schlachtabfälle und Gärreste. Schnug zog daraus den Schluss, dass eine nachhaltige Verwertung solcher Reststoffe als Phosphordünger auf landwirtschaftlichen Böden nur nach deren Monoverbrennung und anschließenden Aufbereitung zur Entfernung der Schwermetalle und Verbesserung der P-Löslichkeit möglich sei.

Peter Leinweber, Inhaber der Professur für Bodenkunde an der Universität Rostock, referierte über bodenkundliche Aspekte einer optimalen P-Ausnutzung. Seine Ausgangsthesen: Die P-Ressourcen sind begrenzt, aber der globale P-Bedarf wird weiter steigen. In vielen Erdteilen/Wirtschaftssystemen werden P-haltige Materialien mit Düngewirkung nicht adäquat eingesetzt oder sogar verschwendet. Das durch – zum Teil überhöhte – Zufuhr in Böden angereicherte P wird nicht effektiv verwertet; es verbleibt entweder im Boden (Bindung/Fixierung) oder wird in aquatische Ökosysteme ausgetragen, wo es negative Auswirkungen hat. P-Ressourcenknappheit und natürliche P-Fixierung in Böden fallen regional zusammen mit den aufgrund der Bevölkerungsentwicklung am stärksten steigenden Bedarfen. Daraus ergäben sich mehrere Aufgaben, insbesondere die Reduktion des P-Düngereinsatzes sowie die Substitution nicht erneuerbarer P-Quellen und eine Effizienzsteigerung bei der Düngung, die ein besseres Prozessverständnis sowie gezielte P-Mobilisierung einerseits, sowie Verlustminderung und P-Rückführung andererseits erfordere. Leinweber übte deutliche Kritik an der gegenwärtigen P-Düngepraxis, deren Nutzen wissenschaftlich nur schwer nachweisbar sei. Er stellte eine Metadatenanalyse vor, die belege, dass ein nachweisbarer Mehrertrag durch P-Düngung auf Entzug nur bei verfügbaren P-Gehalten < 7 mg CAL-P/100 g Boden feststellbar sei und forderte, die derzeit als gering versorgt definierte Gehaltsklasse B als optimal einzustufen. Nur bei P-Gehalten < 5 mg DL-P/100 g könnten außerdem gewässerschädliche Austräge von > 0,1 mg P/L (Jahresmittel) vermieden werden, weshalb die von der Düngeberatung empfohlenen P-Aufwandmengen dringend zu reduzieren seien. Forschungen aus den vergangenen drei Jahrzehnten haben gezeigt, dass insbesondere in phosphorgesättigten Böden auch die vertikale P-Verlagerung durch Auswaschung von nicht zu unterschätzender Bedeutung sei.

Beispielhaft für P-Recycling setzte sich Leinweber mit Gär­resten und Knochenkohle auseinander, deren Düngewirkung in seiner Arbeitsgruppe eingehend untersucht wurde. Offenbar können mit beiden Materialien P-Aufnahmen und Erträge in derselben Größenordnung wie mit mineralischem P (TSP) erreicht werden, wobei Knochenkohle bisher nur in kurzzeitigen Gefäßversuchen untersucht wurde. Bei der Knochenkohle sei dazu allerdings eine spezielle Oberflächenbehandlung erforderlich, um ihre Löslichkeit zu erhöhen. Ein Vorteil der Knochenkohle liege neben ihrer Freiheit von Schwermetallen und Antibiotika darin, dass sie, anders als TSP, den pH-Wert im Boden erhöhe und damit zum Ausfallen von Cd-Phosphat, also einer Immobilisierung dieses toxischen Schwermetalls, führe. Bisher fehlten allerdings Langzeitfeldversuche zu vielen Recyclingmaterialien, weshalb noch keine fundierten Empfehlungen gegeben werden könnten. Für Knochenkohle hat die TU Rostock gemeinsam mit dem JKI Braunschweig im Jahr 2013 einen ersten solchen Feldversuch angelegt, 2016 soll in einem Gemeinschafts­projekt der TU Rostock mit dem JKI sowie drei weiteren Institutionen (TU München, FZ Jülich, Brandenburgische TU Cottbus-Senftenberg) ein weiterer, noch umfangreicherer Langzeitfeldversuch folgen.

Christian Adam, Leiter des Fachbereichs Thermochemische Reststoffbehandlung und Wertstoffrückgewinnung an der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) in Berlin, zeigte in seinem Vortrag, dass die technischen Voraussetzungen zur Umsetzung des Konzeptes „100%/Zero“ bereits größtenteils gegeben sind. Während es sich bei der Nutzung von bislang ungenutztem Phosphor aus tierischen Wirtschaftsdüngern wohl in erster Linie um ein logistisches Problem handelt, besteht im Hinblick auf die vorhandenen Stoffströme die Herausforderung vor allem darin, aus dem in (Fleisch-) Knochenmehl aus Schlachtabfällen sowie in Produkten aus der Abwasserreinigung vorliegenden Phosphor einen pflanzenverfügbaren, möglichst schadstoff­neutralen P-Dünger zu gewinnen. Um eine Belastung mit organischen Schadstoffen auszuschließen, bietet sich vor allem die Monoverbrennung an. Für die Gewinnung eines P-Düngers aus der Asche stehen mittlerweile mehrere technische Möglich­keiten zur Verfügung, um den zumeist in Form von Apatit vorliegenden Phosphor in besser lösliche P-Formen umzuwandeln. Im Fall von Fleischknochenmehl(aschen) ist bislang lediglich das sogenannte ULOPHOS-Verfahren in großtechnischem Umfang erprobt worden. Dabei wird das Ausgangsmaterial in einem dem Rhenaniaverfahren analogen Prozess mit Natriumcarbonat und Quarzsand bei 1000°C calciniert. Das Produkt ist zwar nicht wasserlöslich, aber zu rund 80% löslich in alkalischem Ammoniumcitrat und zeigte im Gefäßversuch relative P-Aufnahmen von 65–87% im Vergleich zu Triplesuperphosphat. Die geplante Errichtung einer Pilotanlage ist bisher allerdings nicht umgesetzt worden. Denkbar ist für Fleischknochenmehl auch eine nasschemische Aufbereitung mit Schwefelsäure und die Gewinnung von Superphosphat, wie schon zu den Anfangszeiten der Mineraldüngerproduktion mit Knochenmehl praktiziert.

Im Fall von Produkten aus der Abwasserreinigung liegt nach Adam das größte P-Rückgewinnungspotential mit rund 90% der Zulauffracht bei entwässertem Faulschlamm und Klärschlamm­asche, während aus dem Kläranlagenablauf und dem Schlammwasser maximal 30–50% zurückgewonnen werden können. Wie seine Bestandsaufnahme zeigte, gibt es die meisten im full-scale oder als Demoanlage umgesetzten Verfahren allerdings bisher für Schlammwasser (und Faulschlamm), aus welchem Struvit (Magnesiumammoniumphosphat) gewonnen wird (z.B. PEARL, NuReSys, Crystallactor, AirPrex, PHOSPAQ, REPHOS, ANPHOS aus Abwasser, Gifhorner Verfahren und LYSOGEST aus Faulschlamm). Vorteile dieser Verfahren liegen vor allem in der Vermeidung von ungewollten Inkrustationen in der Kläranlage sowie in der guten Pflanzenverfügbarkeit des Struvits. Allerdings ist das Verfahren nur bei Bio-P Kläranlagen möglich, die in Deutschland bisher nur 6% aller Anlagen repräsentieren. Nachteilig ist auch, dass nur rund 30% der Zulauffracht an P rück­gewonnen werden. Schließlich besteht auch das schwer quantifizierbare Risiko einer Belastung des Endproduktes mit orga­nischen Schadstoffen, die in dem Verfahren nicht zerstört werden. Letzterem begegnet die thermische Aufbereitung von Klärschlamm, wie beispielsweise im MEPHREC-Prozess. Dabei entstehen durch Schmelzvergasung von Klärschlamm- und Tiermehl(aschen) im Kupolofen bei Temperaturen bis zu 2000°C Kalksilikophosphate mit einem P2O5-Gehalt bis zu 12%, die zu 90% in Zitronensäure löslich sind und dem früheren Thomasmehl ähneln. In dem Prozess gehen Fe, Cu, Cr und Zn in die Metallphase, Zn, Cd und Hg ins Abgas, somit wird das Produkt auch nicht mit Schwermetallen belastet. Eine Pilotanlage ist derzeit in Planung und soll in 2015/2016 zunächst für ein Jahr in Nürnberg laufen. Ein weiteres thermisches bzw. thermochemisches Verfahren zur Aufbereitung von Klärschlammasche ist das von der BAM in Zusammenarbeit mit mehreren Partnern, darunter auch das JKI, entwickelte SUSAN-Verfahren. Hier werden bei Temperaturen von 850–1000°C unter Zugabe von MgCl2 Schwermetalle aus der Asche abgetrennt und der als Apatit vorliegende Phosphor in besser lösliche Formen überführt. Vegetationsversuche mit dem ursprünglichen Produkt zeigten allerdings keine voll befriedigenden Ergebnisse. Im Rahmen des EU-Projektes P-REX hat die BAM an der Verbesserung des Produktes gearbeitet. Durch die Mischung der Klärschlamm­asche mit Na2SO4 sowie Klärschlamm als Reduktionsmittel konnte nun (weiterhin unter Verdampfung der Schwermetalle) ein neues Produkt erzeugt werden. Die finnische Firma Outotec hat 2014 in einem Demonstrationsversuch in Weimar 2t P-Dünger für Feldversuche herstellen lassen. Das entstandene Ca-Na-Phosphat zeigt zwar nur 10% Wasserlöslichkeit, ist aber zu 99% in neutralem Ammoniumcitrat (NAC) löslich und bringt somit im Vergleich zu seinem Vorgänger (< 1% wasserlöslich, max. 30% NAC-löslich) deutlich bessere Voraussetzungen für eine erfolgreiche P-Düngung mit. In einem Gefäßversuch mit verschiedenen Recyclingprodukten zeigte es mit TSP vergleichbare Erträge bei Mais sowohl auf saurem als auch auf neutralem Versuchsboden, während sein Vorgänger nur auf saurem Boden ähnliche Leistungen erbringen konnte. Adam zog zum Abschluss seines Vortrages das Fazit, dass sowohl für Produkte aus Schlachtabfällen als auch für solche aus der Abwasserreinigung geeignete technische Verfahren zur Verfügung stünden, um effiziente und schadstoffneutrale P-Dünger zu erzeugen und diese Abfallströme sinnvoll und nachhaltig zu nutzen.

Detlev Dölger von der Beraterfirma Hanse Agro GmbH (Gettorf) gab anhand zahlreicher Beispiele aus der Beratungspraxis und eigenen Versuchen einen Einblick in die aktuelle Praxis und Ökonomie der Phosphordüngung. Er begann seine Ausführungen mit einem Rückblick auf die Entwicklung der Aufwandmengen an Phosphor und anderen Hauptnährstoffen in den vergangenen 60 Jahren. In den Zahlen des statistischen Bundesamtes spiegele sich deutlich der Einbruch bei mineralischer Düngung insbesondere von P und K seit der Wende wider. Der Rückfluss von Nährstoffen aus Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft sei dagegen räumlich variabel. In ackerbaulich geprägten Regionen wie Sachsen und Thüringen seien die Rückflüsse vor allem bei Phosphor mit rund 10 kg P/ha eher zu gering. Bei unterlassener P-Aufdüngung komme es dabei durchaus zu Mindererträgen, insbesondere bei stark phosphorzehrenden Kulturen wie Zuckerrübe, Raps oder Kartoffeln, sowie Kulturen mit schlechter P-Aufnahme wie Gerste oder Mais. Problematisch sei vor allem die Kombination von P-Mangel mit einer trockenen (niederschlagsarmen) Vegetationsperiode, da dadurch der direkte Kontakt der Pflanzenwurzeln zum Boden unterbrochen werde, was die P-Aufnahme im schlimmsten Fall um bis zu 90% reduzieren könne. Dölger plädierte daher dafür, die Nährstoffgehaltsklassen an den Wasserhaushalt der jewei­ligen Standorte anzupassen. In der Praxis sei zu empfehlen, die mineralische Düngung an den unterschiedlichen Bedarf bzw. das Aufnahmevermögen der jeweiligen Kulturen anzupassen. Organische Dünger würden häufig über alle Früchte verteilt, sollten aber bei Fehlbedarf zusätzlich zu den oben genannten Kulturen ergänzt werden.

Ein weiteres aktuelles Beratungsfeld sei die Aufbringungstechnik bei organischer Düngung. Aufgrund der seit den 90er Jahren vermehrt praktizierten reduzierten Bodenbearbeitung habe sich eine gewisse „Kopflastigkeit“ der Nährstoffverteilung herausgebildet, der am besten mit Einarbeitung des Wirtschaftsdüngers in die oberen 5–20 cm des Ackerbodens, dem sogenannten „strip till“, zu begegnen sei. Auf diese Weise würden zugleich Stickstoffverluste reduziert. Eine Tendenz zur Unterfußdüngung sei bereits in der Praxis zu beobachten und habe den Vorteil, dass mehr P für die Pflanze zugänglich sei als bei der sonst üblichen breitflächigen Düngung vor der Aussaat oder der Kopfdüngung im Frühjahr. Mit Blick auf die Ökonomie der Düngung betonte Dölger die Notwendigkeit einer ausgewo­genen Grunddüngung zur Sicherung stabiler Erträge. Schwankende Düngerpreise ließen sich in gewissem Maße durch eine entsprechende Fruchtfolgedüngung ausgleichen. Wichtig sei vor allem eine hohe Wirksamkeit der P-Form. Nur wasser- und ammoncitratlösliche P-Formen seien voll anrechenbar, während schlechter verfügbare P-Formen die Düngungskosten deutlich erhöhen könnten. In der Beratung treffe er immer wieder auf Betriebe, die ihre P-Düngung lange Zeit vernachlässigt hätten und daher eine Betriebssanierung durchführen müssten. Die Aufdüngung ihrer Böden mit Mineraldünger sei für die meisten Betriebe zu teuer, eine Alternative könne der Zukauf organischer Dünger sein, beispielsweise Gärreste. Aufgrund der stark schwankenden Nährstoffgehalte sei allerdings die regelmäßige Analyse der organischen Materialien unerlässlich, eine Verwendung von Faustzahlen dagegen nicht zielführend. Unter den Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft seien vor allem Rinder- und Schweinegülle auch kurzfristig gut P-wirksam, während Festmist oder Trockenkot eher langfristig eine gute Wirksamkeit zeigten. Wolle ein Betrieb Klärschlamm zur Düngung einsetzen, sei darauf zu achten, dass Schlämme ohne Zusätze von Fe oder Al verwendet würden.

Auch die Problematik des Einsatzes von schwerem Gerät zur Bodenbearbeitung und die dadurch folgende Bodenverdichtung wurden in Dölgers Vortrag thematisiert. Weiterhin ging er auf die teilschlagspezifische Düngung ein, die eine effiziente Nährstoffverwertung sichere. Sie stelle allerdings eine hohe logistische Herausforderung dar, deren Kosten nicht von allen Betrieben getragen werden könnten.

Der zweite Teil der Veranstaltung war der Diskussion zwischen Referenten und Zuhörern gewidmet. Unter allen Beteiligten bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass die P-Verknappung weniger ein ressourcenbezogenes, als vielmehr ein politisch-ökonomisches sowie ein verteilungsbezogenes Problem sei. So stehen selbst in einem vergleichsweise kleinen geographischen Raum wie Deutschland Mangelgebiete vor allem in den Ackerbauregionen Ostdeutschlands stark überversorgten Gebieten in den Hochburgen der Viehwirtschaft gegenüber. Wie Georg Embert hervorhob, könnte mit einer durchschnitt­lichen Viehdichte von 0,8 GVE/ha theoretisch eine nachhaltige Verwertung von Gülle sicher gestellt werden, hier sei es die Aufgabe der zur Zeit in Überarbeitung befindlichen Düngeverordnung, klare und wirksame Regelungen zu schaffen. Ewald Schnug ergänzte dies mit der Forderung nach einer Phosphatrichtlinie analog zur bereits existenten Nitratrichtlinie. In diesem Zusammenhang wurde auch die vertikale Auswaschung von Phosphor erneut aufgegriffen. Wie Peter Leinweber erläuterte, haben in der Vergangenheit vielfach ungeeignete Messverfahren dazu beigetragen, dass dieser Pfad unterschätzt wurde, da derartige Austräge in der Regel an kurzzeitige Ereignisse (peaks) gebunden sind, die schwierig zu erfassen seien. Detlev Dölger betonte nochmals die Notwendigkeit bodenartspezifischer Klassengrenzen in der Düngeberatung. Auch wies er auf die Problematik der P-Alterung hin. So sei es schwierig, präzise festzustellen, ob genügend „frischer“ (d.h. noch pflanzenverfügbarer) Phosphor im Boden vorhanden sei. Schnug bestätigte, dass die Differenzierung von Boden-P-Formen noch immer unbefriedigend sei, man müsse hier die Bodenphysik und Hydrologie stärker berücksichtigen. Karl Severin (VDLUFA) bezweifelte die Korrektheit der Auswertungsergebnisse von Meta­daten, da diese eine zu große Streuung aufwiesen. Er plädierte daher für eine stärkere Normierung des Versuchswesens, um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu schaffen und die Erhebung wichtiger bodenphysikalischer Parameter sicher zu stellen.

Ein weiterer Diskussionspunkt war der zukünftige Einsatz von Knochenkohle. Hierbei handelt es sich um entfettete, entgelatinisierte Knochenchips, die bei 400–700°C pyrolisiert wurden, mit anderen Worten, um Aktivkohle. Gedacht ist aufgrund der hohen Rohstoff- und Produktionskosten vor allem an den Einsatz im Ökolandbau. Das durch die Pyrolyse in seiner Chemie unveränderte Ca-Mg-Phosphat müsse allerdings, so Leinweber, durch weitere Verfahrensschritte besser verfügbar gemacht werden, ein entsprechendes Verfahren ist bereits zur Patentierung angemeldet. Wie eine Vertreterin des Biolandverbandes bestätigte, sind die Regularien bezüglich der Verwertung von Düngern aus Recyclingmaterialien im Ökolandbau derzeit in der Diskussion, man wolle sich öffnen und als wichtigste Kriterien künftig die Verfügbarkeit bzw. Wirksamkeit der daraus gewonnenen Dünger sowie die Prozessqualität, d.h. den Energie- und Ressourceneinsatz, in den Vordergrund stellen. Im Hinblick auf die potentielle Gefahr von Antibiotikaeinträgen durch tierische Reststoffe wie (Fleisch-) Knochenmehl war man sich einig darüber, dass diese durch Erhitzung (Pyrolyse bzw. Verbrennung im Fall von FKM-Asche) deutlich reduziert oder sogar beseitigt werde.

Zum Abschluss der Tagung verwies Ewald Schnug noch einmal auf deren konkreten Anlass, welcher der Beratungsbedarf des Ministeriums (BMEL) gewesen sei. Aus der Veranstaltung könne man zum einen die Erkenntnis mitnehmen, dass kein Anlass zur Panik hinsichtlich der Ressourcenverfügbarkeit bestehe, jedoch im Hinblick auf die Versorgung künftiger Generationen durchaus Besorgnis angebracht sei. Zum anderen sei mit dem Konzept „100%/Zero“ eine hinreichende Definition geschaffen worden, um sogenannte „Kollateralschäden“ in der Landwirtschaft durch Düngung zu vermeiden, indem man die 100%ige Verfügbarkeit des Phosphors, sowie eine Nulltoleranz hinsichtlich der Zufuhr organischer Schadstoffe bzw. der Akkumulation von Schwermetallen im Boden vorgebe. Recyclingprodukte müssten sich hinsichtlich Wirksamkeit und Schadstoffgehalten an Mineraldüngern messen lassen. Die größte Ressource liege allerdings in der nachhaltigen Nutzung tierischer Wirtschaftsdünger.

Sylvia Kratz, Judith Schick (JKI Braunschweig)

Neues aus der Deutschen Genbank Obst (DGO):

Mehr als rot und rund – Biodiversität alter Süßkirschsorten im Kirschanbaugebiet von Witzenhausen

Journal für Kulturpflanzen, 67 (2). S. 76–83, 2015, ISSN 1867-0911, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart


Die nordhessische Region Witzenhausen verfügt über eine lange Tradition im Kirschanbau. Aufgrund gravierender struktureller Anbauveränderungen verschwinden die alten Kirschhochstämme zunehmend aus dem Landschaftsbild und mit ihnen sowohl die alten Kirschsorten als auch das damit verknüpfte traditionelle Wissen. Um dieser Entwicklung entgegen zu wirken, wurden in einem von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung geförderten Modellprojekt ca. 600 alte Hochstämme erfasst und die Kirschsorten verifiziert. Insgesamt konnten 53 alte Kirschsorten aufgefunden werden, unter ihnen auch viele sel­tene und verschollen geglaubte Sorten. Über 80% der aufgefundenen Sorten sind heute als gefährdet anzusehen, zwei Sorten waren bereits im Untersuchungszeitraum ausgestorben. Von drei Sorten ist anzunehmen, dass sie nur lokal im Witzenhäuser Raum verbreitet sind. Viele der aufgefundenen Sorten besitzen interessante Eigenschaften für zukünftige Nutzungen wie Robustheit oder besondere Geschmacks- bzw. Verwertungs­eigenschaften.

Die Sorten wurden in drei Sortenpflanzungen gesichert, welche Teil der Deutschen Genbank Kirsche sind. Um das Thema stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, wurde ein Kirschenerlebnispfad in Witzenhausen angelegt, in dem das Wissen rund um die alten Kirschsorten auf interaktive Weise vermittelt wird.

Obstsortenvielfalt – da denkt man sofort an den Apfel: Bei dieser Obstart ist allgemein bekannt, dass es eine Vielzahl von Sorten gibt, einen ‘Cox Orange’, einen ‘Gravensteiner’ oder einen ‘Boskoop’ sind auch heute noch gebräuchliche Sorten­namen. Aber Kirschensorten? „Rote Kirschen ess ich gern, schwarze noch viel lieber“, das ist i.d.R. alles, was zu Sortenunterschieden einfällt und Sortennamen sind hier kaum gebräuchlich.

Und doch gibt es sie, die Vielfalt von alten, oft bereits im 19. Jahrhundert entstandenen Kirschsorten. Diese in einem kleinen, traditionellen Anbaugebiet aufzuspüren, zu identifizieren und zu bewahren war Ziel eines Projektes, das als Modell- und Demonstrationsvorhaben im Bereich der biologischen Vielfalt in den Jahren 2007 bis 2008 durchgeführt wurde. Es handelt sich hier um ein Kooperationsprojekt, in dem zwei kleinere Anbaugebiete untersucht wurden, Hagen am Teuteburger Wald und Witzenhausen in Nordhessen. Nach Hagen (Journal für Kulturpflanzen 65, 2013, 429–432) sollen an dieser Stelle nun auch die Ergebnisse des Witzenhäuser Projektteils vorgestellt werden.

Historische und aktuelle Entwicklungen im Kirschanbaugebiet Witzenhausen

Das Anbaugebiet von Witzenhausen liegt nördlich von Kassel, im Werra-Meißner-Kreis, der als Schwerpunkt des hessischen Süßkirschanbaus galt (Strohkark, 1993), (Abb. 1).

Abb. 1. Landschaftsprägende Kirschhochstämme um Wit­zenhausen: Das Kirschdorf Wendershausen in Blü­tenpracht.

Abb. 1. Landschaftsprägende Kirschhochstämme um Wit­zenhausen: Das Kirschdorf Wendershausen in Blü­tenpracht.

Die lange Tradition des Kirschanbaus, in den Anfängen noch als Parallelkultur zum Weinbau, ist bereits seit dem 16. Jahrhundert – und wie könnte es anders sein – durch die urkund­liche Erwähnung eines Nachbarschaftsstreits bezeugt. Nach einer Blütezeit im 19. Jahrhundert ging der Kirschanbau Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse (Kriegsereignisse, Inflation) sowie verheerender Frostwinter (in denen die Hälfte aller Kirschbäume vernichtet wurde) zurück. Ab den 1960er Jahren erfolgten zunehmend Einfuhren von Kirschen aus Südeuropa, die zu starker Konkurrenz mit dem einheimischen Obst und in der Folge zu hohem Preisdruck führten. Wie auch in anderen Kirschregionen erfolgte in Witzenhausen als Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen ein Sortimentsumbau: Die Vielfalt der vorhandenen Süßkirschsorten wurde „bereinigt“, der Großteil der weichfleischigen und rotbunten Sorten – geschmacklich zwar oft hervorragend, aber für den Markt zu klein und zu wenig transportfest – wurde durch eine Handvoll dunkler, großfrüchtiger und transportfester Sorten ersetzt. Der traditionelle Anbau auf hochstämmigen Kirschbäumen wich zunehmend intensiven Niederstammkulturen auf schwachwachsenden Unterlagen. Von den noch 1993 vorhandenen 160 000 Süßkirschhochstämmen dürfte heute ein großer Teil verschwunden sein, der Intensivanbau auf schwachwachsenden Unterlagen hat sich dagegen seitdem deutlich ausgeweitet. Die nutzlos gewordenen Hochstämme wurden und werden zunehmend gerodet oder sterben ab, nachgepflanzt werden fast ausschließlich Niederstämme. Das Landschaftsbild, geprägt durch die traditionellen Hochstammanlagen, ändert sich zunehmend und es ist fraglich, ob die Kirschblüte in einigen Jahren noch wie heute Touristenströme anlocken wird. Mit den alten Bäumen gehen aber auch die alten Sorten verloren. Und nicht nur der vorhandene Genpool, auch die Menschen, die sich mit diesen Bäumen und Sorten beschäftigt haben, sterben aus und mit ihnen das Wissen um traditionelle Anbau- und Verwertungsmethoden wie auch um die speziellen Sortenkenntnisse (Abb. 2, Abb. 3).

Abb. 2. Traditionelle alte Kirschhochstammanlage mit Weideunternutzung.

Abb. 2. Traditionelle alte Kirschhochstammanlage mit Weideunternutzung.

Abb. 3. Moderne Niederstammanlage auf schwachwach­senden Unterlagen.

Abb. 3. Moderne Niederstammanlage auf schwachwach­senden Unterlagen.

Die Kirschsortenerfassungen – Methodik, Ergebnisse und deren Bewertung

Bei den Erfassungen der alten Sorten in Witzenhausen wurde daher im ersten Schritt versucht, noch Zeitzeugen aufzufinden, um deren Wissen rund um den Kirschanbau und deren Sortenkenntnisse zu dokumentieren. Denn Publikationen über tradi­tionell angebaute Süßkirschsorten in Witzenhausen gibt es wenige (Thalheim, 1952; Künzel, o. Jg.) und sie beschränken sich im Wesentlichen auf Aufzählungen, ohne die einzelnen Sorten genauer zu beschreiben.

Doch wie identifiziert man überhaupt Kirschsorten? So klein und ähnlich die Sorten auf den ersten Blick erscheinen, kann man bei genauerem Hinsehen und etwas Erfahrung doch deutliche Unterschiede zwischen ihnen erkennen. Und nicht nur die Frucht, auch die Reifezeit, die Baumform, die Blüte und insbesondere der Fruchtstein liefern eine Vielzahl von Merkmalen, die eine Sorte von der anderen unterscheiden. Wichtig bei der Identifizierung sind Referenzen, die aus historischen Sortenpflanzungen, aber auch Fruchtsteinsammlungen (die z.B. im Bundessortenamt sowie in verschiedenen Obstinstituten lagern) sowie aus historischer Literatur stammen können.

Bei der Erfassung im Anbaugebiet von Witzenhausen wurden ca. 600 Bäume untersucht. Insgesamt wurden 53 verschiedene alten Sorten aufgefunden, von denen ca. 80% identifiziert werden konnten. Dieses Ergebnis ist für Kirschsorten sehr hoch und in umfangreichen Recherchearbeiten in historischen Sortimentspflanzungen und Fruchtsteinsammlungen begründet. Zur Identifizierung der übrigen Sorten waren die verfügbaren Referenzen nicht ausreichend. Denn nicht jede im Streuobst einst vorhandene Sorte ist in Referenzsammlungen vorhanden oder in der historischen Literatur beschrieben, auch sind die Literaturbeschreibungen z.T. so ungenau, dass eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist. Alarmierend ist die akute Gefährdung des Großteils der aufgefundenen Sorten: Über 80% sind maximal noch vereinzelt auf Altbäumen vorhanden und somit gefährdet, über die Hälfte nur noch auf bis zu drei Bäumen vorhanden, also stark gefährdet und zwei Sorten bereits ausge­storben.

Überraschend waren auch die Ergebnisse zu den vermeint­lichen Lokalsorten: Insgesamt sind in der Region zwar für 17 Sorten Lokalnamen verbreitet, tatsächlich sind davon aber höchstens drei Sorten nur lokal verbreitet, die übrigen Lokalbezeichnungen sind nur Synonyme für pomologische Sorten­namen meist überregional verbreiteter Sorten. Hier trat auch Kurioses zutage, wie z.B. die „Wahlhäuser“, von den Witzenhäusern nach dem gleichnamigen Ort an der Werra benannt, die sich als pomologische Sorte ‘Kunzes Kirsche’ entpuppte. Diese wiederum stammt ursprünglich aus dem Ort Wallhausen im Kreis Sangerhausen und wird aufgrund ihrer Herkunft auch als ‘Wallhäuser’ bezeichnet, der Sprung zur „Wahlhäuser“ lag daher nahe.

Betrachtet man die aufgefundenen Witzenhäuser Sorten im historischen Bezug, so ist hier ein Großteil des sogenannten engeren „Diemitzer Sortiments“ vorhanden, das als eine Art „deutsches Nationalsortiment“ Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet wurde. Zudem wird der Einfluss von Sorten des ehemaligen „Mitteldeutschen Anbaugebietes“ deutlich, das früher Teile von Sachsen-Anhalt und Thüringen umfasste.

Bei den Untersuchungen wurden viele seltene, z.T. sogar verschollen geglaubte Sorten wieder aufgefunden, wie z.B die Sorte ‘Bernhard Nette’, eine frühreifende, dunkle, große und wohlschmeckende Kirsche, die zum Zeitpunkt der Erfassungen in keiner offiziellen Sammlung mehr existierte oder auch die einst für Witzenhausen typische ‘Frühe Spanische’, eine sehr aromatische Frühkirsche, die im 19. Jahrhundert bis England verkauft wurde (Abb. 4).

Abb. 4. Die Witzenhäuser Lokalsorte ‘Frühe Spanische’.

Abb. 4. Die Witzenhäuser Lokalsorte ‘Frühe Spanische’.

Auch einige der heute vom Handel so geschmähten rotbunten Kirschsorten sind in Witzenhausen verbreitet: Neben der hier früher sehr geschätzten ‘Büttners Roten Knorpel’, die in Witzenhausen „Königskirsche“ genannt wird, auch die zuckersüße ‘Kunzes Kirsche’ und deren Verwechsler, die ‘Maibigarreau’, auch „Zuckerkirsche“ genannt (Abb. 5).

Abb. 5, 6.   Zum Verwechseln ähnlich: Die rotbunten Kirschsorten ‘Kunzes Kirsche’ und ‘Maibigarreau’.

Abb. 5, 6.   Zum Verwechseln ähnlich: Die rotbunten Kirschsorten ‘Kunzes Kirsche’ und ‘Maibigarreau’.

Oder die Sorte ‘Grolls Bunte’, die nur dank einer tschechischen Herkunft identifiziert werden konnte. Ihr Name war in Deutschland anscheinend schon um 1900 verloren gegangen, sie wurde in der Folgezeit unter dem Namen „Gestreifte Spanische Knorpel“ verbreitet und in den Sortimentspflanzungen z.T. mit der Sorte ‘Große Prinzessin’ verwechselt.

Viele der aufgefundenen Sorten besitzen interessante Eigenschaften wie Robustheit, Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten oder besondere Geschmacks- bzw. Verwertungseigenschaften. Somit stellen die alten Kirschsorten ein großes Potential für zukünftige Nutzungen, z.B. im Selbstversorgeranbau, für innovative Produkte und für die zukünftige Züchtungs­forschung dar.

Neben Frucht-, Fruchtstein-, Baum- und Blütenfotos wurden die aufgefundenen Sorten durch detaillierte Sortenbeschreibungen dokumentiert. Diese Sortendokumentationen sind in einem sowohl für Witzenhausen als auch für Hagen a.T.W. umfas­senden Sortenwerk publiziert (Braun-Lüllemann und Bannier, 2010).

Sortensicherung und Öffentlichkeitsarbeit

Ein zentrales Ziel des Projektes war die nachhaltige Sorten­sicherung: Die erfassten Sorten wurden an drei verschiedenen Standorten gesichert: In Pflanzungen der Stadt Witzenhausen, des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen sowie der Gemeinde Hagen a.T.W. Alle drei Sammlungen sind Teil der im Jahr 2007 gegründeten Deutschen Genbank Kirsche, die derzeit als Netzwerk aus sieben sammlungshaltenden Partnern besteht und Bestandteil der Deutschen Genbank Obst ist.

Um die Bedeutung der Sortenvielfalt wieder mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und die lokale Bevölkerung ebenso wie die Werrataltouristen anzusprechen, war auch die Konzeption und die Umsetzung eines Kirschenerlebnispfades in Witzenhausen Teil des Projektes. Hier wurden auf 4,5 km Länge in einer Stadt- und Landschaftsroute insgesamt 17 Erlebnis­stationen eingerichtet. Diese vermitteln auf interaktive Weise Wissen zu den alten Kirschensorten und der Bedeutung der Sortenvielfalt, zur Geschichte der Süßkirsche und zu Themen rund um den Kirschanbau: Auf einem Baumstamm kann man z.B. ausprobieren, welches Ereignis der Kirschengeschichte einen „umschmeißt“ und ein Sortenquiz lädt zur Beschäftigung mit den Sortenunterscheiden ein. Nieder- und Hochstämme alter Witzenhäuser Kirschensorten flankieren den Erlebnispfad und dienen gleichzeitig als Sicherungsstandorte (Abb. 6).

Abb. 7. Baumhaus-Station des Witzenhäuser Erlebnispfa­des.

Abb. 7. Baumhaus-Station des Witzenhäuser Erlebnispfa­des.

Das hier beschriebene Demonstrationsvorhaben „Erhaltung der Süßkirschsortenbestände in Hagen a. T.W. und Witzenhausen“ (Nr. 05BM008/2) wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gefördert.

Literatur

Braun-Lüllemann, A., H.-J. Bannier, 2010: Pomologische Beschreibungen – Alte Süßkirschsorten – Witzenhausen. Sortenbroschüre, resultierend aus dem Modell- und Demonstrationsvorhaben im Bereich der Biologischen Vielfalt: „Erhaltung der Süßkirschsortenbestände in Hagen a.T.W. und Witzenhausen“. Hrsg.: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), Bonn.

Künzel, A., o. Jg., ca. 1979: Kirschenanbau in der Umgebung von Witzenhausen. Stadtarchiv Witzenhausen, Akte Kirschen.

Strohkark, Ch., 1993: Die ökonomische Bedeutung des Kirschenanbaus für die Stadt Witzenhausen, Diplomarbeit, Universität Gesamthochschule Kassel.

Thalheim, F., 1952: Der Kirschenanbau im Kreise Witzenhausen. Der hess. Ostbau 6, 87-88.


Kontakt: Dr. Annette Braun-Lüllemann, An der Kirche 5, 37318 Hohengandern, E-Mail: braun-luellemann@t-online.de


Annette Braun-Lüllemann (Hohengandern)

Personalien

Nachruf für Professor Gerhard Proeseler

Journal für Kulturpflanzen, 67 (2). S. 76–83, 2015, ISSN 1867-0911, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

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Am 15. November 2014 verstarb im Alter von 77 Jahren Prof. Dr. agr. sc. Gerhard Proeseler, der ehemalige Leiter des In­stituts für Epidemiologie und Resistenz, Aschersleben der früheren Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen (BAZ). Mit ihm verlieren wir einen anerkannten Wissenschaftler, der sich besonders auf dem Gebiet der Virosen am Getreide und der Züchtung auf Virusresistenz verdient gemacht hat.

Gerhard Proeseler wurde am 18. April 1937 in Aschersleben geboren, wo er aufwuchs und die Schule besuchte. Nach dem Abitur an der Oberschule in Aschersleben begann er 1955 ein landwirtschaftliches Studium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und schloss dieses 1960 als Diplom-Landwirt ab. Bereits das Thema seiner Diplomarbeit „Beziehungen zwischen Nährstoffhaushalt und Virusinfektion“ zeigte seine zukünftige wissenschaftliche Orientierung. Wesentlich trugen dazu der damalige Leiter des Instituts für Phytopathologie in Aschersleben, der international anerkannte Virologe Prof. Dr. Maximilian Klinkowski, sowie seine zweijährige Tätigkeit als Hilfsassistent an diesem Institut bei. Nach einer kurzen Phase praktischer Absolvententätigkeit im Staatsgut Eisleben, konnte er 1961 als Aspirant der MLU am Institut für Phytopathologie in Aschersleben seine wissenschaftliche Laufbahn fortsetzen. Hier vertiefte Gerhard Proeseler besonders seine Kenntnisse im Bereich der Viren und Vektoren. Mit dem Dis­sertationsthema „Die Blattwanze Piesma quadrata Fieb. und das Rübenkräusel­virus (Savoia betae Holmes) unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Virus und Vektor“ promovierte er 1965 an der MLU in Halle zum Dr. agr. Von 1964 bis zur Auflösung im Jahre 1991 arbeitete er wissenschaftlich am Institut für Phytopathologie in Aschers­leben; seit 1965 als wissenschaftlicher Assistent und ab 1968 als wissenschaft­licher Oberassistent. Im Vordergrund seiner wissenschaftlichen Tätigkeit stand die anwendungsorientierte Forschung zu Viren und ihren Vektoren, mit der er sich 1970 an der MLU mit der Habilitationsschrift „Gallmilben (Eriophyoidea) als Virusüberträger unter besonderer Berücksichtigung ihrer Morphologie, Ökologie und Bekämpfung“ habilitierte. Zunächst in der Vektorenforschung tätig, konzentrierte sich seine Arbeit auf die virus­bedingte Vergilbung der Zuckerrübe. Mit der Entdeckung der bodenbürtigen Ger­stengelbmosaikviren (Barley mild mosaic virus, Barley yellow mosaic virus) in der ehemaligen DDR bekam seine Forschungstätigkeit einen neuen Schwerpunkt. Einerseits war die Verbreitung der Viren auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zu klären, gleichzeitig begann aber die Suche nach resistenten Gerstengenotypen, insbesondere durch umfangreiche Evaluierungen in Genbankmaterial und – in Kooperation mit züchterisch arbeitenden Einrichtungen – die Einkreuzung von Resistenz zur Entwicklung resistenter Sorten. Seine umfangreichen Untersuchungen zum Vorkommen, zur Diagnose und Epidemiologie sowie zu den Möglichkeiten der Senkung der durch diese Virose bedingten Schäden, führten in Zusammenarbeit mit Pflanzenzüchtern zur Zulassung der virusresistenten Wintergerstensorte „Viresa“. Die Wertschätzungen seiner geleisteten Arbeit zeigte sich u.a. 1987 durch die Auszeichnung mit dem „Theodor-Roemer-Preis“ und 1988 als „Verdienter Züchter“ sowie 1989 durch die Ernennung zum Professor durch die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften.

Mit der politischen Wende ergaben sich für Prof. Dr. Gerhard Proeseler neue Anforderungen. Aufgrund seiner integeren Persönlichkeit und seiner wissenschaft­lichen Kompetenz wurde ihm mit Zustimmung der Wissenschaftler des Instituts für Phytopathologie das Amt des Instituts­direktors übertragen, das er bis zur, für ihn sicher nicht leichten, Auflösung des Instituts für Phytopathologie in Aschersleben, leitete.

Mit Gründung der Bundesanstalt für Züchtungsforschung (BAZ) im Jahr 1992 wurde er Leiter des Instituts für Epidemiologie und Resistenz, das er bis zur Beendigung seiner Dienstzeit im Jahre 2002 leitete. Trotz der umfangreichen administrativen Aufgaben – so amtierte er bis zu seinem Ausscheiden als Stellvertreter des Anstaltsleiters und hatte von 1995 bis 1996 die Leitung der BAZ kommissarisch inne – fand er immer noch Zeit, um sich mit „seinen Viren“ zu beschäftigen. So ließ er es sich z.B. nicht nehmen, trotz der vielfältigen administrativen Aufgaben, zusammen mit seiner Assistentin selbst die umfangreichen Evaluierungssortimente und Kreuzungsnachkommenschaften auf den viruskontaminierten Versuchsflächen zu bonitieren.

Seine wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse veröffentlichte er als Autor bzw. Mitautor in zahlreichen Publikationen in Fachzeitschriften und Fachbüchern sowie in einer Vielzahl von nationalen und internationalen Vorträgen. 1991 wurde er Mitglied des Editorial Boards des „Journal of Phytopathology“.

Mit dem Ende seines aktiven Berufslebens konnte er sich nun auch intensiv seinen vielfältigen Interessen, insbesondere seiner Kakteenzucht und der Aquaristik widmen und hielt häufig Vorträge vor Fachkollegen. Trotzdem blieb Prof. Proeseler der Bundesanstalt für Züchtungsforschung, dem heutigen Julius Kühn-Institut (JKI), und seinem Institut eng verbunden und stand auch weiterhin in fachlichen Fragen den Kollegen hilfreich zur Seite.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Resistenzforschung und Stresstoleranz des JKI werden Herrn Professor Gerhard Proeseler als bescheidenen, immer interessierten und engagierten Wissenschaftler in Erinnerung behalten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.


Edgar Schliephake, Antje Habekuss, Frank Ordon (JKI Quedlinburg)

Literatur

Journal für Kulturpflanzen, 67 (2). S. 76–83, 2015, ISSN 1867-0911, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Bundesnaturschutzrecht – Kommentar und Entscheidungen. Kommentar zum Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), Vorschriften und Entscheidungen. Prof. Dr. K. Messerschmidt, begr. von Dr. A. Bernatzky † und O. Böhm. Loseblattwerk in 6 Ordnern mit CD-Rom. Heidelberg, rehm, Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm, ISBN 978-3-8073-2393-0.

122. Aktualisierung, Stand: Oktober 2014


Die Highlights dieser Aktualisierung:

Kommentierung zu:

§ 40 Invasive Arten

§ 41 Vogelschutz an Energiefreileitungen

§ 42 Zoos und

§ 43 Tiergehege.

Neue VO/EU Nr. 888/2014


Das bringt die 122. Aktualisierung:

Der Kommentarteil beinhaltet die Neukommentierung von § 40 (invasive Arten, früher § 41 Abs. 2 a. F.), § 41 (Vogelschutz an Energiefreileitungen, früher § 53 a. F.), § 42 (Zoos, früher § 41 a. F.) und § 43 (Tiergehege, neu).


Der Vorschriftenteil enthält die neue artenschutzrechtliche Durchführungsverordnung (EU) Nr. 888/2014, welche die alte Einfuhrverbotsverordnung (EU) Nr. 578/2013 ersetzt.


Aktuelle Rechtsprechung rundet die Ergänzungslieferung ab.


ISSN (elektronisch): 1867-0938
ISSN (print): 1867-0911
Verlag
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