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Mitteilungen und Nachrichten

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Fachsymposium „Urbaner Gartenbau – Die Produktion kehrt in die Stadt zurück“

Journal für Kulturpflanzen, 67 (3). S. 109–110, 2015, ISSN 1867-0911, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart


Vom 9. bis 10. Dezember 2014 fand in Berlin das Fachsympo­sium „Urbaner Gartenbau – Die Produktion kehrt in die Stadt zurück“ statt. Nach drei Symposien zum Stadtgrün mit den Schwerpunkten Pflanze, Umwelt und Soziales, hatten das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zusammen mit dem Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau und Forst, erneut geladen, um den Stand des Wissens über Urbanen Gartenbau aufzuzeigen. Mit 120 Teilnehmern war die Veranstaltung ausgebucht.

Herr Ministerialrat Dr. Ingo Braune vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft eröffnete die Veranstaltung mit einem kurzen Rückblick auf die vergangenen drei Sympo­sien. Er verwies auf die Herausforderungen einer zunehmenden Urbanisierung mit den zwei Trends der Bevölkerungszunahme und Flächenverdichtung in Metropolen auf der einen und den Schrumpfungsprozessen von Kleinstädten auf der anderen Seite. Dabei ging es in diesem Symposium weniger um Kleingartenwesen oder Urban Gardening, sondern um profes­sionelle gartenbauliche Produktion im Urbanen Raum. Auch ausgewählte Modellprojekte wurden vorgestellt.

Der erste Tag stand unter dem Titel der gebäudegebundenen Produktionsweisen. In den ersten drei Vorträgen wurden die derzeitigen Möglichkeiten, aber auch Zukunftsvisionen für die Lebensmittelproduktion in und an Gebäuden präsentiert.

Dr. Andrea von Allwörden, Humboldt-Universität zu Berlin (HU), referierte im Einführungsvortrag über „Versorgungs­sicherheit – was können Städte leisten?“ Die Weltbevölkerung nimmt stetig zu und wird von 2005 6,5 Milliarden Menschen auf voraussichtlich 9,1 Milliarden im Jahr 2050 steigen. Dann werden 70% der Menschen in Städten leben. In den letzten 300 Jahren hat sich die Bevölkerung verachtfacht, wohingegen die landwirtschaftliche Fläche nur um das Fünffache ausgeweitet werden konnte. Das zeigt die Notwenigkeit neuer Wege in der Lebensmittelproduktion. Es gibt zahlreiche Ideen und Konzepte für die Gemüseproduktion in Städten: z.B. Kleingarten, Gemeinschaftsgarten, Pachtgarten, Subsistenzwirtschaft und Vertical Farming. Dennoch sind viele Fragen bisher noch offen. Die HU Berlin fungiert als Koordinationsstelle von VitaCity und bündelt damit das Fachwissen über Urban Farming. Das Projekt VitaWert soll ergründen, was Städte im Hinblick auf Selbstversorgung leisten können (www.vitacity.org).

„Visionen der Lebensmittelproduktion in der Stadt der Zukunft“ präsentierte Dr. Peter Smeets, Wageningen University & Research Centre (NL). Dabei stellte er die Ressourceneffizienz als einen der wichtigsten Aspekte bei der Frage der Versorgungssicherheit heraus. Moderne Gewächshäuser, horizontale und vertikale Integration und vor allem ausgeklügelte Agro­logistik sind dabei aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit landwirtschaftlich nutzbarer Flächen ein wichtiger Baustein. Eine global gedachte Agrologistik bildet seiner Ansicht nach die Basis zur Sicherung der Welternährung.

Volkmar Keuter, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT Oberhausen, stellte „Gebäudegebundene Lebensmittelproduktion – wo stehen wir heute und was wird in Zukunft möglich sein?“ vor. Die Lebensmittelproduktion im Urbanen Raum bietet Möglichkeit frische Waren regional anbieten zu können, desweiteren kann sie einen positiven Effekt auf den Energieverbrauch haben. Neben den Energieeinsparungen bei Transport, Kühlung und Lagerung können bei der gebäudegebundenen Produktion vorhandene Ressourcen wie Abwärme und Regenwasser genutzt und die zunehmende Flächenkonkurrenz gedämpft werden. Auf dem Weg zu „Smart Cities“ wird auch die Urbane Produktion eine Rolle spielen (www.infarming.de).

Modellprojekte

Rooftop Farming auf klassischen extensiven Gründächern erprobte Florian Demling von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim. Verwendet wurden bei den Versuchen klassische Begrünungssubstrate, auch wenn es mittlerweile Spezialsubstrate für den Gemüseanbau auf dem Dach gibt. Bei vielen Gemüsesorten konnten im Rahmen der Versuche marktfähige Erträge erzielt werden. Es wurde auch auf Fruchtfolgen geachtet. Das Modell des Rooftop Farming bietet durch die Verbrauchernähe besonders im Hinblick auf Direktvermarktung Chancen für Supermärkte, Restaurants, aber auch für Schulen.

Das Projekt „ZFarm – Städtische Landwirtschaft der Zukunft“ stellte Kathrin Specht vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung e.V. Müncheberg vor. Zentraler Bestandteil dieses Projektes war ein partizipativer Prozess zum Thema Dachgewächshäuser in Berlin. Sie erläuterte unter anderem unterschiedliche Funktionen von Dachgewächshäusern (kommerziell, Lebensqualität, Bildung und Soziales, Innovation, Image) und deren Möglichkeiten und Potentiale. Im Ergebnis des Projekts entstand ein Praxisleitfaden: „Es wächst etwas auf dem Dach – Dachgewächshäuser“ (www.zfarm.de).

Nicolas Leschke von der ECF Farmsystems GmbH stellte die ECF Farm auf dem Gelände der Malzfabrik Berlin vor, welche im Dezember 2014 fertiggestellt und im März 2015 eingeweiht werden soll. Dabei wird es sich mit 1800 m2 um die größte Aquaponik-Farm in Europa handeln. Die Farm vereint Hydro­ponik und Aquakultur und somit die Produktion von Gemüse und Kräutern sowie Fisch unter einem Dach. Erwartet werden Produktionsmengen von 35 t Fisch und 35 t Gemüse pro Jahr, welche regional vor allem durch Abo-Kisten abgesetzt werden sollen (www.ecf-farmsystems.com).

Dr. Stefan Hindersin, Strategic Science Consult GmbH Hamburg, stellte in seinem Vortrag die vertikale Produktion dar, wobei es jedoch nicht um Gemüse ging. Am Beispiel des BIQ-Algenhaus in Hamburg erläuterte er die Produktion von Wärme und Biomasse mithilfe von Mikroalgen in einer Photobioreaktor-Fassade (www.biq-wilhelmsburg.de).

Am zweiten Veranstaltungstag lag der Schwerpunkt auf klassischer gartenbaulicher Produktion im städtischen und stadtnahen Bereich. Bedingungen und Chancen urbanen Gartenbaus/Landwirtschaft wurden dabei erörtert. Drei Modellprojekte wurden vorgestellt.

Prof. Wolf Lorleberg, Fachhochschule Südwestfalen Soest, begann seinen Vortrag zu den Bedingungen und Chancen für Landwirtschaft im Urbanen Raum mit der Frage: „Hat nicht die Stadt die Produktion eingeholt?“ Agrarflächen im städtischen und stadtnahen Raum unterliegen einer besonderen Konkurrenz und Verteilungssituation. Oft handelt es sich um kleine Flächen bzw. um Flächen kleiner Betriebe. Die Verbrauchernähe bietet dabei Chancen, birgt jedoch auch Herausforderungen wie die Multi-Nutzung oder spezielle Nutzungsauflagen. Doch die Vielfalt und Heterogenität der Geschäftsmodelle ist im Urbanen Raum deutlich höher. Oft stehen dabei gesellschaftliche Leistungen im Mittelpunkt (z.B. Hofladen, Pferdepension, etc.). Prof. Lorleberg verwies auch auf den Austausch im Expertennetzwerk der EU COST-Action „Urban Agriculture Europe“ (www.urbanagricultureeurope.la.rwth-aachen.de).

Das Projekt Zukunftsforum Urbane Landwirtschaft wurde von Rolf Born, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen Bonn, vorgestellt. Das Forum definiert die Urbane Landwirtschaft als: „professionelle, landwirtschaftliche und gartenbauliche Aktivitäten in (inner-urban) und am Rande (peri-urban) von städ­tischen Verdichtungsräumen“. Die Urbane Landwirtschaft muss professionelle Landwirtschaft und urbanes Gärtnern zusammenbringen. Gerade das Ruhrgebiet weist eine sehr spezielle Agrarstruktur mit einem landwirtschaftlichen Flächenanteil von 40% (vgl. Berlin 2,5%) auf. Doch der jährliche Flächenverlust liegt im Ruhrgebiet bei 1000 ha. Das Forum arbeitet derzeit an einer Charta Urbane Landwirtschaft (www.urbane-landwirtschaft.org).

Mit der Frage „Urbane Gehölzproduktion – Vision oder Notwendigkeit“ befasste sich Prof. Hartmut Balder von der Beuth Hochschule für Technik Berlin. In Hinblick auf das Stadtgrün gibt es kaum noch kommunale Eigenproduktion. Dabei würde diese in seinen Augen einige Vorteile mit sich bringen, wie die verbesserte Anpassung der Pflanzen an die späteren Standortbedingungen und ein gesteigertes Bewusstsein und Wertschätzung der Beteiligten. Bei den Vorlaufzeiten von 30 bis 40 Jahren sind Planungssicherheit, ausreichende finanzielle Ausstattung und klare Produktionsvorgaben unabdingbar.

Untersuchungsergebnisse zum Schadstoffgehalt von im städtischen Raum produziertem Gemüse (Kleingarten, Urban Gardening, Dachgarten, u.a.) lieferte Dr. Ina Säumel von der Technischen Universität Berlin. Untersucht wurden der Nickel- und Kobalt-Gehalt von verschiedenen Gemüse- und Obstarten, aber auch von Pilzen aus städtischem Bereich und anschließend mit Proben aus dem Handel verglichen. Aus den Ergebnissen wurden folgende Empfehlungen abgeleitet: Lebensmittel nicht direkt an der Straße und auch nicht direkt an der Hauswand anbauen, wenn möglich einen Gehölzstreifen zwischen Straße und Anbaufläche anlegen und möglichst mit zertifiziertem Gartensubstrat arbeiten. Wildwachsende Pilze in Städten weisen unter Umständen sehr hohe Belastungen auf.

Modellprojekte

Frau Cornelia Klaffke vom Landwege e.V. präsentierte den Jugend-Naturschutz-Hof Ringstedtenhof. Der Ringstedtenhof ist ein Umweltbildungsbauernhof in Lübeck. Es handelt sich um eine zertifizierte Bildungseinrichtung. Das pädagogische Team bietet zahlreiche Tagesangebote für Klassen aus Lübeck. Dabei steht neben der Umwelt – vor allem die Ernährungsbildung im Fokus. Gerade im Hinblick auf die Urbanisierung sind solche Projekte für Kinder, die nun zunehmend in Städten aufwachsen, sehr wichtig (www.vereinlandwege.de).

Das Konzept der Mietäcker als neue Chance für Landwirte im Urbanen Raum stellte Markus Schmidt von „meine ernte“ vor. „meine ernte“ bietet in Kooperation mit Landwirten stadtnahe Gemüsegärten zum Mieten an. Die Landwirte säen im Frühjahr die Flächen ein, stellen Wasser und Geräte und ihr Fachwissen zur Verfügung. Die Mieter bekommen die Möglichkeit ihr eigenes Gemüse zu pflegen und zu ernten. 2009 gegründet umfasst das Projekt mittlerweile 2500 Gärten an 24 Standorten bundesweit (www.meine-ernte.de).

Wolfgang Stränz vom Buschberghof Fuhlenhagen stellte das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft – Community Supported Agriculture vor. Der Buschberghof war 1988 der erste in Europa, welcher diese Art der Wirtschaftsgemeinschaft einführte. Der Hof versorgt mit seinen 116 ha etwa 100 Haushalte, welche zu Jahresbeginn bereits ihren finan­ziellen Beitrag leisten und so die Produktion auf dem Hof finanzieren. Die Verbraucher erhalten im Gegenzug saisonal und regional produzierte Lebensmittel. Mittlerweile gibt es in Deutschland 65 Betriebe, welche nach diesem Koopera­tionsmodell arbeiten (www.buschberghof.de).

Am Nachmittag des zweiten Tages fand eine Exkursion zur ECF-Farm statt. Europas größte Aquaponik-Farm, welche gerade auf dem Gelände der Malzfabrik in Berlin entsteht.

In den vierzehn Vorträgen und regen Diskussionen zeigte sich stets, dass es keine Patentlösungen oder Masterpläne für den Urbanen Gartenbau gibt. Die lokalen Verhältnisse der Städte sind sehr unterschiedlich und müssen individuell Berücksichtigung finden. Doch genauso vielgestaltig sind auch die Möglichkeiten, was sich in den Vorstellungen der Modellprojekte widerspiegelte. Urbaner Gartenbau wird nicht die Versorgung der gesamten Stadtbevölkerung übernehmen können, doch bietet er vielfältige Chancen für Produzenten und Verbraucher im urbanen Bereich.

Das Symposium soll, wie die drei Vorangegangenen, ein Anstoß und Plattform für den Diskussionsprozess über Stadtgrün sein. Sie dienen auch als Vorbereitung für einen größeren Kongress „Grün in der Stadt“, welcher vom 10. bis 11. Juni 2015 in Berlin stattfinden wird.

Die Vorträge der Symposien stehen auf der Internetseite des Instituts für Pflanzenschutz in Gartenbau und Forst des Julius Kühn-Instituts (www.jki.bund.de).

Stefanie Mösch, Martin Hommes
(JKI Braunschweig)


ISSN (elektronisch): 1867-0938
ISSN (print): 1867-0911
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