Editorial – Keine Angst vor weißen Blättern
Journal für Kulturpflanzen, 71 (4). S. 69–69, 2019, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2019.04.01, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart
Wenn Sie die Aufgabe haben, ein Editorial zu schreiben, dann sind Sie zunächst mit der Leere eines Blattes konfrontiert. Weiß liegt es da vor Ihnen; es mit halbwegs sinnvollen Inhalten zu füllen, stellt eine kleine Herausforderung dar. Nun stellen Sie sich vor aus der gähnenden Leere eines weißen Blattes ein neues zukunftsweisendes Produktionssystem für den Pflanzenbau zu skizzieren, das den Idealen einer nachhaltigen Produktionssteigerung entspricht und zusätzlich noch möglichst viele der heute gesellschaftlich diskutierten Probleme der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion lösen soll. Da kann die gähnende Leere des weißen Blattes vor Ihnen schon eine schwindelerregend tiefe dritte Dimension annehmen.
Zum Glück hat das Projekt, über dessen Ergebnisse wir im ersten Artikel dieses Themenheftes berichten, nicht mit einem weißen Blatt begonnen. Aufgabe war es ursprünglich, bloß einen Blick nach vorne zu wagen, um auf Grundlage neuer technischer Möglichkeiten, wie Precision Farming, Big Data, Digitalisierung und autonome Roboter, mögliche technologisch getriebene Entwicklungen in der landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion der Zukunft aufzuzeigen. Um diese Aufgabe zu bewältigen, wurden verschiedene Technikszenarien entwickelt und unter technischen, pflanzenbaulichen und ökonomischen Gesichtspunkten bewertet. Das eine Szenario war die Fortschreibung des seit Jahrzehnten anhaltenden Trends in der Agrartechnik: „größer, schneller, breiter“. Dem gegenüber stand ein weiteres Szenario, welches sich der zunehmend wahrnehmbaren Entwicklung von autonomen Robotern für landwirtschaftliche Anwendungen widmete.
An irgendeiner Stelle im Projektverlauf reifte dann aber die Erkenntnis, dass die heutigen und in unseren Szenarien beschriebenen Pflanzenbausysteme eigentlich nur ein Kompromiss jahrzehntelanger Anpassung an die fortschreitende technische Entwicklung darstellen. Wenn jedoch nachhaltige Produktionssteigerung das Gebot für die Zukunft ist, dann muss man die Pflanze in den Mittelpunkt stellen und ein Pflanzenbausystem entwickeln, in dem zunächst das Wohl der Nutzpflanze maximiert wird. Danach kann man sich Gedanken machen, ob und wie ein solches System aus technischer Sicht bewirtschaftet werden kann und dieses ökonomisch bewerten. Auf Basis dieser Überlegung lag es auf einmal vor uns: das weiße Blatt Papier, mit der riesigen Herausforderung es zu füllen und sich von allem Gewohnten, Konventionellen und manchmal auch Liebgewonnenen gedanklich frei zu machen.
Wie gut uns das gelungen ist, darüber entscheiden letztlich Sie als Leser. Ob neue Pflanzenbausysteme wie das beschriebene „Spot Farming“ Utopien bleiben oder eine tatsächliche Option für die Zukunft darstellen – darüber lässt sich gewiss vortrefflich streiten. Unstrittig bleibt jedoch, dass wir mit unseren heutigen Bewirtschaftungsmethoden an vielerlei Grenzen kommen, die es auch mal auf unkonventionelle Art zu überwinden gilt. Dazu gehört Mut, Kreativität und keine Angst vor weißen Blättern!