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Mitteilungen und Nachrichten

Mitteilungen und Nachrichten

Nicht jede Schnecke verursacht Schäden!

Jörn Lehmhus
Affiliation
Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Braunschweig

Journal für Kulturpflanzen, 71 (6). S. 190–191, 2019, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2019.06.05, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dr. Jörn Lehmhus, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Acker­bau und Grünland, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, E-Mail: joern.lehmhus@julius-kuehn.de
Zur Veröffentlichung angenommen
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Nacktschnecken sind seit langem als Schaderreger in Mitteleuropa bekannt und die Relevanz verschiedener Arten aus den Gattungen Arion und Deroceras ist unbestritten (Arbeitskreis „Repräsentative Schadorganismen“, 1984). Schon in diesem Merkblatt sind Gehäuseschnecken als relevante Schädlinge überhaupt nicht genannt. Doch führten Antragsteller für Molluskizide in den letzten Jahren auch diverse Gehäuseschnecken-Arten als Schädlinge in Deutschland auf, die in der Praxis überhaupt keine Bedeutung haben. Der Eindruck entsteht, dass so versucht wird, Alleinstellungsmerkmale zu schaffen, die den Produkten neue Absatzmöglichkeiten erschließen sollen.

Daher soll hier eine kurze Übersicht über die derzeitige Situation gegeben werden. Im Allgemeinen wird allein Godan (1979) als Referenz dafür aufgeführt, dass auch verschiedene Gehäuseschnecken in Deutschland Schäden verursachen sollen. Nähere Informationen zur Biologie und Verbreitung der dort genannten Arten und zur tatsächlichen Relevanz dieser Schnecken als Schädlinge an Kulturpflanzen lassen sich daraus jedoch nicht erkennen. Diese Referenz muss heute kritisch betrachtet werden.

Bereits Fischer und Reischütz (1998) merken dazu an, dass bei Godan (1979) praktisch alle Schnecken, die jemals an Pflanzen fressend angetroffen wurden, ungeachtet ihrer Winzigkeit und Gefährdung, als Schädlinge dargestellt werden. Leiss und Reischütz (1996) bemerken ebenfalls für die Situation unter Glas, dass Godan (1979) alle bisher in Gewächshäusern nachgewiesenen Arten als Schadschnecken aufzählt, wodurch auch verschiedene sehr seltene, gefährdete Arten zu Schädlingen werden.

Speziell werden bei Godan (1979) einige sehr kleine und kleine, mehr oder weniger feuchtigkeitsliebende Arten, als Schadschnecken genannt (Vertigo antivertigo, Gehäusehöhe 1,7–2,4 mm; Cochlicopa lubrica, Gehäusehöhe 1,7–2,4 mm; Succinea putris, Gehäusehöhe 10–15 mm, Vallonia costata; Gehäusehöhe 1,1–1,6 mm) (Größenangaben nach Kerney, 1999, Kerney et al., 1983).

In Deutschland sind die Bestände der feuchte Biotope bewohnenden Sumpf-Windelschnecke (Vertigo antivertigo) durch Biotopzerstörung stark zurückgegangen. In Deutschland ist sie daher derzeit in der Roten Liste eine Art der Vorwarnstufe, früher zeitweise auch schon eine Art der Gefährdungsstufe 3 (Jungbluth et al., 2012). Die Gemeine Glattschnecke (Cochlicopa lubrica) und die Bernsteinschnecke (Succinea putris) bevorzugen ebenfalls feuchte Standorte, sind aber derzeit noch nicht gefährdet. Dabei kommt C. lubrica auch synanthrop vor und ist etwas weniger an sehr feuchte Biotope gebunden als S. putris. C. lubrica ernährt sich hauptsächlich von abgestorbenen Pflanzenteilen, niederen Pilzen und Detritus, aber auch frisches Pflanzenmaterial wird gelegentlich gefressen. Auch S. putris frisst hauptsächlich abgestorbenes Pflanzenmaterial und nur gelegentlich frische Pflanzenteile (Frömming, 1954). Auch die ebenfalls noch nicht gefährdete Gerippte Grasschnecke (Vallonia costata) ernährt sich im Allgemeinen von welkenden Pflanzenteilen und bevorzugt trockene offene Biotope mit kalkhaltigem Untergrund (Frömming, 1954; Gerber, 1996). Allein an diesen Angaben mit deutlicher Präferenz für abgestorbenes oder welkendes Material lässt sich ersehen, dass dies keine Schadschnecken sind.

Die Baumschnecke oder Gefleckte Schnirkelschnecke (Arianta arbustorum, syn. Helicigona arbustorum) ist eine weitere genannte Art. Sie ist in der Größe vergleichbar den noch häufigeren Cepaea-Arten Garten- und Hainschnirkelschnecke (C. hortensis und C. nemoralis). Diese Art besiedelt feuchte Standorte in Laub- und Mischwäldern, Hecken, Feldgehölzen, in Hoch­stau­den­flu­ren, an Feldrändern und auf Wiesen (Kerney, 1999). Sie bevor­zugt ebenfalls welke Pflanzenteile, nimmt jedoch auch verschiedene grüne Pflanzen an (Frömming, 1937). Auf Kulturflächen ist sie aber selten. Daher ist sie ebenso wie die zuvor genannten Arten nicht als relevanter Schädling zu bewerten, selbst wenn Fraß an grünen Pflanzen durch einzelne Tiere vorkommen kann.

Abfragen bei den Pflanzenschutzdiensten der Bundesländer im Jahr 2014 bestätigten diese Erfahrungen. Sie zeigten zusätzlich die generell seltenen Schäden durch Gehäuseschnecken. Genannt wurden die beiden Cepaea-Arten als sehr seltene Schädlinge in gartenbaulichen Kulturen wie manchen Zierpflanzen und Beerenobstarten. Noch seltener wurde die hauptsächlich östlich einer Linie von Lübeck, Braunschweig und Heidelberg vorkommende Östliche Heideschnecke (Xerolenta obvia, syn. Helicella obvia) genannt. Die fehlende Bedeutung anderer Gehäuseschnecken-Arten in gartenbaulichen Kulturen wurde bestätigt. In ackerbaulichen Kulturen in Deutschland hat überhaupt keine Gehäuseschneckenart Bedeutung als Schaderreger. Zudem ist in den letzten Jahrzehnten in Mitteleuropa ein Rückgang der in der Landschaft auftretenden, nicht schädigenden Gehäuseschnecken-Arten feststellbar, der wahrscheinlich auch mit durch die landwirtschaftliche Nutzung als eine beteiligte Ursache bewirkt wird (z.B. Ringeis, 2009, Swarowsky, 2011; Swarowsky et al., 2013; Stoll et al., 2009). Eine generelle Zulassung gegen Gehäuseschnecken könnte demnach zu voraussehbarem Fehlgebrauch führen und Auswirkungen auf die Biodiversität haben.

Ferner benennen Antragsteller mit der Literaturstellenangabe Godan (1979) häufig Weinbergschnecken allgemein als Schädlinge, ohne deren unterschiedliche Biologie und deren besonderen Schutz in Deutschland zu berücksichtigen. Die Weinbergschnecke (Helix pomatia) (Abb. 1) ist generell keine Schadschnecke und bevorzugt ebenfalls welkendes Pflanzenmaterial sowie Luftalgenbeläge auf Stein oder Holz als Nahrung. Die Raue, Genetzte oder Gefleckte Weinbergschnecke (Helix aspersa, auch Cornu aspersum oder Cantareus aspersus) (Abb. 1) ist neben der Weinbergschnecke (Helix pomatia) die zweite in Deutschland vorkommende Art der Gattung. In Westeuropa kann sie im Gegensatz zur Weinbergschnecke Schäden verursachen, da sie anders als die Weinbergschnecke auch sehr häufig frische grüne Pflanzen frisst (Jørgensen und Sørensen, 2008). In Deutschland bildet Helix aspersa nur an wintermilden Standorten dauerhafte Populationen. Wintertemperaturen unter –5°C können für das Überleben dieser weiter westlich als Schadschnecke auftretenden Art schon kritisch werden (Ansart et al., 2002). Sie erreicht im äußersten Westen Deutschlands (Oberrheingraben, Niederrhein) also den Ostrand ihres geschlossenen Verbreitungsgebiets. Anderswo beobachtete Populationen von H. aspersa sind meist durch Verschleppung begründet und können sich lokal an wärmebegünstigten Standorten durchaus einige Jahre oder sogar länger halten. Hier können lokal auch Schäden auftreten, vor allem an bestimmten Zierpflanzen und Gemüsen (Jørgensen und Sørensen, 2008; Ant, 1963, Kerney et al., 1983).

Abb. 1. Gehäuse der beiden Weinbergschneckenarten: Links die Raue, Gefleckte oder Genetzte Wein­bergschnecke Helix aspersa (= Canthareus asper­sus), rechts die Weinbergschnecke Helix pomatia

Abb. 1. Gehäuse der beiden Weinbergschneckenarten: Links die Raue, Gefleckte oder Genetzte Wein­bergschnecke Helix aspersa (= Canthareus asper­sus), rechts die Weinbergschnecke Helix pomatia

Nach Anlage 1 der Bundesartenschutzverordnung sind jedoch beide Weinbergschnecken-Arten (sowohl H. pomatia als auch die in Deutschland lokal gelegentlich schädigende H. aspersa) besonders geschützt. Bezüglich der Ausbringung von Molluskiziden gibt es daher die Auflage NT870: Das Mittel ist giftig für Weinbergschnecken. Bei einem Vorkommen von Weinbergschnecken (Helix pomatia und Helix aspersa) darf das Mittel nicht angewendet werden.

Aus den genannten Gründen kann nicht generell jede auftretende Gehäuseschnecken-Art in allen Kulturen in Deutschland einfach als schädlich bezeichnet und eine Anwendung kreiert werden. Gegenwärtig sollte davon Abstand genommen werden, ohne aktuelle Belege wahllos Gehäuseschnecken als Schaderreger einzustufen. Dies sollte dringend bei zukünftigen Anträgen zur Zulassung von Molluskiziden berücksichtigt werden.

Mit einer zunehmenden Klimaerwärmung könnten natürlich auch neue Gehäuseschnecken-Arten einwandern beziehungsweise das Verhalten und die Schadwirkung bereits eingewanderter Arten sich verändern. Die Schadwirkung in Deutschland müsste dann jedoch für diese Fälle erst einmal belegt werden.

Literatur

Ansart, A., P. Vernon, J. Daguzan, 2002: Elements of cold hardiness in a littoral population of the land snail Helix aspersa (Gastropoda: Pulmonata). J Comp Physiol B, 172, 619-625.

Ant, H., 1963: Faunistische, ökologische und tiergeographische Untersuchungen zur Verbreitung der Landschnecken in Nord­westdeutschland. In: Abhandlungen aus dem Landesmuseum für Naturkunde zu Münster in Westfalen. Herausgeber L. Franzisket, 125 S.

Arbeitskreis „Repräsentative Schadorganismen“, 1984: Liste der repräsentativen tierischen Schadorganismen und der Ein­zel­schädlinge (ohne Wirbeltiere) im Allgemeinen Pflanzenschutz. Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirt­schaft Braunschweig, Merkblatt Nr. 60, 24 S., online verfügbar unter https://www.openagrar.de/receive/openagrar_mods_00030297.

Fischer, W., P.L. Reischütz, 1998: Grundsätzliche Bemerkungen zum Schadschneckenproblem. Die Bodenkultur 49 (4), 281-292.

Frömming, E., 1954: Biologie der mitteleuropäischen Landgastropoden. Duncker & Humblot, Berlin, 404 S.

Frömming, E., 1937: Das Verhalten von Arianta arbustorum L. zu den Pflanzen und höheren Pilzen. Archiv für Molluskenkunde 69, 161-169.

Gerber, J., 1996: Revision der Gattung Vallonia Risso 1826. Schriften zur Malakozoologie aus dem Haus der Natur Cismar, 22-25.

Godan, D., 1979: Schadschnecken und ihre Bekämpfung. Verl. Eugen Ulmer, Stuttgart, 467 S.

Kerney, M., 1999: Atlas of Land and Freshwater Molluscs of Britain and Ireland. Harley Books, Essex, UK.

Kerney, M., R.A.D. Cameron, J.H. Jungbluth, 1983: Die Landschnecken Nord-und Mitteleuropas. Hamburg, Berlin. Verlag Paul Parey.

Leiss, A., P.L. Reischütz, 1996: Ein Beitrag zur Kenntnis der Molluskenfauna der Gewächshäuser in Wien und Niederösterreich. Wiss. Mitt. Niederösterr. Landesmuseum, S. 173-184.

Jørgensen, P.S., N. Sørensen, 2008: The Invasive Potential of the Brown Garden Snail (Cantareus aspersus): A Future Invasive Species in Denmark? B.Sc. thesis. Section for Ecology and Evolution, Department of Biology, University of Copenhagen.

Jungbluth, J., D. von Knorre, U. Bößneck, K. Groh, E. Hackenberg, H. Kobialka, G. Körnig, H.-J. Niederhöfer, S. Petrick, K. Schniebs, V. Wiese, W. Wimmer, M. Zettler, 2012: Rote Liste der Binnenmollusken [Schnecken (Gastropoda) und Muscheln (Bivalvia)] in Deutschland. 6. revidierte und erweiterte Fassung. Mitteilungen der Deutschen Malakozoologischen Gesellschaft, 56, 1-28.

Ringeis, B., 2009: Wo sind die Gehäuseschnecken? Ein Vergleich zweier Gemeinden mit unterschiedlich genutzten landwirt­schaftlichen Flächen (Kanton Basel-Landschaft/Schweiz) Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaften beider Basel, 11, 121-137, DOI: 10.5169/seals-676536.

Stoll, P., P. Oggier, B. Baur, 2009: Population dynamics of six land snail species in experimentally fragmented grassland. Journal of Animal Ecology, 78, 236-246.

Swarowsky, K., 2011: Diversity and abundance of land snails in various agricultural crops and their field margins of different width. Master Thesis, Landau University.

Swarowsky, K., C.A. Brühl, P. Stahlschmidt, 2013: The importance of field margins and meadows for land snails in the agri­cultural landscape. Mainzer naturwiss. Archiv 50, 291-300.


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