Anpassung landwirtschaftlicher Kulturarten an den Klimawandel – Optionen aus Sicht der Züchtungsforschung
Adapting our agricultural crops to climate change – what plant breeding research can contribute
Journal für Kulturpflanzen, 69 (2). S. 47–50, 2017, ISSN 1867-0911, DOI: 10.1399/JfK.2017.02.04, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart
Klimaangepasste Pflanzen müssen nicht nur Trockenperioden gut überstehen können, sondern unter wechselnden Wetterlagen ertragsfähig sein. Das züchterische Handlungsfeld zur Anpassung unserer landwirtschaftlichen Kulturpflanzen muss diesen Anforderungen gerecht werden. Dazu muss es mit seinen verschiedenen Ansatzpunkten der genetischen Komplexität von Prozessen der pflanzlichen Ertragsbildung und Qualitätsausprägung und deren vielfältigen physiologischen Interaktionen und Umweltabhängigkeiten Rechnung tragen. Zur Bewältigung der Aufgabe, unsere Kulturpflanzen nachhaltig an den Klimawandel anzupassen, wird es also erforderlich sein, die Physiologie der Ertragsbildung und -stabilität in ihrer gesamten Breite im Blick zu behalten. Lösungsansätze bietet die Erforschung von Genvarianten, die diese Prozesse im Sinne des Menschen günstig beeinflussen und für eine züchterische Anpassung genutzt werden können. Die Erforschung und züchterische Nutzung solcher wertvollen Genvarianten setzt allerdings voraus, dass auch in Zukunft genetisch reichhaltige Genpools für unsere Kulturpflanzen zur Verfügung stehen. Wir befassen uns daher sowohl mit der Evaluierung und züchterischen Inwertsetzung von pflanzengenetischen Ressourcen als auch mit Fragen zu ihrem nachhaltigen Management. Beispiele für diese Arbeiten werden im Folgenden vorgestellt.
Neben der naheliegenden Option, die Toleranz unserer Kulturpflanzen gegenüber Trockenstress und anderen abiotischen Stressfaktoren zu verbessern, müssen weitere Ansatzpunkte genutzt werden (Abb. 1). Einer davon ist die Resistenzzüchtung gegen Schaderreger, die vom Klimawandel profitieren werden. Eine weitere Möglichkeit bietet die Züchtung von früher blühenden Sorten bzw. von frosttoleranten Winterformen, die der Vorsommertrockenheit entkommen (engl. escape) können, indem sie trockenheitsempfindliche Entwicklungsphasen bereits zuvor, unter Ausnutzung der im Frühjahr noch vorhandenen Bodenfeuchte, absolvieren. Die Anpassung etablierter Kulturarten an neue Nutzungsarten und Anbausysteme, etwa an einen Gemenge- oder einen Zweitkulturanbau, kann ebenfalls eine züchterische Anpassungsstrategie sein. Eine weitere Option stellt die ertragliche Weiterentwicklung von Kulturarten wie z.B. Roggen oder Lupinen dar, die bereits über eine gute Anbaueignung für trockenstressgefährdete Standorte verfügen und diese künftig – z.T. auch ohne auf Stresstoleranz fokussierte Zuchtaktivitäten (Hübner et al., 2013) – besser als bislang ausspielen könnten. Allgemein stellt die stetige Verbesserung des genetischen Ertragspotenzials unserer landwirtschaftlichen Kulturarten eine wichtige Option für die Anpassung an den Klimawandel dar; denn die Höhe des Ertragspotenzials definiert die obere Grenze jenes Spielraums, in welchem der Landwirt unter mehr oder weniger günstigen Wetter-, Standort- und Praxisbedingungen Erträge realisieren kann. Untersuchungen zum Weizen zeigen, dass jüngere Sorten zwar eine verminderte Ertragsstabilität zeigen, dennoch mit ihrem höheren Ertragspotenzial zumeist höhere Erträge als alte Sorten auch unter weniger günstigen Umweltbedingungen ermöglichen (Calderini und Slafer, 1999).
Bei der Wintergerste und anderen Wintergetreide- und Gräserarten führen zunehmend milde Winter zu anhaltender Aktivität von Blattläusen, die Gelbverzwergungsviren übertragen. In klimatisch ungünstigen Jahren kann der Befall mit Gerstengelbverzwergungsvirus (BYDV) massiv sein und zu empfindlichen Ertragsausfällen führen. Die bislang in der Gerste züchterisch genutzten BYDV-Toleranzgene stammen aus dem primären Genpool, werden rezessiv ausgeprägt und bedingen lediglich eine Symptomtoleranz, während der Virustiter der befallenen Pflanzen hoch bleibt und solche Pflanzen somit den Blattlausvektoren als Virusreservoir zur Verbreitung der Krankheit im Pflanzenbestand dienen können. Wir haben uns daher dem sekundären Genpool der Gerste zugewandt. Dieser Genpool wird durch eine einzige Wildart, Hordeum bulbosum, repräsentiert. Durch interspezifische Kreuzung lassen sich Introgressionen von Chromosomensegmenten aus H. bulbosum in die Kulturgerste übertragen. Es zeigte sich, dass eine dieser Introgressionen, die das Gerstechromosom 3H betrifft, ein Resistenzgen gegen BYDV trägt, welches dominant vererbt wird und eine vollständige Befalls- und Virusfreiheit der Trägerpflanzen bedingt (Scholz et al., 2009). Für dieses Gen, dem wir die Bezeichnung Ryd4Hb gaben, konnten wir molekulare Marker entwickeln, die den Nachweis von Ryd4Hb in Kreuzungsnachkommen ohne Durchführung aufwändiger Resistenztests erlauben und somit die Züchtung resistenter Zuchtlinien wesentlich erleichtern. Bei der Erzeugung Ryd4Hb-homozygoter Nachkommen, welche die Introgression auf beiden 3H-Chromosomen trugen, zeigte sich jedoch, dass mit der Introgression weiteres genetisches Material aus der Wildart übertragen worden war, welches im homozygoten Zustand zu schwerer Wachstumsdepression der betreffenden Gerstepflanzen führte (Abb. 2). Diese enge genetische Kopplung des Zielgens mit ungünstig wirkenden Genen (engl. linkage drag) vereitelte zunächst die züchterische Nutzung von Ryd4Hb. Es erforderte die Erzeugung von ca. 20 000 Kreuzungsnachkommen und ihre Untersuchung mittels molekularen Markern und Resistenztests, um den Wachstumsdepressionsfaktor rekombinativ von Ryd4Hb zu trennen. Erst durch diese Prebreeding-Aktivitäten konnte das wertvolle Resistenzgen züchterisch nutzbar gemacht werden. Weitere Arbeiten zeigten, dass der sekundäre Genpool der Gerste wirksame Resistenzgene gegen eine Reihe weiterer viraler bzw. pilzlicher Pathogene – darunter bodenbürtige Viren, Zwergrost und Rhynchosporium – trägt (Scholz et al., 2008), die zum Teil ebenfalls Eingang in Zuchtprogramme gefunden haben. Der sekundäre Genpool bietet somit eine reichhaltige genetische Ressource für die künftige züchterische Anpassung der Kulturart Gerste.
Abb. 2. Wachstumsdepression infolge von linkage drag bei zwei Gerstepflanzen (rechts) mit originaler Ryd4Hb-Introgression im homozygoten Zustand; zum Vergleich zwei gleichaltrige normalwüchsige Pflanzen (links) mit Introgression auf nur einem 3H-Chromosom.
Roggen ist eine vergleichsweise stresstolerante Getreideart, deren Anbau sich auf die leichten Standorte nördlich der Mittelgebirge konzentriert. Diese zum Teil grundwasserfernen Standorte sind durch den Klimawandel besonders verwundbar. Bereits heute führt Vorsommertrockenheit hier zu häufig auftretendem Trockenstress. Zusätzlich haben Starkniederschlags- und Starkwindereignisse bei dem auf langem Halm stehenden Roggen Lager zur Folge. Von anderen Kulturarten (Reis, Weizen) ist bekannt, dass Genvarianten („Kurzstrohgene“), die eine Reduktion der Halmlänge bedingen, nicht nur die Standfestigkeit, sondern auch die Ausnutzung von Wasser und Nährstoffen verbessern und so zu einer Steigerung des Ertrags führen können. Gegenwärtig wird beim Roggen eine Verkürzung der Halmlänge und damit verbunden eine verbesserte Standfestigkeit durch Spritzung mit Mitteln erreicht, welche die Biosynthese des Pflanzenhormons Gibberellin hemmen. Als eine Alternative zur chemischen Behandlung erforschen wir die Wirkung einer im Roggen natürlicherweise vorkommenden Genvariante, Ddw1, welche die Halmlänge moderat verkürzt und erstmalig in russischem Populationsroggen beschrieben wurde (Kobyliansky, 1972). Diese Genvariante unterbindet im Roggen die Biosynthese von Gibberellinen (Börner und Melz, 1988). In Kooperation mit Roggenzüchtungsunternehmen wurden nahezu-isogene Linien (NIL) mit bzw. ohne Ddw1 entwickelt und diese auf vier genetisch divergente, männlich-sterile CMS-Testlinien ausgekreuzt. Die daraus entstandenen Experimentalhybriden sind durchschnittlich um 36 cm kürzer als bislang gezüchteter Roggen (Abb. 3) und wurden in einem zweijährigen Versuch auf 9 Versuchsstandorten in ihren Erträgen mit normalstrohigen Hybriden verglichen. Die beiden Versuchsjahre 2015 und 2016 waren durch eine ausgeprägt negative klimatische Wasserbilanz in den Hauptanbaugebieten des Roggens gekennzeichnet; in 16 der 18 Prüfumwelten herrschte ausgeprägter Trockenstress. In dieser Prüfung war in fast allen Prüfumwelten ein deutlicher Ertragsvorteil der Ddw1-Testhybriden gegenüber den normalstrohigen Hybriden zu beobachten, der bis zu 16% betrug. Es bestehen somit Aussichten, im Rahmen der Hybridzüchtung durch die Nutzung der Genvariante Ddw1 so genannte Halbzwerge zu züchten, die über eine moderat reduzierte Halmlänge eine verbesserte Standfestigkeit mit höherer Ertragsfähigkeit selbst in ausgeprägten Trockenstress-Umwelten kombinieren.
Abb. 3. Hybridroggen mit dem Kurzstrohgen Ddw1 (links) im Vergleich zu normalstrohigem Roggen (rechts); Bildmitte: Triticalesorte ‚Tulus‘.
Die vorangestellten Beispiele illustrieren, wie wichtig die Verfügbarkeit genetischer Diversität von Kultur- und Wildarten für die züchterische Anpassung unserer Kulturpflanzen an den Klimawandel ist. Wildarten sind auch in ökonomischer Hinsicht eine bedeutende genetische Ressource für die Züchtung. Der jährliche Beitrag von Wildarten zum Bruttoproduktionswert von 29 Hauptfruchtarten betrug nach einer Studie von PricewaterhouseCoopers im Untersuchungszeitraum 42 Mrd. US$ und könnte bis zum Jahr 2021 auf 120 Mrd. US$ ansteigen (PWC, 2013).
Der Klimawandel gefährdet indes den Fortbestand von Wildarten des primären, sekundären und tertiären Genpools unserer Kulturarten. Der globale Verlust an biologischer Vielfalt hat längst kritische Grenzwerte überschritten (Rockström et al., 2009) und betrifft zunehmend auch landwirtschaftlich bedeutende Gattungen (Bilz et al., 2011). Jarvis et al. (2008) schätzten auf der Grundlage des CCM3-Klimamodells den durch den Klimawandel verursachten Verlust von Wildkartoffelarten. Danach sterben bis zum Jahr 2055 dreizehn von 108 Arten aus. Der Verlust einer Art ist nur der Endpunkt eines Prozesses, der als genetische Erosion bezeichnet wird und unter anderem durch die Reduktion der Verbreitungsareale im Zuge des Klimawandels verursacht wird. Bei Wildkartoffelarten verkleinern sich die Areale um bis zu 69% und in der Folge schwindet das für die Kartoffelzüchtung verfügbare genetische Potenzial. Der Klimawandel wird auch die Zusammensetzung der Flora Deutschlands verändern und heimische Wildpflanzenarten beeinträchtigen (Pompe et al., 2011).
Castaneda-Alvarez et al. (2016) untersuchten den Ex-situ-Erhaltungsstatus von Wildarten, die mit den 81 weltweit wichtigsten Kulturarten verwandt sind. Von 313 bzw. 257 der 1076 Arten existierten keine Muster bzw. weniger als 10 Muster in Genbanken. In geografischer Hinsicht waren 95% aller Arten in Genbanken unzureichend repräsentiert. Der europäische Genbankbestand besteht nur zu 9% aus WVK (Dias et al., 2012). Die In-situ-Erhaltung ist daher unverzichtbar für den Schutz der Ausgangsressourcen für die Pflanzenzüchtung. Diese umfassen alle für die Erweiterung der genetischen Variabilität einer Kulturart geeigneten Kulturformen und Wildarten. Gemeinsam mit Partnern im In- und Ausland entwickeln wir im Rahmen des Europäischen Kooperationsprogrammes für pflanzengenetische Ressourcen (ECPGR) deshalb Strategien zum Management sowohl von Wildarten in ihren natürlichen Lebensräumen („in situ“) als auch von Kulturarten im Rahmen landwirtschaftlicher Produktionssysteme („on farm“). Die Zielsetzungen und Ergebnisse dieser Aktivitäten sind auf der Internet-Plattform AEGRO (http://aegro.julius-kuehn.de/aegro/) und GE-Sell (netzwerk-wildsellerie.julius-kuehn.de) veröffentlicht. Mit diesen strategischen Ansätzen nehmen wir uns der Schutzwürdigkeit und -bedürftigkeit pflanzengenetischer Vielfalt an und stellen das entwicklungsorientierte In-situ-Management pflanzengenetischer Ressourcen als essenzielle und gleichwertige Säule der Konservierung genetischer Vielfalt in Genbanken („ex situ“) zur Seite.
Für die Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel ist Pflanzenzüchtung eine Schlüsseltechnologie. Die züchterischen Ansatzpunkte sind vielfältig, das Aufgabenfeld der Züchtungsforschung ist entsprechend komplex. Voraussetzung dafür ist das nachhaltige Management unserer pflanzengenetischen Ressourcen.
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