Agrarrelevante Extremwetterlagen und Risikomanagement
Agricultural relevant extreme weather events and risk management
Journal für Kulturpflanzen, 69 (2). S. 73–75, 2017, ISSN 1867-0911, DOI: 10.1399/JfK.2017.02.11, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart
Die Produktion land- und forstwirtschaftlicher Kulturen ist in hohem Maße vom Klima und dessen Wandel beeinflusst. Die veränderten klimatischen Bedingungen können auch in Deutschland steigende Risiken für Ertrags- und Qualitätsverluste mit sich bringen. Um eine nachhaltige Kulturpflanzenproduktion auch in Zeiten des Klimawandels sicherzustellen, gilt es, diese Risiken rechtzeitig abzuschätzen und darauf aufbauend praktikable Managementverfahren und –systeme zu entwickeln. Bisherige Forschungsaktivitäten konzentrierten sich vor allem auf die Folgen steigender Durchschnittstemperaturen und sinkender Niederschlagsmengen im Sommerhalbjahr. Die Abschätzung der Risiken eines verstärkten Auftretens von Extremwetterlagen spielte dahingegen eine untergeordnete Rolle. Aus diesem Grund initiierte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Jahr 2013 das Verbundprojekt „Agrarrelevante Extremwetterlagen und Möglichkeiten von Risikomanagementsystemen“.
In diesem Projekt erarbeiteten Wissenschaftler aus insgesamt 13 Institutionen, darunter auch das Julius Kühn-Institut, mit Hilfe von Literaturrecherchen, Expertenbefragungen, Modellabfragen und Datenanalysen neue Erkenntnisse zur heutigen und zukünftigen Relevanz und dem Management von Extremwetterlagen in den Bereichen Ackerbau, Sonderkulturen und Forstwirtschaft. Dabei wurden die Auswirkungen und Risiken sowohl kulturartenspezifisch als auch regional betrachtet und verfügbare Managementverfahren beschrieben und bewertet. In Abhängigkeit von der betrachteten Kultur zeigten sich erhebliche Unterschiede in der Verfügbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse und Daten. Im Folgenden sollen einige Ergebnisse für die Bereiche Ackerbau und Sonderkulturen, an deren Erarbeitung das Julius Kühn-Institut beteiligt war, vorgestellt werden und so das Vorgehen im Projekt beispielhaft näher beleuchtet werden.
Literaturrecherchen und Expertenbefragungen ergaben für die betrachteten Extremwetterlagen Trockenheit (zu geringer Niederschlag), Hitze, starke direkte Solarstrahlung, Starkregen, Dauerregen (Staunässe), Überschwemmung, Dürre (zu geringer Bodenwassergehalt), Spät-, Früh-, Kahl- und Wechselfrost, Sturm und Hagel abhängig von der Kultur und der Anbauregion zum Teil erhebliche Schadpotentiale, bis hin zum Totalausfall (Gömann et al., 2015; Krengel et al., 2015). Insbesondere im Bereich der Sonderkulturen besteht die Gefahr massiver Qualitätseinbußen z.B. durch Hagel. All diese Verluste können mit empfindlichen wirtschaftlichen Schäden einhergehen und ihre Ursachen und Auswirkungen sind sehr vielfältig. Beispielsweise kann Trockenheit durch eine zu geringe Wasseraufnahme zu einer verringerten oder sogar eingestellten Photosynthese und Wachstumsleistung der Pflanzen führen. Zusätzlich wird die Aufnahme von Nährstoffen gehemmt und die geschwächten Pflanzen können anfälliger gegenüber einem Befall mit Schaderregern sein. Einige Schaderreger selbst, z.B. Getreideroste oder Spinnmilben, können von trockeneren und oft auch wärmeren Bedingungen profitieren. Umfängliche Literaturrecherchen zeigten aber, dass der Kenntnisstand zu Wirkungen von Extremwetterlagen auf Schaderreger noch sehr gering ist (Seidel, 2014a, b). Neben den genannten Auswirkungen kann auch die Durchführung ackerbaulicher Maßnahmen, z.B. Aussaat oder Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, durch Wetterextreme wie Trockenheit behindert werden. Aber nicht nur zu wenig sondern auch zu viel Niederschlag und dadurch verursachte Staunässe oder Überschwemmungen stellen für die meisten Kulturen eine erhebliche Gefährdung dar. Darüber hinaus sind auch Fröste, besonders in Anbetracht der steigenden Wintertemperaturen und eines immer früheren Vegetationsbeginnes, in vielen Bereichen der Kulturpflanzenproduktion gefürchtet. Vor allem in Dauerkulturen drohen im Frühjahr Spätfröste, die die Blütenanlagen oder jungen Früchte so zu schädigen vermögen, dass die erreichbaren Erträge massiv zurückgehen oder die Vermarktungsfähigkeit des Erntegutes herabgesetzt ist (z.B. Frostnarben an Äpfeln oder glasige Spitzen bei Spargel).
Mittels Expertenbefragungen (Berater und Praktiker) und Literaturrecherchen konnten für Winterweizen, Kartoffeln, Mais, Winterraps, Zuckerrüben, Apfel, Wein, Hopfen, Kohl, Spargel, Möhre und Zwiebel Übersichten zur Gefährdung im Verlauf des Jahres erzeugt werden. Zusätzlich wurden Rankings erstellt, die die Bedeutung der Extremwetterlagen für die Kulturen und wo es möglich war auch in verschiedenen Anbaugebieten widerspiegeln. Tab. 1 führt die durch das Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum Rheinpfalz, den Obstversuchsring des Alten Landes e.V. und das Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee erarbeiteten Rankings (Top 5) für die beiden betrachteten Apfelanbaugebiete „Niederelbe“ und „Bodensee“ auf. Das Julius Kühn-Institut hat in diesem Teilprojekt die wissenschaftliche Koordinierung übernommen.
Tab. 1. Ranking der Relevanz von Extremwetterlagen im Apfelanbaugebiet Niederelbe (n = 18) und Bodensee (n = 26), Rang = Schadpotential (ohne Gegenmaßnahmen) + Häufigkeit
Rang | Niederelbe | Bodensee |
1 | Hagel | Hagel |
2 | Spätfrost | Trockenheit |
3 | Überschwemmung/Staunässe | Spätfrost |
4 | Dauerregen | Hitze |
5 | Kahl-/Winterfrost | Starkregen |
Obwohl in beiden Apfelanbaugebieten Hagel als relevanteste Extremwetterlage bewertet wurde, zeigen sich deutliche regionale Unterschiede in der Gefährdung durch Extremwetterlagen, die einen klaren Bezug zu ihrer geografischen Lage aufweisen (Tab. 1).
Die ebenfalls mittels Literaturrecherchen und Expertenbefragungen definierten kulturspezifischen Schwellenwerte für wirtschaftliche Schäden durch die einzelnen Extremwetterlagen und sensitiven Perioden wurden vom Deutschen Wetterdienst (DWD) verwendet, um Analysen in Wetterdaten und Klimaprojektionsdaten durchzuführen. Karten und Grafiken visualisieren so die regionale und kulturartenspezifische sowie aktuelle und zukünftige Gefährdung durch einzelne Extremwetterlagen (s. Gömann et al., 2015; Krengel et al., 2015). Mit recht hoher Sicherheit kann zum heutigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass insbesondere die Relevanz von Trockenheit, Hitze, starke direkte Solarstrahlung sowie Starkregen und Staunässe im Winter steigen werden.
Neben aktuellen Klimaprojektionen stellen Kenntnisse zum Schadpotential einer Extremwetterlage in einer Kultur wichtige Informationen für die Bewertung der Relevanz und der Praktikabilität von Managementmaßnahmen dar. Allerdings ist die Verfügbarkeit hierfür geeigneter Daten zum Teil sehr begrenzt, weshalb im Projekt nur für einige Kulturen und Extremwetterlagen exemplarische Datenanalysen erfolgen konnten. Eine durch das Thünen-Institut und Julius Kühn-Institut durchgeführte Berechnung zu möglichen regionalen Ertragseffekten eines, in diesem Ausmaß statistisch alle 15 Jahre auftretenden, kombinierten Trocken- und Hitzestresses in Winterweizen zeigte die höchsten Ertragsrückgänge in Ostdeutschland. Diese betrugen bis zu 17 dt/ha. Die Analysen zu den Auswirkungen von Spätfrösten in Apfel- und Weinanbau ergaben, dass durch die Schädigungen je nach Exponierung des Standortes Ertragsverluste einzelner Flächen bis zu 80% keine Seltenheit sind. Sowohl die Analysen als auch die vorangegangenen Literaturrecherchen zeigten, dass neben der Standortwahl auch die Sortenwahl (z.B. Austriebszeitpunkt) einen Einfluss auf das Ausmaß der Schäden haben kann und ein elementarer Baustein des Risikomanagements ist.
Die verfügbaren Managementoptionen setzen sich aus vorbeugenden Verfahren wie Standort- oder Sortenwahl und Anlagengestaltung, direkten Verfahren wie Hagelnetze, Beregnung oder Frostschutzberegnung und Versicherungen zusammen. Trotzdem in einigen Fällen, z.B. bei Hagelfliegern, die Wirksamkeit noch umstritten bzw. deren Nachweisbarkeit schwierig ist, zeigen viele der vorhandenen Verfahren bei entsprechendem Know How gute bis hohe Wirkungsgrade. Einige können jedoch auch unerwünschte „Nebenwirkungen“ auf den Schaderregerbefall oder die Pflanzenentwicklung (z.B. Ausreife) mit sich bringen. Die Umsetzbarkeit der Maßnahmen ist darüber hinaus von weiteren Rahmenbedingungen, wie der Bindung an Absatzmärkte oder auch die gesellschaftliche Akzeptanz (z.B. Landschaftsbildänderung durch Hagelnetze) beeinflusst. In der Regel bedürfen die Verfahren hoher Investitionen, Personalkosten, oder Prämien und die betriebliche Entscheidung für oder gegen die Implementierung eines Managementverfahrens erfordert sorgfältige wirtschaftliche Überlegungen. Dabei gilt es zahlreiche notwendige Informationen wie die derzeitige und zukünftige Betroffenheit durch Extremwetterlagen und ihr Schadenspotential, die Wirksamkeit, mögliche Nebeneffekte und Kosten der Managementverfahren sowie die betrieblichen und regionalen Gegebenheiten, integrativ zu bewerten.
In vielerlei Hinsicht, unter anderem bezüglich der Betroffenheit und Schaden-Verlust-Relationen, mangelt es heute noch an Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Da diese aber eine der Grundvoraussetzungen für die verlässliche Abschätzung und Bewertung der zukünftigen Risiken sind, will sich das Julius Kühn-Institut auch zukünftig im Rahmen wissenschaftlicher Projekte diesen offenen Fragen widmen und damit zu einer nachhaltigen Anpassung der deutschen Landwirtschaft an den Klimawandel beitragen.
Gömann, H., A. Bender, A. Bolte, W. Dirksmeyer, H. Englert, J.-H. Feil, C. Frühauf, M. Hauschild, S. Krengel, H. Lilienthal, F.-J. Löpmeier, J. Müller, O. Musshoff, M. Natkhin, F. Offermann, P. Seidel, M. Schmidt, B. Seintsch, J. Steidl, K. Strohm, Y. Zimmer, 2015: Agrarrelevante Extremwetterlagen und Möglichkeiten von Risikomanagementsystemen, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Abschlussbericht: Stand 3.6.2015. Thünen Report 30, Braunschweig, 317 S.
Krengel, S., F. Louis, H.-J. Krauthausen, 2015: „Definition von Extremwetterlagen bei Sonderkulturen des Wein-, Obst-, Hopfen- und Gemüseanbaus sowie die Abschätzung von Ursache-Wirkungsbeziehungen bei diesen Kulturen“ im Verbundprojekt „Agrarrelevante Extremwetterlagen und Möglichkeiten von Risikomanagementsystemen“, Schlussbericht, Förderkennzeichen: 2813HS00, 134 S.
Seidel, P., 2014a: Extremwetterlagen und Auswirkungen auf Schaderreger – extreme Wissenslücken, Weizen, Gerste, Mais, Raps, Kartoffel, Zuckerrübe, Ackerfutterpflanzen und Grünland. Gesunde Pflanzen 66, 83-92.
Seidel, P., 2014b: Extremwetterlagen und Schaderreger – extreme Wissenslücken, 2. Apfel, Spargel, Wein und Hopfen. Gesunde Pflanzen 66, 93-101.