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Originalarbeit

Auswirkungen der Anwendungsbestimmungen für die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln mit Luftfahrzeugen im Wald

Consequences of restrictions for applications of pesticides by aerial spraying in the forest

Michael Habermann
Institut
Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA), Abteilung Waldschutz; Göttingen

Journal für Kulturpflanzen, 69 (8). S. 249–254, 2017, ISSN 1867-0911, DOI: 10.1399/JfK.2017.08.01, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dr. Michael Habermann, NW-FVA, Abteilung Waldschutz, Grätzelstr. 2, 37079 Göttingen, E-Mail: Michael.Habermann@nw-fva.de
Zur Veröffentlichung angenommen
15. März 2017

Zusammenfassung

Am Beispiel einer Massenvermehrung des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) von 2013 bis 2015 in Kiefernbeständen (Pinus sylvestris L.) im östlichen Nieder­sachsen wird aufgezeigt, wie sich eine restriktive Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln mit Luftfahrzeugen räumlich-zeitlich und unter Einhaltung der erteilten Auflagen und Anwendungsbestimmungen in der Praxis auswirkte. Nicht behandelte Teilflächen und Waldränder werden auf insgesamt rund 100 ha so stark befressen, dass ein Totalschaden mit abgestorbenem Wald und nachfolgendem Kahlschlag eintritt. Behandelte Wald­flächen konnten dagegen weitgehend erhalten werden. Dargestellt und diskutiert werden Fragen der amtlichen Pflanzenschutzmittelzulassung, der Applikationstechnik sowie der ökologischen, betrieblichen und waldbaulichen Folgen für die betroffenen privaten Waldbesitzer.

Stichwörter: Massenvermehrung Kiefernspinner, Dendrolimus pini, Pflanzenschutzmittelzulassung, Applikationstechnik Luftfahrzeug, abgestorbener Wald, waldbauliche Folgen

Abstract

The outbreak of the pine moth (Dendrolimus pini L.) in pine stands (Pinus silvestris L.) occurring from 2013 to 2015 in the eastern parts of Lower Saxony shows the time and area related consequences of officially restrictions for practical aerial application of pesticides. Untreated areas and edges of forests were heavily defoliated and died on nearly 100 hectare, followed by total damage and clear cut. Treated areas survived and could be kept alive even after defoliation. This paper points out and discusses the actual practice of pesticides registration, aerial application technique and the ecological, operational and silvicultural consequences for the affected private forest owners.

Key words: Outbreak pine moth, Dendrolimus pini, pesticide registration, aerial application, death of forest area, silvicultural consequences

1 Einleitung

Im Zuge der Neureglung des EU-Pflanzenschutzrechtes und des nationalen Pflanzenschutzrechtes sind seit etwa 2010 für langjährig bewährte Verfahren der Applikation von Pflanzenschutzmittel mit Luftfahrzeugen (LFZ) im Wald gravierende Veränderungen eingetreten. Neue Auflagen und Anwendungsbestimmungen, die für die LFZ-Applikation festgesetzt wurden, wirken sich erheblich auf das Ergebnis der Bekämpfung und auf die betroffenen Waldflächen aus. Die Bestimmung, dass befallene Waldflächen grundsätzlich nur zu maximal 50% behandelt werden dürfen, führte z.B. bei Maßnahmen gegen den Eichenprozessionsspinner (Thaumetopoea prozes­sionea) mehrfach zur Wiederholung der Behandlungen wegen unzureichender Wirkung und anhaltender Wiederbesiedelung aus den angrenzenden unbehandelten Waldflächen, den zu schützenden Refugialhabitaten. Schutzgebiete (Natura 2000, NSG) sind grundsätzlich von Bekämpfungsmaßnahmen mit LFZ auszunehmen. Waldränder sind bei Behandlungen mit LFZ mit mindestens einer Spritzbereite (ca. 30 m) auszusparen. Diese neuen Bestimmungen bedingen bei der praktischen Anwendung im Kalamitätsfall entsprechende Nebenwirkungen und damit auf den betroffenen Teilflächen gegebenenfalls irreversible Schäden für den Wald und dessen Eigentümer. In diesem Beitrag werden Auswirkungen dieser Anwendungsbestimmungen an einem realen Beispiel einer Massenvermehrung des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) im Privatwald im nordöstlichen Niedersachsen im Jahr 2013 vorgestellt.

2 Material und Methoden

2.1 Der Schaderreger

Der Kiefernspinner (Dendrolimus pini L.) ist ein altbekannter forstlicher Schaderreger, der zu den sogenannten Kieferngroßschädlingen gehört. Er bevorzugt ältere Kiefernwälder auf armen Sandstandorten und ist bei seinen regelmäßig auftretenden Massenvermehrungen in der Lage, die betroffenen Wälder vollständig zu vernichten (Altenkirch et al., 2002; Schwerdtfeger, 1981; Schwenke, 1978). Diese auch im natürlichen Verbreitungsgebiet der Kiefer ablaufenden Gradationen können Flächen von mehreren hundert oder tausend Hektar betreffen. Im Raum Gartow/Prezelle traten bisher dokumentierte Massenvermehrungen in den Jahren 1948–50, 2005 und 2013/14 auf. Die hier beschriebene Massenvermehrung verlief auf einer Gesamtbefallsfläche von etwa 2000 ha in den Jahren 2013 bis 2015.

Besonders gefährlich ist dieses Insekt, weil es während seiner Entwicklung enorme Mengen an Kiefernnadeln vertilgt; in der Literatur finden sich Angaben von über 30 g Nadelmasse pro Raupe (Schwenke, 1978). Das Gewicht der Raupe nimmt vom Schlupf bis zur Verpuppung um das 900fache zu. Hervorzuheben ist, dass rund 80% des gesamten Nahrungsbedarfs in den letzten beiden Larvenstadien gefressen werden. Daraus folgt für den Laien der Eindruck eines plötzlichen und explosionsartigen Fraßes im Kerngebiet einer Gradation.

Das Gefährdungspotential dieser Art ist seit Jahrzehnten ausreichend bekannt, so dass bei Massenvermehrungen zweifelsfrei von einer akuten existenziellen Bedrohung des Waldes auszugehen ist. Ohne Bekämpfung ist in den Fraßzentren mit einer weitgehenden Vernichtung kahlgefressener Kiefernbestände zu rechnen.

2.2 Verlauf der Gradation

Die erste Meldung stärkerer Fraßschäden erreichte die NW-FVA am 4. Juni 2013, das Fraßgebiet wurde unverzüglich am 5. und 6. Juni besichtigt. Dabei wurde sehr starker Fraßdruck auf rund 50–70 ha festgestellt, der mit schnell voranschreitender Entnadelung verbunden war. Proben aus den vorgefundenen Raupenpopulationen ergaben nach Kontrollmessungen im Labor, dass rund 85% der Larven am 7. Juni 2013 bereits das letzte Stadium erreicht hatten. Die Lageanalyse vor Ort ergab, dass Anfang Juni 2013, auch in den stark befressenen Fraßzentren, noch ausreichend Nadelmasse für das Über­leben der Kiefern vorhanden war und daher nur eine zeitnahe Bekämpfung mit einem unmittelbar wirkenden Kontaktinsektizid das rasante Fortschreiten des Fraßes verhindern konnte. Für die Ausbringung mit Hubschraubern war seinerzeit allerdings nur das Mittel Dimilin 80 WG (Wirkstoff Diflubenzuron) zugelassen. Dieser Häutungshemmer wirkt nach Aufnahme des Mittels durch Fraß erst bei der nächsten Häutung. Da das letzte Sta­dium der Larvenentwicklung erreicht war, käme es trotz Einsatz dieses Mittels zu maximalen und existenzgefährdenden Fraßschäden. In solchen Situationen ist nur die Ausbringung eines schnell und effektiv wirkenden Kontaktinsektizids (z.B. Karate Forst flüssig) sinnvoll. Da dieses Mittel für die Ausbringung mit LFZ damals nicht zugelassen war, wurde am 10. Juni 2013 eine Notfall­genehmigung nach Art. 53 der EU-VO 1107/2009 für Karate Forst flüssig bei der zuständigen Bundesbehörde, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel­sicherheit (BVL), in Braunschweig gestellt.

Am 19. Juni wurde vor Ort ein anhaltender rasanter Fortschritt der Nadelverluste festgestellt. Im Labor kam es bereits ab dem 15. Juni zu ersten Verpuppungen der Raupen, im Freiland wurden erste Puppen ab dem 19. Juni gefunden. Zwischenzeitlich ergaben die weiteren Untersuchungen der NW-FVA, dass im Befallsgebiet eine latente endophytische Beteiligung des Diplodia-Triebsterbens vorlag. Diese neuartige Pilzinfektion hatte 2010 in der Letzlinger Heide nach starkem Fraß durch Blatt­wespen zu über 200 ha Totalschaden mit nachfolgendem Kahlschlag geführt. Es war daher zu befürchten, dass auch im Fraßgebiet Prezelle ähnliche Folgeschäden nach Kahlfraß auftreten.

2.3 Erforderliche Genehmigungen

Die Genehmigung nach Art. 53 EU-VO 1107/2009 wurde am Freitag 28. Juni 2013 durch das BVL erteilt. Zu diesem Zeitpunkt waren die Raupen im Befallsgebiet bereits verpuppt bzw. fraßen nicht mehr in den Kronen, wodurch eine sofortige Umsetzung der Bekämpfungsmaßnahmen sinnlos geworden war. Nach dem Erteilen dieser Genehmigung nach Art. 53 durch das BVL muss anschließend zusätzlich noch die Genehmigung der konkret geplanten Bekämpfungsmaßnahme durch die zuständige Behörde des Landespflanzenschutzdienstes eingeholt werden (§ 18 Abs. 2 PflSchG), dies erfolgte ohne den vorherigen Zeitdruck, so dass diese Genehmigung am 30.07.2013 zeitgerecht für weitere Maßnahmen vorlag.

In der ersten Juliwoche wurde die Fläche vor Ort besichtigt und entschieden, dass auch eine sofortige Maßnahme mit einem Kontaktinsektizid wegen der abgeschlossenen Entwicklung der Insekten nicht mehr sinnvoll war. Die Kernflächen waren bis Ende Juni 2013 nahezu kahlgefressen, die komplette Verjüngung (Abb. 1) und auch Maitriebe der Schattenkronen waren vollständig vernichtet. Noch vorhandene Raupen saßen an der Spiegelrinde der Stämme, die sie als Notnahrung vertilgten (Abb. 2). Insbesondere in den kahlgefressenen Kronen waren zahlreiche gesunde Kokons des Kiefernspinners vorhanden. Nach dem ersten ungehinderten Fraß war der Schaden enorm, in den Kernflächen waren viele Bäume nahezu kahl gefressen (Abb. 3).

Abb. 1. Starker Fraß durch Raupen des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) an Maitrieben der Kiefer (Pinus sylvestris) im Juni 2013.

Abb. 1. Starker Fraß durch Raupen des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) an Maitrieben der Kiefer (Pinus sylvestris) im Juni 2013.

Abb. 2. Fraß durch Raupen des Kiefernspinners (Dendroli­mus pini L.) an der Spiegelrinde (= Notnahrung nach Kahlfraß der Kronen) von Kiefern (Pinus syl­vestris) im Juni 2013.

Abb. 2. Fraß durch Raupen des Kiefernspinners (Dendroli­mus pini L.) an der Spiegelrinde (= Notnahrung nach Kahlfraß der Kronen) von Kiefern (Pinus syl­vestris) im Juni 2013.

Abb. 3. Luftbild vom Fraßge­biet des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) im Raum Prezelle, auf­genommen im Septem­ber 2013 aus dem Hubschrauber bei der Ausbringung von Pflan­zenschutzmitteln (Blic­krichtung Südwest über Fraßzentrum).

Abb. 3. Luftbild vom Fraßge­biet des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) im Raum Prezelle, auf­genommen im Septem­ber 2013 aus dem Hubschrauber bei der Ausbringung von Pflan­zenschutzmitteln (Blic­krichtung Südwest über Fraßzentrum).

2.4 Bekämpfung mit Luftfahrzeug

Die nach dem Falterflug durchgeführte Erfassung der Eiab­lagen ergab im Juli/August 2013 eine mittlere Eidichte von 2900 Eier/Baum (max. 6473 Eier/Baum) und eine mittlere Parasitierungsrate von 41%. Daraus leitet sich bei angenommenen 32 g Nahrungsbedarf je Raupe und rund 1700 Raupen/Baum eine Fraßmenge von rund 54 kg Nadeln je Baum ab, was bei durchschnittlich 5–10 kg Nadeln an einer gesunden vollbenadelten Kiefer einer fünf- bis zehnfachen Entnadelung entspricht. In den stark befressenen Gebieten der Massenvermehrung mit Kahlfraß und Restbenadelung < 30% lag somit wegen der stark verringerten Nadelmasse und unzureichender natürlicher Mortalität bereits unmittelbar nach dem Schlupf der Jungraupen eine weiterhin hohe existenzielle Gefährdung vor, die in den Fraßzentren den Einsatz eines Kontaktinsektizids erforderte.

Am 3. und 4. September 2013 wurde eine Bekämpfung der Jungraupen mit LFZ auf insgesamt ca. 700 ha durchgeführt. Auf den weniger stark befressenen Flächen mit hohen Raupendichten und noch ausreichender Restbenadelung wurde DIMILIN 80 WG mit 75 g/ha in 50 l Wasser auf ca. 610 ha eingesetzt, auf den stark geschädigten bis kahl gefressenen Flächen kam KARATE Forst flüssig mit 0,075 l in 50 l Wasser je Hektar auf ca. 90 ha zum Einsatz.

2.5 Auflagen, Anwendungsbestimmungen und Restrik­tionen

Mit Bescheid vom 28.06.2013 genehmigte das BVL die Ausbringung von KARATE Forst flüssig auf maximal 150 ha in der Zeit bis zum 25.10.2013. Als Anwendungsbestimmungen und Auflagen wurden folgende Bestimmungen festgesetzt:

• 100 m Abstand zu Oberflächengewässern

• Anwendung nur auf maximal 50% der Waldfläche

• maximal 3 Behandlungen in 10 Jahren

• die erste Flugbahn muss mindestens 25 m zuzüglich einer halben Arbeitsbreite vom Waldrand entfernt sein.

• Zwischen der behandelten Fläche und Siedlungsflächen müssen mindestens 25 m Abstand eingehalten werden

Westlich vorgelagert zum Fraßgebiet befinden sich das FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat) „Nemitzer Heide“ und gepachtete Flächen des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), die eine besondere Rücksichtnahme erforderten. Beide Gebiete durften auf ausdrücklichen Wunsch der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Lüchow-Dannenberg und des Nutzers (BfS) nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt werden.

2.6 Erfassung und Dokumentation populationsdynamischer Prozesse

Die unbehandelten Flächen mit Massenvermehrung des Kiefernspinners wurden seitens der NW-FVA genutzt, um diverse populationsdynamische Parameter und Schwellenwerte zu erfassen und zu prüfen. Der Falterflug wurde von 2013 bis 2015 mit Pheromonfallen erfasst, die Eiablagen wurden 2013 und 2014 durch Probefällungen unter­sucht. Die Erfassung der Mortalitäten in den Kiefernbeständen wurde von 2013 bis 2015 durchgeführt (N = 1900 Kiefern; 19 Kollektive mit je 100 Kiefern). Ergänzend wurden Winterliche Puppensuche (Überwinterung 2013/14, 2014/15; N = 190 Proben mit je 0,25 m²), Untersuchungen zur Parasitierung der Entwicklungsstadien Ei, Raupe und Puppe und Unter­suchungen zur Erfassung der Sekundärschädlinge im Befalls­gebiet angestellt. Die entsprechenden Ergebnisse sind im Schlussbericht der NW-FVA (unveröffentlicht) zusammengefasst.

2.7 Erfassung und Dokumentation von Schäden

Neben den umfangreichen terrestrischen Erhebungen zur Dokumentation der Gradation wurden in den Jahren 2013 bis 2015 jeweils flächendeckende CIR-Bildflüge angefertigt. Mit diesen Bildflügen war eine sehr gute Dokumentation des Fraßgeschehens und der auftretenden Folgeschäden möglich. In Abb. 4 werden für einen Ausschnitt aus der Kernfläche der Gradation die Bild­flüge der Jahre 2013 bis 15 vergleichend nebeneinander gestellt. Aus dieser Darstellung wird deutlich, dass unbehandelte Flächen im Zentrum der Gradation schwer geschä­digt wurden und nachfolgend abgestorben sind. Die nach Kahlfraß abgestorbenen Waldflächen und Wald­ränder bestätigen die im Vorfeld prognostizierte existentielle Bestandesbedrohung. Daneben wird anhand der Luftbilder nachgewiesen, dass die Ausbringung der Pflanzenschutzmittel mit LFZ mit großer Präzision erfolgte, denn unabhängig von der Exposition zeigen die abgestorbenen Waldränder, dass die Applikation im Genauigkeitsbereich von wenigen Metern erfolgte. Abdrift in die wegen der spezifischen Auflagen ausgesparten Flächen und Waldränder war mit der verwendeten Technik der Ausbringung (Hubschrauber AS 350, TeeJet05-Düsen, Simplex-Sprühanlage, GPS-Steuerung) und professioneller Abwicklung des Einsatzes unter Leitung der NW-FVA nicht erkennbar (Abb. 4 und 5).

Abb. 4. Räumlich-zeitliche Ent­wicklung von Fraßschä­den und Mortalitäten in einem Teilgebiet der Massenvermehrung des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) im Raum Prezelle für die Jahre 2013 bis 2015. Dargestellt sind CIR-Bildflüge und die 3-D-Auswertung der Fraß­schäden bzw. der Rege­neration und Mortalität der Teilflächen.

Abb. 4. Räumlich-zeitliche Ent­wicklung von Fraßschä­den und Mortalitäten in einem Teilgebiet der Massenvermehrung des Kiefernspinners (Dendrolimus pini L.) im Raum Prezelle für die Jahre 2013 bis 2015. Dargestellt sind CIR-Bildflüge und die 3-D-Auswertung der Fraß­schäden bzw. der Rege­neration und Mortalität der Teilflächen.

Abb. 5. CIR-Bilder zu Auswir­kung der Aussparung von Wald­rändern und Schutzgebieten bei der Bekämpfung des Kie­fernspinners (Dendroli­mus pini L.). Auf den am 03./04.09.2013 be­handelten Waldflächen sind die dokumentierten Flugbahnen des Hub­schraubers eingezeich­net (GPS-track; gelbe bzw. blaue Linien). Das FFH-Gebiet „Nemitzer Heide“ ist durch eine gestrichelte Linie be­grenzt. 1.) Unbehandel­te BfS-Fläche mit Kiefern-Birken-Misch­bestand (nach Wald­brand 1976 begründet) mit nachfolgendem To­talverlust der Kiefern. 2.) Unbehandelte BfS-Fläche mit älteren lich­ten und strukturierten Kiefernbeständen, die mit Naturverjüngung unterstellt waren; Total­­verlust nach vollständi­gem Kahl­fraß. 3.) Privatwaldfläche im FFH-Gebiet „Nemitzer Heide“ mit mittelaltem einschichtigen Kiefern-Birken-Mischbestand; nach Kahlfraß Totalver­lust der Kiefern.

Abb. 5. CIR-Bilder zu Auswir­kung der Aussparung von Wald­rändern und Schutzgebieten bei der Bekämpfung des Kie­fernspinners (Dendroli­mus pini L.). Auf den am 03./04.09.2013 be­handelten Waldflächen sind die dokumentierten Flugbahnen des Hub­schraubers eingezeich­net (GPS-track; gelbe bzw. blaue Linien). Das FFH-Gebiet „Nemitzer Heide“ ist durch eine gestrichelte Linie be­grenzt.
1.) Unbehandel­te BfS-Fläche mit Kiefern-Birken-Misch­bestand (nach Wald­brand 1976 begründet) mit nachfolgendem To­talverlust der Kiefern. 2.) Unbehandelte BfS-Fläche mit älteren lich­ten und strukturierten Kiefernbeständen, die mit Naturverjüngung unterstellt waren; Total­­verlust nach vollständi­gem Kahl­fraß. 3.) Privatwaldfläche im FFH-Gebiet „Nemitzer Heide“ mit mittelaltem einschichtigen Kiefern-Birken-Mischbestand; nach Kahlfraß Totalver­lust der Kiefern.

3 Diskussion und Ausblick

3.1 Waldrecht

Die waldrechtlichen Aspekte dieses Falles bleiben an dieser Stelle weitgehend unberücksichtigt. Nach dem Bundes- und Landeswaldgesetz ist Wald zu schützen und eine Umwandlung von Wald ist ohne entsprechende Genehmigung verboten. Auch das vermeintlich „ökologische“ fressen lassen (z.B. als Prozessschutz) mit anschließendem kalamitätsbedingtem Kahlschlag – auch um z.B. dadurch lokal den Ziegenmelker zu fördern – ist rein wald­rechtlich zu kritisieren. Die zuständige Oberste Forstbehörde hat 2015 vor Ort klargestellt, dass eine solche Waldumwandlung durch ungehinderten Fraß und anschließenden kalamitätsbedingten Kahlschlag – auch mit noch so ökologischer Begründung – durch den Nutzer bzw. Eigentümer waldrechtlich nicht zulässig ist.

3.2 Schutzgebiete

Im FFH-Gebiet „Nemitzer Heide“ sollten neben offenen Heideflächen lichte, arten- und strukturreiche Kiefernwälder auf armen Sandstandorten entstehen. Große Flächen dieses Gebiets resultieren aus dem Waldbrand 1975. Nach dem Brand wurden Teilflächen in Heide umgewandelt und der größte Teil mit Kiefern aufgeforstet. Das natürlich ankommende Laubholz, vor allem Birken auf den Schlagabraumwällen und vom Eichelhäher eingebrachte Eichen, wurde nachfolgend intensiv gefördert. In den meisten Flächen dieses Gebietes finden sich daher standortgerechte Mischbestände aus Birke und Kiefer, teilweise mit Eiche im Unterstand.

3.3 Waldstrukturen

Ein wesentlicher Glaubenssatz im ökologischen Waldschutz lautet: Mischung und Struktur begrenzen Massenvermehrungen im Wald – und damit auch Folgeschäden. Die Analyse des Befalls und der Bestandesstrukturen in dem beschriebenen Befallsgebiet zeigt allerdings, dass die vorhandenen Mischungen und Strukturen nicht geeignet waren, den Kahlfraß und flächige Totalverluste zu vermeiden. Auch Kiefern in Mischung mit Birke und lichte, strukturreiche, verbreitet stufig mit Naturverjüngung aus Kiefer und Birke bestockte Flächen sowie einzelne freistehende Kieferngruppen wurden vom Kiefernspinner kahl gefressen (Abb. 4 und 5); eine natür­liche Regulation des Kiefernspinners erfolgte erst nach Kahlfraß der Wirtspflanzen im Folgejahr durch Ver­hungern und Parasitierung, überwiegend durch eine Tachinenart. Sowohl der Strukturreichtum als auch die lokale Laubholzbeimischung waren unter den gegebenen Bedin­gungen nicht geeignet, um vorbeugend eine natürliche Regulation unterhalb des Totalschadens abzusichern.

3.4 Ausbringung mit Luftfahrzeug

Mit der eingesetzten Technik war es bei fachgerechter Ausführung möglich, die Abdrift der Spritzbrühe weitestgehend zu begrenzen und damit Nebenwirkungen zu mini­mieren. Die parzellenscharfen Schäden an den Wald­rändern belegen diese Feststellung nachdrücklich. Wichtigster Faktor in diesem Zusammenhang sind sachkundige professionelle Piloten, die unter Einrechnung des jeweiligen Querwindes den aerodynamischen Schlepp­wirbel mit der Spritzbrühe exakt auf die zu behandelnde Zielfläche ablegen; hierzu sind entsprechend umfangreiche praktische Erfahrungen bei Pilot und Einsatzleitung zwingend erforderlich.

3.5 Fazit und Ausblick

Ein anhaltendes Problem für einen Integrierten Pflanzenschutz im Wald stellt die mangelhafte Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln zur differenzierten Behandlung von Kalamitätsgebieten mit Luftfahrzeugen dar. Eine professionelle, ökologisch verantwortungsvolle Applikation von Pflanzenschutzmitteln ist allerdings nur möglich, wenn diese Mittel in der Praxis auch zeitgerecht zur Verfügung stehen.

Das vorgestellte Beispiel macht deutlich, dass die Kritik an den Anwendungsbestimmungen bei der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln mit Luftfahrzeugen (Höltzel, 2015) durchaus berechtigt ist. Der amtliche Beratungsdienst, in diesem Fall die NW-FVA, muss die erteilten Auflagen und Anwendungsbestimmungen einhalten und im Ernstfall konkret am Objekt umsetzen. Dies muss unabhängig von den eigenen abweichenden Erfahrungen und pauschal für alle betroffenen Waldbesitzer durchgesetzt werden. Die aktuellen Auflagen und Anwendungsbestimmungen führten im dargestellten Fall zu einem partiellen Totalschaden am betroffenen rund 60 bis 80 Jahre alten Waldökosystem, mit in der Folge abgestorbener Wald­fläche auf fast 100 ha. Die Verantwortlichen für derartige Auflagen stehen dabei weder in der Handlungsverantwortung vor Ort noch in der direkten Beratung mit den betroffenen Waldbesitzern. Festzustellen ist auch, dass die zum Erhalt von Refugialhabitaten (vgl. 50%-Regel) von der Behandlung ausgesparten Waldflächen tot sind und somit als Refugialhabitate für Waldarten real für viele Jahre komplett ausfallen.

Aus forstfachlicher Sicht handelt es sich bei diesem Beispiel um eine waldbauliche Katastrophe, die durch große Kahlschläge nach ungehindertem Kahlfraß und anschließend wegen starker Vergrasung (= massive Stickstoff-Mobilisierung) notwendiger Bodenbearbeitung dokumentiert sind (Abb. 6). Das lokal entwickelte und real auf Teilflächen existierende Ziel eines gestuften stabilen Dauerwaldes (vgl. Bernstorff’scher Forstbetrieb, Gartow) wurde auf den kahlgefressenen Flächen mit abgestorbenen Kiefern um mindestens 60 Jahre hinausgezögert. Auf den abgestorbenen Waldflächen startet die Walderneuerung nun auf der Kahlfläche, das bedeutet in der Kampfzone zwischen Gras und Wald, in der Folgeschäden durch Mäuse, Frost und Wild eine angestrebte Beteiligung von Laubholzkulturen nahezu unmöglich machen. Was folgt, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder eine reine Kiefernkultur. Wäre der Altbestand dagegen gerettet worden, hätten die angestrebten Dauerwaldstrukturen weiter gefördert und entwickelt werden können – das wird jetzt frühestens erst in vielen Jahrzehnten wieder möglich sein.

Abb. 6. Zustand einer unbehandelten Teilfläche („potenti­elles Refugial­habitat“) nach ungehindertem Kahlfraß durch Kiefernspinner (Dendrolimus pini L.), anschließender Flächenräumung des abgestor­benen Bestandes durch Kahlschlag und nachfol­gender vollflächiger Bodenbearbeitung durch Waldstreifenpflug zur Vorbereitung einer Saat.

Abb. 6. Zustand einer unbehandelten Teilfläche („potenti­elles Refugial­habitat“) nach ungehindertem Kahlfraß durch Kiefernspinner (Dendrolimus pini L.), anschließender Flächenräumung des abgestor­benen Bestandes durch Kahlschlag und nachfol­gender vollflächiger Bodenbearbeitung durch Waldstreifenpflug zur Vorbereitung einer Saat.

Literatur

Altenkirch, W., C. Majunke, B. Ohnesorge, 2002: Waldschutz auf ökologischer Grundlage. Stuttgart, Ulmer, 434 S.

Höltzel, M., 2015: Waldschutz gegen Strahlenschutz. Holzzentral­blatt, Nr. 39, S. 927.

Schwerdtfeger, F., 1981: Die Waldkrankheiten. Ein Lehrbuch der Forstpathologie und des Forstschutzes. 4., neubearb. Aufl., Hamburg und Berlin, Parey, 486 S.

Schwenke, W., 1978: Die Forstschädlinge Europas. Bd. 3 Schmetterlinge. Hamburg und Berlin, Parey.


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