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Mitteilungen und Nachrichten

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Gedanken zur Tagung des Fachausschusses Pflanzenschutzmittelresistenz Insektizide/Akarizide im November 2018

Udo Heimbach und Meike Brandes
Institut
Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Ackerbau und Grünland, Braunschweig

Journal für Kulturpflanzen, 71 (1). S. 26–27, 2019, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2019.01.03, Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart

Kontaktanschrift
Dr. Meike Brandes, Julius Kühn-Institut (JKI) - Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Acker­bau und Grünland, Messeweg 11/12, 38104 Braunschweig, E-Mail: meike.brandes@julius-kuehn.de
Zur Veröffentlichung angenommen
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Anfang November 2018 tagte zum 15ten mal der Fachausschuss Pflanzenschutzmittelresistenz Insektizide und Akarizide im JKI in Braunschweig. Die jeweiligen Tagungsprotokolle und die jeweils aktuellen kulturspezifischen sowie auch die „historischen“ Resistenzvermeidungsstrategien sind im Internet unter www.julius-kuehn.de/resistenz zu finden. Wie auch schon bei den letzten Treffen des Fachausschusses wurden im November 2018 Resistenzvermeidungsstrategien überarbeitet und eine neue Strategie für die Zuckerrübe für 2019 entwickelt. Dabei wird die Notwendigkeit, solche Strategien zu erstellen, immer drängender, da immer mehr Bekämpfungslücken ohne wirk­same Pflanzenschutzmittel auftreten und Wirkstoffe und teils auch ganze Wirkstoffgruppen wegfallen. Die Strategie für den Raps wurde wegen der damals problematischen Bekämpfung des Rapsglanzkäfers und der entstandenen Schäden durch diesen Käfer erstmals für das Jahr 2007 erstellt. Eine gewisse Entspannung ergab sich durch immer wieder kurzfristig nach § 11(2) Nr. 2 bei Starkbefall mit Rapsglanzkäfern genehmigte Mittel, was auch in den folgenden Jahren der Fall war. Biscaya hatte damals schon eine reguläre Zulassung und bald folgten Pyrethroide mit Wirkstoffen, bei denen die Rapsglanzkäfer­resistenz noch nicht voll griff. Nach Wegfall der nach § 11(2) Nr. 2 bei Starkbefall mit Rapsglanzkäfern genehmigten Phosphorsäureester wurden 2 Wirkstoffe mit jeweils neuer Wirkungsweise (Pymetrozin und Indoxacarb) zuerst genehmigt und dann regulär zugelassen. Die Resistenzvermeidungsstrategien, die bei den anderen Rapsschädlingen primär auf Pyre­throide setzen mussten, wurde aber schon vor 2010 nachhaltig durch Resistenzentwicklung beim Rapserdfloh und Kohl­schotenrüssler gegen Pyrethroide gestört, ohne dass sich neue Möglichkeiten zur Bekämpfung ergaben. Zusätzlich wurde die Zulassung für Mittel mit zwischenzeitlich verfügbaren Wirkstoffen wie die Phophorsäureester und Bifenthrin und ab 2014 dann auch die neonikotinoide Beizung im Raps gestrichen. Dadurch wurden neben dem sich zwischenzeitlich weiter ausbreitentenden Schwarzen Kohltriebrüssler mit schon vorhandener Pyrethroidresistenz nun auch Bekämpfungsprobleme bei der Pfirsichblattlaus mit schon lang vorhandenen multiplen Resis­tenzen sichtbar. Ab 2017 trat zudem Resistenzverdacht mit deutlichen Sensitivitätsabschwächungen beim Rapsglanzkäfer gegenüber Neonikotinoiden auf, die eine wichtige Basis für die Rapsglanzkäferbekämpfung in den Jahren davor waren. Aktuell wird mit der Nichtaufnahme von Pymetrozin bei der EU Wirkstoffprüfung wieder eine ganze Wirkstoffgruppe nur noch bis Ende 2019 verfügbar sein. Die sich nach 2007 langsam verbessernde Situation ist daher mittlerweile wieder sogar schlechter als 2007, was aber erst bei Starkauftreten eines der von Resistenz betroffenen Schädlinge sichtbar werden wird.

Die notwendigen Werkzeuge für eine Anti-Resistenzstrategie in Kartoffeln, die erstmals für 2008 erstellt wurde, um einsei­tige Nutzung von Neonikotinoiden zu vermeiden, waren jahrelang recht gut verfügbar. Nun wird es aber langsam eng bei der Blattlausbekämpfung durch den Wegfall von Pymetrozin und einiger Neonikotinoide und den drohenden Wegfall von Pirimor. Vor allem wird eine effektive Virusbekämpfung im Pflanzkartoffelanbau in Zukunft schwierig, zumal erste Neo­niko­ti­noid­resistenzen der Grünen Pfirsichblattlaus nun auch in Nord­eu­ropa nachgewiesen wurden.

Für den Getreideanbau wurde erstmals 2015 eine Anti-Resistenzstrategie erarbeitet, nachdem beginnende Pyrethroidresistenz bei der Großen Getreideblattlaus nachgewiesen wurde. Etwas später wurde bereits vorliegende Pyrethroidresistenz bei Oulema duftschmidi (eine Art des Rothalsigen Getreidehähnchens) nachgewiesen.

Im November 2018 wurde nun erstmals auch eine Resistenzstrategie für den Rübenbau entwickelt, da dort mit dem Wegfall fast aller Saatgutbehandlungsmittel keine wirksamen Mittel mehr z.B. gegen die Grüne Pfirsichblattlaus übrigbleiben. Hier rächt sich, dass man sich lange mit nur einer wirksamen Wirkstoffgruppe zufriedengegeben hat und keine Alternativen entwickelt wurden. Die Nutzung nur von Wirkstoffen mit einer Wirkungsweise oder nur einer alternativen Anbaustrategie gegen Schadorganismen, die z.B. wegen schneller Vermehrung oder regelmäßiger Bekämpfungsnotwendigkeit empfindlich für Resistenzentwicklung sind, kann nicht nachhaltig sein.

Leider gibt es bei den meisten Schädlingen keine verlässlich funktionierenden nicht chemischen Kontrollmechanismen, die eine hohe Ertragssicherheit garantieren und in Pflanzenschutzstrategien eingebaut werden können. Die Entwicklung solcher nicht chemischen Methoden (z.B. Resistenzzüchtung, Kulturmaßnahmen, etc.) wurde über Jahrzehnte vernachlässigt, was sich kurzfristig auch nicht reparieren lässt. Auch ist damit zu rechnen, dass solche Methoden hohe Kosten sowohl bei der Entwicklung als auch bei der späteren Anwendung verursachen, die letztlich von der Gesellschaft entweder direkt oder über höhere Lebensmittelpreise getragen werden müssen. Nur in wenigen Fällen sind heute schon funktionierende nicht chemische Alternativen vorhanden, die auch bei geringen Lebensmittelpreisen umsetzbar sind für Landwirte. Nachhaltiger Pflanzenbau beinhaltet auch, alle verfügbaren Ressourcen nach Abwä­gung von Risiken und Nutzen möglichst effizient und gezielt einzusetzen.

Durch die zurückgehende Wirkstoffvielfalt bei weithin fehlenden Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz kommt ein Teufelskreis zum Zuge mit sich immer weiter verstärkenden Resistenzproblemen durch einseitigere Nutzung von Werkzeugen wegen fehlender Alternativen. Bei mehr als 75% aller Insek­tizidspritzungen im Ackerbau werden Pyrethroide eingesetzt, da nur sie in vielen Indikationen zugelassen und zudem preisgünstig sind und meist gut wirken. Es ist also kein Wunder, wenn sich Pyrethroidresistenz ungehindert ausbreitet und weit verbreitet ist. Lang- und sogar mittelfristig kann chemischer Pflanzenschutz so nicht mehr funktionieren, ein Risiko, dass entweder übersehen oder bewusst eingegangen wird. Dabei sollte jedem Akteur eigentlich klar sein, was nachhaltiger Pflanzenbau ist. Eine ausreichende Ernährungssicherheit für eine hohe Anzahl Menschen kommt nicht ohne chemische Kontrollen zumindest bei Kalamitäten aus, die es auch in Zeiten vor Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel immer wieder gab (z.B. biblische Heuschreckenplage und Berichte über große Schäden durch Insekten in Deutschland vor 1900). Diese Notmaßnahmen werden dann in Zukunft nicht mehr möglich sein, wenn Wirkstoffe wegen Resistenz oder Streichung der Zulas­sungen nicht mehr verfügbar sind.

Zwar soll bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Rücksicht auf Resistenzbildung genommen werden, es findet aber in der Realität kaum Beachtung. Risiken der Resistenzentwicklung werden nur in seltenen Fällen bei Vorliegen von Ermessensspielräumen im Bereich der Gesundheits- oder Umweltrisiken berücksichtigt. So kommt es, dass keine der durch den Fachausschuss entwickelten Resistenzvermeidungsstrategien wirklich nachhaltig sein kann. In allen steht daher der Satz: „Die Empfehlung berücksichtigt, dass eine Anti-Resistenz­strate­gie wegen einer unzureichenden Mittelpalette mit jeweils begrenz­ter Anzahl Anwendungen zurzeit nur eingeschränkt möglich ist.“

So wie die Artenvielfalt von Organismen für stabile Öko­systeme notwendig ist, ist auch eine Vielfalt von Methoden zur Vermeidung von Schäden an Kulturpflanzenbeständen für eine nachhaltige Ernährung der Menschheit notwendig. Es ist sowohl eine Vielfalt nicht-chemischer als auch eine Vielfalt chemischer Kontroll- und Verhinderungsmaßnahmen notwendig. Voraussetzung dafür ist allerdings ein gemeinsamer Standpunkt, dass das nachhaltige Wohl der Menschheit, wozu eine ausreichende Ernährung gehört, die höchste Priorität bei einer dringend notwendigen Nutzen-Risiko-Abwägung hat.


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