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Journal für Kulturpflanzen, 75 (01-02). S. 49–54, 2023 | DOI: 10.5073/JfK.2023.01-02.06 | Dirksmeyer und Isaak

Kurzmitteilung
Walter DirksmeyerORCID-icon, Marike IsaakORCID-icon

Rechtliche Rahmenbedingungen und Förderung der urbanen Landwirtschaft

Legal framework and support for urban agriculture

Affiliation
Johann Heinrich von Thünen-Institut, Institut für Betriebswirtschaft, Braunschweig.
Kontaktanschrift
Dr. Walter Dirksmeyer, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Institut für Betriebswirtschaft, Bundesallee 63, 38116 Braunschweig, E-Mail: walter.dirksmeyer@thuenen.de
Der Autor/Die Autorin 2023
Dies ist ein Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (CC BY 4.0) zur Verfügung gestellt wird (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).
 
Zur Veröffentlichung eingereicht/angenommen: 14. Oktober 2022/9. Januar 2023

Zusammenfassung

Die Heterogenität der Formen in der urbanen Landwirtschaft ist eine große Herausforderung für die Implementierung einer zielgenauen Förderung. Dieser Beitrag hat daher das Ziel, auf Grundlage einer schriftlichen Befragung einen Überblick über die bestehenden Fördermöglichkeiten zu geben und wichtige rechtliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung der urbanen Landwirtschaft zu identifizieren. Dazu wurde ein exploratives Vorgehen mit einer qualitativen Befragung von Gartenbaureferent*innen der Länder und des Bundes gewählt. Die Ergebnisse zeigen, dass es in vielen Bundesländern weder besondere rechtliche Rahmenbedingungen noch eine spezifische Förderung für die urbane Landwirtschaft gibt. Des Weiteren fehlen in vielen Bundesländern spezielle Ansprechpartner*innen zu diesem Themengebiet. Als Fördermöglichkeiten wurden die allgemeine Agrarförderung genannt sowie unter anderem die ELER- und, als Teil davon, die LEADER-Förderung. Zusätzlich wurden (potenzielle) Probleme der urbanen Landwirtschaft, wie zum Beispiel eine geringe Effizienz oder Flächenknappheit und -konkurrenz angemerkt. Aus den Ergebnissen lässt sich schlussfolgern, dass das Thema der urbanen Landwirtschaft auf politischer Ebene zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, allerdings auf Ebene der Agrarverwaltung noch wenig relevant ist.

Stichwörter

urbane Landwirtschaft, Förderung, rechtliche Rahmenbedingungen, Politik, Agrarverwaltung

Abstract

The heterogeneity of urban agriculture is a major challenge for the implementation of target specific support schemes. Hence, the objective of this paper is, to provide an overview of existing funding schemes and to identify important legal framework conditions for the development of urban agriculture. For this purpose, an explorative approach was chosen with a qualitative survey of horticultural desk officers of the federal states and the federal government in Germany.

The results show that neither special legal frameworks nor specific support schemes for urban agriculture exist in many federal states. Furthermore, many federal states do not have specific contact persons for this topic. General agricultural funding as well as ELER and, as a part of it, LEADER funding, among others, were mentioned as funding options. In addition, (potential) problems of urban agriculture, such as low efficiency or land shortage and competition, were mentioned. Based on the results it can be concluded that the issue of urban agriculture has become increasingly important at the political level, but is still of little relevance at the level of agricultural administration.

Keywords

urban agriculture, support, legal framework, politics, agricultural administration

Einleitung

Die Definition der urbanen Landwirtschaft nach Feldmann et al. (2023a) hat die Heterogenität der Formen in der urbanen Landwirtschaft aufgezeigt, was durch Feldmann et al. (2023b) empirisch bestätigt wurde. Das gesellschaftliche Interesse an urbaner Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit vor allem in Zeiten nationaler Krisen gesteigert (Eigenbrod & Gruda, 2015). Ergänzend haben Weidner et al. (2019) gezeigt, dass sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Motivationen der urbanen Landwirtschaft zuwenden, die auch bei politischen Entscheidungsfindungen und der Gestaltung der Förderung Berücksichtigung finden sollten. Allerdings ist die Implementierung einer kohärenten und zielgenauen Förderung der urbanen Landwirtschaft vor diesem Hintergrund eine große Herausforderung (Dietze & Feindt, 2022). Es kann davon ausgegangen werden, dass dies ein wichtiger Grund dafür ist, dass die urbane Landwirtschaft oft nur partiell, in besonderen Projekten, als Randerscheinung in bestehenden Förderprogrammen „nebenbei“ mit oder, im Gegensatz dazu, in vielen Ausprägungen gar nicht gefördert wird (Doernberg et al., 2019). Die Produktion von Lebensmitteln ist vielfach integraler Bestandteil der urbanen Landwirtschaft (Feldmann et al., 2023a). Aus den für die Lebensmittelproduktion geltenden strengen rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben sich erhebliche Planungsunsicherheiten mit Blick auf deren Relevanz für die oftmals kleinskalierte Lebensmittelproduktion im urbanen Raum. Weitere Unsicherheiten ergeben sich für die urbane Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse bei der Nutzung von Flächen, die für die Bebauung vorgesehen sind sowie bei der Produktion auf oder an Gebäuden (Specht et al., 2014).

Aktuell ist unklar, welchen Zugang die urbane Landwirtschaft zu Fördermitteln hat. Des Weiteren ist nicht bekannt, welche rechtlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der urbanen Landwirtschaft von besonderer Bedeutung sind, d. h. welche ihre Entwicklung möglicherweise bremsen und welche sie eventuell unterstützen.

Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorgelegte Untersuchung auf Basis einer schriftlichen Befragung der Gartenbaureferent*innen des Bundes und der Länder die folgenden Ziele:

Methodik und Vorgehensweise

Zur Bearbeitung der explorativ geprägten Zielsetzung wurde ein qualitativer Forschungsansatz gewählt, da dieser auf die Beschreibung und Interpretation wenig erforschter Themen ausgerichtet ist (Bitsch, 2001), wie es in dieser Untersuchung der Rahmenbedingungen und Förderungsmöglichkeiten der urbanen Landwirtschaft der Fall ist. Im Sinne der qualitativen Forschung wurde eine schriftliche Kurzbefragung per E-Mail durchgeführt, die den Interviewten die Möglichkeit gab, ihre Kenntnisse und ihr Wissen anhand von drei Leitfragen einzubringen. Da es auf Bundesebene kein spezielles Förderprogramm für die urbane Landwirtschaft gibt, keine spezifischen rechtlichen Regeln für sie erlassen wurden und auch keine vom Amts wegen definierten Ansprechpersonen zur urbanen Landwirtschaft auf Ebene des Bundes und der Länder vorhanden sind, wurden in Absprache mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Ref. 716, als Fachleute die Gartenbaureferent*innen der Länder und des Bundes ausgewählt. Diese agieren als Vertreter*innen für ihre Bundesländer bzw. für den Bund, weshalb im Folgenden die Bundesländer bzw. der Bund als Befragte genannt werden.

Den Befragten wurden per E-Mail drei offene Fragen zugesendet. Für die Erfassung der Antworten wurde eine Excel-Tabelle mitgeschickt. Die Fragen dienten der Erfassung (1) von zuständigen Behörden und Ansprechpersonen auf Landes- und auf kommunaler Ebene, (2) der rechtlichen und förderrechtlichen Rahmenbedingungen von besonderer Bedeutung für die urbane Landwirtschaft und (3) der (förder-) rechtlichen Rahmenbedingungen, die dafür entwickelt wurden, die Erbringung von ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Leistungen durch die urbane Landwirtschaft zu optimieren. Ergänzend erhielten die Befragten zur besseren Einordnung des Kontextes eine Definition der urbanen Landwirtschaft (vgl. Feldmann et al., 2023a). Die Ansprache der Bundesländer erfolgte über das BMEL, Ref. 716. Auf diesem Weg wurden 16 Bundesländer und der Bund im Februar 2022 befragt.

Für die Auswertung wurden die schriftlichen Antworten systematisiert und Schlagworte identifiziert, woraufhin die Häufigkeit der jeweiligen Nennungen ausgezählt wurden. In der sozialwissenschaftlichen Forschung vielfach verwendete Analyseinstrumente wie qualitative Inhaltsanalysen sind nicht zum Einsatz gekommen, da das Textmaterial eine sehr unterschiedliche Qualität aufwies (vgl. Mayring, 2014). Der Umfang und die Art der Antworten (z. B. stichpunktartige Nennung) haben keine Auswertungen ermöglicht, die zusammenhängende Analysen zulassen, wie sie bspw. bei Fließtexten möglich sind.

Da den Befragten kein geschlossener Antwortkatalog vorgelegt wurde, kann aus der Nichtnennung eines Aspektes nicht geschlossen werden, dass dieser in dem betreffenden Bundesland nicht relevant ist. Diese Vorgehensweise schränkt zwar die Aussagekraft der Ergebnisse ein, ist jedoch in der explorativen Forschung und im Sinne einer holistischen Perspektive weit verbreitet, um die Breite der Antworten der Befragten nicht durch die Vorgabe von Antwortkategorien einzuschränken (Bitsch, 2001).

Ergebnisse

Die Rücklaufquote der Befragung beläuft sich auf 100 %, d. h. alle befragten Bundesländer und der Bund haben Antworten geschickt. Die zur Erfassung der Antworten vorbereitete Tabelle wurde jedoch nur von zwei Bundesländern, und das auch nur in geringem Umfang, genutzt. Alle Antwortenden, inklusiver dieser beiden Bundesländer, haben die Fragen im Wesentlichen im Rahmen einer formlosen Email beantwortet. Diese Antworten variierten stark im Detailgrad. Während einige Antworten sehr knapp gehalten waren und sich auf einige wenige Sätze beschränkten, waren andere durchaus differenziert. Bayern, Berlin, Niedersachsen und Thüringen haben sich im Vergleich zu den anderen Bundesländern umfassend mit den Fragen auseinandergesetzt. Darüber hinaus hat Schleswig-Holstein mit Verweis auf seine sehr ländlich geprägte Struktur die Frage nach der Relevanz der Befragung für das eigene Bundesland aufgeworfen.

Besonders auffällig an den Antworten ist, dass in jeweils über zwei Drittel der Fälle darauf hingewiesen wurde, dass es weder besondere rechtliche Rahmenbedingungen noch eine spezifische Förderung für die urbane Landwirtschaft in dem jeweiligen Bundesland gibt (Abb.). Sieben Antworten betonten, dass es zudem keine speziellen Ansprechpersonen für dieses Thema in ihrem Hoheitsgebiet ausgewiesen seien. In ebenfalls sieben Antworten wurden demgegenüber Kontaktpersonen oder -stellen für das Themengebiet urbane Landwirtschaft genannt. In den überwiegenden Fällen war dies die antwortende Person, teils aber auch nur ein allgemeiner Verweis auf kommunale Behörden oder Landwirtschaftskammern.

Abb. Häufigkeit der expliziten Nennungen der Abwesenheit von spezifischen rechtlichen Regelungen und von Förderung sowie von nicht vorhandenen Ansprechpartner*innen für die urbane Landwirtschaft (n = 17)

Abb. Häufigkeit der expliziten Nennungen der Abwesenheit von spezifischen rechtlichen Regelungen und von Förderung sowie von nicht vorhandenen Ansprechpartner*innen für die urbane Landwirtschaft (n = 17)

Mit Blick auf Fördermöglichkeiten für die urbane Landwirtschaft wurde in neun Antworten die allgemeine Agrarförderung genannt. Fünf dieser Antworten haben allgemein oder spezifisch auf die ELER-Förderung1 verwiesen, insbesondere auf die (Agrar­) Investitionsförderung und LEADER2. Mit ELER wurde jedoch ein Instrument benannt, das explizit der Förderung des ländlichen – und nicht des urbanen – Raumes dient. Die Teichwirtschaft inklusive Aquaponikanlagen, z. B. ECF Farm Berlin3 („Hauptstadtbarsch“ und „Hauptstadtbasilikum“), können ggf. über den Europäischen Meeres- und Fischereifonds gefördert werden (Tab. 1).

Tab. 1. Hinweise auf konkrete Fördermöglichkeiten für die urbane Landwirtschaft (n = 17)

Maßnahme

Bundesland

(Agrar-) Investitionsförderung

TH, NI, NW, Bund

ELER

NW, NI, Bund

LEADER

TH, RP

Weinbauförderung

BW

Bildungsförderung

Bund

EMFF (Europäischer Meeres- und Fischereifonds)

TH, SL, NI

Forschungsförderung

BY

Start-up-Förderung

BY

Als rechtliche Regelungen mit besonderer Bedeutung für die urbane Landwirtschaft wurden vereinzelt das Bau­, das Lebensmittel- und das Pflanzenschutzmittelrecht genannt. Diese Hinweise stammten ausschließlich von den Bundesländern, die sich in ihren Antworten detaillierter mit den drei Fragen der Befragung auseinandergesetzt hatten.

Darüber hinaus wiesen einige der Befragten auf (potenzielle) Probleme der urbanen Landwirtschaft hin. So wurde insbesondere deren Effizienz infrage gestellt. Außerdem wurde auf die Flächenknappheit und -konkurrenz im urbanen Raum sowie die potenzielle Geruchsbelästigung durch Tierhaltung verwiesen (Tab. 2).

Tab. 2. Potenzielle Probleme der urbanen Landwirtschaft (n = 17)

Problembereich

Bundesland

Flächenknappheit im urbanen Raum

SH, BY

Tierhaltung (insb. Geruch)

SH, BY

Nutzungskonflikt Dach-Farms und Dachsolaranalagen

BE

Diskussion und Schlussfolgerungen

Tabelle 3 zeigt zusammenfassend die wichtigsten Erkenntnisse der Befragung von Bund und Bundesländern zu der Förderung und den rechtlichen Rahmenbedingungen der urbanen Landwirtschaft. Es ist wichtig zu betonen, dass die Ergebnisse aus einer offenen Befragung resultieren, so dass es über die in Tabelle 3 angegebenen Aspekte durchaus weitere geben kann, die für die urbane Landwirtschaft relevant sind, aber von den Befragten nicht beachtet wurden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies so ist, ist als vergleichsweise hoch anzunehmen, da in die Befragung ausschließlich die Ministerialreferate, die sich mit der gartenbaulichen Produktion beschäftigen, einbezogen wurden. Obwohl diese Referate sich klassischerweise nicht mit der urbanen Landwirtschaft auseinandersetzen, schienen sie nach Rücksprache mit dem BMEL, Ref. 716, doch die besten Ansprechpartner*innen für dieses Thema zu sein, da es keine formal für dieses Thema zuständigen Personen in den Ministerien des Bundes und der Länder gibt. Die Sinnhaftigkeit dieser Vorgehensweise hat sich durch die Befragung bestätigt, da zumindest einige der Antwortenden sich als Ansprechpartner*innen für die urbane Landwirtschaft bezeichneten.

Tab. 3. Zusammenfassung der Fördermöglichkeiten und der relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen für die urbane Landwirtschaft (n = 17)

Aspekte

Zielgruppe

Förderung

 

ELER

Landwirtschaftliche Betriebe

EMFF

Teichwirtschaft, Aquaponik

Start-up-Förderung

Start-ups

Weinbauförderung

Weingüter

Forschungsförderung

Forschungseinrichtungen, teils mit KMU

Pilotprojekte

Variierende Akteure

Relevante rechtliche Bedingungen

 

Baurecht

Gebäudegebundene und Gebäudeintegrierte urbane Landwirtschaft

Lebensmittelrecht

Lebensmittel verarbeitende Betriebe

Pflanzenschutzmittelrecht

Landwirtschaftliche Betriebe

Zusätzlich hätte die Studie von Dietze & Feindt (2022) die nach Abschluss der Befragung veröffentlicht wurde, bereits vor der Befragung hilfreiche Hinweise geliefert, die eine Durchführung der Befragung mithilfe eines semistrukturierten Fragebogens ermöglicht hätte.

Die Frage nach Fördermöglichkeiten für die urbane Landwirtschaft wurde insbesondere mit Verweis auf die ELER-Förderung beantwortet (Tab. 1). Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, da dieses Förderinstrument etabliert wurde, um den ländlichen Raum zu stärken (vgl. Piorr et al., 2018).

In Abhängigkeit der Rechtsform der Betriebe der urbanen Landwirtschaft sowie ihrer produktiven Ausrichtung existieren gegebenenfalls Optionen, eine Förderung in Anspruch nehmen zu können. Dies gilt insbesondere für landwirtschaftliche Betriebe im Rahmen der ELER-Förderung, da diese Betriebe bspw. Zugang zur Investitionsförderung haben (Tab. 3). Der Blick auf die Fördermöglichkeiten zeigt jedoch, dass es derzeit keine kohärente Förderung für die urbane Landwirtschaft gibt.

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten der urbanen Landwirtschaft wurden einige rechtliche Regelungen genannt, die für diese von hoher Relevanz sind. Da ein großer Teil der urbanen Landwirtschaft gebäudegebunden oder gebäudeintegriert erfolgt (z. B. Feldmann et al., 2023b), ist der Verweis auf das Baurecht plausibel. Für landwirtschaftliche Betriebe im urbanen Raum, die definitionsgemäß Teil der urbanen Landwirtschaft sind (Feldmann et al., 2023a), gilt derselbe rechtliche Rahmen, wie für alle landwirtschaftlichen Betriebe, beispielsweise das Pflanzenschutzmittelrecht oder das Düngemittelrecht im Rahmen der Pflanzenproduktion oder auch das Tierschutzrecht bei der Tierhaltung. In Betrieben, die ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse innerhalb ihrer Betriebe weiterverarbeiten, z. B. Schlachtung und Zerlegung von Tieren oder die Herstellung von verarbeiteten Nahrungsmitteln, von Marmeladen über Getränke bis hin zu Speisen, ist das Lebensmittelrecht zu beachten (Tab. 3). Diese Regelungen können Hürden für eine Etablierung und Ausdehnung der urbanen Landwirtschaft darstellen.

In einer Fallstudie untersuchen Doernberg et al. (2019) die Bedeutung von Regional-, Flächennutzungs- und Landschaftsplänen sowie von Gesetzen für Landschafts-, Naturschutz- und Wassereinzugsgebiete in zehn großen deutschen Städten als rechtlichen Rahmen für die urbane Landwirtschaft. Es wird gezeigt, dass die Ernährungspolitik in den analysierten Städten fragmentiert und eine integrierte urbane Ernährungspolitik die Ausnahme ist. Folglich werden die Spezifika der urbanen Landwirtschaft rechtlich nicht kohärent abgebildet. Dies deckt sich mit dem hier erarbeiten Bild und steht im Gegensatz zur klassischen Landwirtschaft, für die es einen historisch gewachsenen, dezidierten rechtlichen Rahmen gibt, z. B. das Dünge- oder das Pflanzenschutzrecht.

Politische Maßnahmen für die urbane Landwirtschaft können aufgrund der Multifunktionalität der grünen Infrastruktur in urbanen Räumen bis zu sechs Politikbereiche betreffen, die Regional-, Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherpolitik, die gemeinsame EU-Agrarpolitik und Politiken zum Katastrophenschutz und Risikomanagement (Piorr et al., 2018). Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Heterogenität der urbanen Landwirtschaft mit ihren scheinbar unendlich vielen Facetten muss jedoch die Frage aufgeworfen werden, ob die Gestaltung einer integrierten und kohärenten Politik für die urbane Landwirtschaft überhaupt möglich ist. Allerdings könnte eine Integration der urbanen Landwirtschaft in den städtischen Planungsprozess der Schlüssel für einen nachhaltigen Umsetzungsprozess sein (Eigenbrod & Gruda, 2015).

Auf politischer Ebene scheint das Thema der urbanen Landwirtschaft langsam zunehmend anzukommen und dort bereits präsenter zu sein, als in der Agrarverwaltung. Beispielsweise wurde die urbane Landwirtschaft in Sachsen und Berlin im Rahmen der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2022 diskutiert und sollte Eingang in politische Aktivitäten finden. In Hamburg hat sie Niederschlag im „Agrarpolitischen Konzept 2025“ und in der „Nachhaltigkeitsstrategie für den Produktionsgartenbau“ gefunden. In Bayern wird in einer Landesanstalt eine Modellanlage für Vertical Indoor Farming etabliert. Insgesamt entsteht vor diesem Hintergrund der Eindruck, dass die politische Sensibilität für die urbane Landwirtschaft in Bundesländern mit sehr großen Städten oder Metropolregionen, z. B. Berlin, Hamburg oder Bayern, ausgeprägter ist, als in Ländern, in denen das nicht der Fall ist, z. B. Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern.

Dadurch dass die Befragten in den Gartenbaureferaten trotz expliziter Nachfrage nach zuständigen Behörden und Ansprechpartner*innen auf kommunaler Ebene keine entsprechenden Hinweise lieferten, wird deutlich, dass es auf Landesebene erhebliche Wissenslücken zu den kommunalen Aktivitäten im Bereich der urbanen Landwirtschaft gibt. Die Fülle und Heterogenität dieser Aktivitäten haben Feldmann et al. (2023b) aufgezeigt und könnte, zumindest teilweise, in den jeweiligen Referaten bekannt sein. Um dieses Defizit abzubauen, sollte eine bundesweite systematische Erfassung von Start-ups, Projekten und Initiativen der urbanen Landwirtschaft mit dem Ziel einer Vollerhebung, bspw. in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag (2022), durchgeführt werden. Zusätzlich sollten Ansprechpersonen auf institutioneller Ebene etabliert werden, um eine nachhaltige Entwicklung urbaner Landwirtschaft zu gewährleisten (Eigenbrod & Gruda, 2015). Ergänzend kann eine Zusammenarbeit aus verschiedenen Stakeholdern wie Produzierenden, Anwohner*innen und Architekt*innen für einen nachhaltigen Entwicklungsprozess der urbanen Landwirtschaft wichtig sein (Dubbelling et al., 2010).

Um den Handlungsbedarf bei rechtlichen Regelungen und Ansatzpunkte für eine gezielte Förderung der urbanen Landwirtschaft identifizieren zu können, sollten explorative regionale Untersuchungen zur urbanen Landwirtschaft durchgeführt werden. Da die Ergebnisse der hier präsentierten Befragung nahelegen, dass die Relevanz der urbanen Landwirtschaft von der Größe der Städte und dem Grad der landwirtschaftlichen Prägung des Umlandes abhängt, sollten diese exemplarischen Fallstudien sinnvollerweise am Beispiel verschieden großer Städte mit unterschiedlich geprägtem Umland durchgeführt werden. Dabei sind insbesondere Metropolregionen, Großstädte, Mittelstädte und evtl. auch Kleinstädte in die Untersuchung einzubeziehen.

Das Ziel dieser explorativen regionalen Untersuchungen sollte sein, Unterschiede in der Entwicklung der urbanen Landwirtschaft vor dem Hintergrund heterogener urbaner Strukturen exemplarisch herauszuarbeiten. Besonderes Augenmerk wäre dabei auf die Identifizierung und Charakterisierung der Akteure sowie auf ihre Vernetzung, Interaktionen und Beziehungen untereinander zu legen. Darauf aufbauend wären der Zugang zu Boden und Kapital, die Rechtssicherheit für die unternehmerischen Aktivitäten, die besonderen Herausforderungen und die Einbindung in kommunalpolitische Aktivitäten zu untersuchen. Die Ergebnisse einer solchen Untersuchung könnte die Grundlage für die Identifizierung von politischem Handlungsbedarf für eine Weiterentwicklung der urbanen Landwirtschaft bilden und in die Entwicklung von zielgenauen politischen Interventionen münden.

Erklärung zu Interessenskonflikten

Der Autor und die Autorin erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.

Literatur

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Deutscher Städtetag, 2022: Urbane Landwirtschaft – Positionspapier des Deutschen Städtetages. Berlin, Köln, Germany, 17 S.

Dietze, V., P. Feindt, 2022: Institutioneller Rahmen für modulare bio-basierte Produktionssysteme im urbanen Raum. Hemmnisse und Förderfaktoren für die Entwicklung und Implementierung. Schriften der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues e. V. (57), 259–274, DOI: 10.22004/ag.econ.317060.

Doernberg, A., P. Horn, I. Zasada, A. Piorr, 2019: Urban food policies in German city regions: An overview of key players and policy instruments. Food Policy 89, 101782, DOI: 10.1016/j.foodpol.2019.101782.

Dubbelling, M., H. de Zeeuw, R. van Veenhuizen, 2010: Cities, poverty and food: Multi-stakeholder planning on urban agriculture. Rugby, Practical Action Publ, 184 S., ISBN: 978-185339-709-7.

Eigenbrod, C., N. Gruda, 2015: Urban vegetable for food security in cities. A review. Agronomy for Sustainable Development 35 (2), 483–498, DOI: 10.1007/s13593-014-0273-y.

Feldmann, F., E. Bloem, W. Dirksmeyer, B. Golla, J.M. Greef, A. Piorr, J. Saltzmann, U. Vogler, 2023a: Definition gebräuchlicher Begriffe der urbanen Landwirtschaft und englischer Entsprechungen. Journal für Kulturpflanzen 75 (1-2), 2-8, DOI: 10.5073/JfK.2023.01-02.02.

Feldmann, F., U. Vogler, A. Piorr, 2023b: Die Formen der urbanen Landwirtschaft in Deutschland. Journal für Kulturpflanzen 75 (1-2), 9-36, DOI: 10.5073/JfK.2023.01-02.03.

Mayring, P., 2014: Qualitative Content Analysis. Klagenfurt, Germany, 144 S.

Nègre, F., 2022: Die zweite Säule der GAP: Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums, URL: https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/110/die-zweite-saule-der-gap-politik-zur-entwicklung-des-landlichen-raums. Zugriff: 10. Oktober 2022.

Piorr, A., I. Zasada, A. Doernberg, F. Zoll, W. Ramme, 2018: Research for AGRI Committee: Urban and peri-urban agriculture in the EU: study requested by the AGRI committee. Brussels, Belgium, European Union, 188 S., DOI: 10.2861/46620.

Specht, K., R. Siebert, I. Hartmann, U.B. Freisinger, M. Sawicka, A. Werner, S. Thomaier, D. Henckel, H. Walk, A. Dierich, 2014: Urban agriculture of the future: an overview of sustainability aspects of food production in and on buildings. Agriculture and Human Values 31 (1), 33–51, DOI: 10.1007/s10460-013-9448-4.

Weidner, T., A. Yang, M.W. Hamm, 2019: Consolidating the current knowledge on urban agriculture in productive urban food systems: Learnings, gaps and outlook. Journal of Cleaner Production 209, 1637–1655, DOI: 10.1016/j.jclepro.2018.11.004.

Fußnoten:

1  

ELER-Förderung: Der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) dient der Finanzierung der sog. 2.-Säule Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU) durch die EU. Diese Maßnahmen werden durch regionale oder nationale Mittel kofinanziert (Nègre, 2022).

2  

LEADER: Liaison entre les actions de développement de l'économie rurale, deutsch: Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft.

3  

https://www.ecf-farm.de/.

 

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