Journal für Kulturpflanzen, 74 (01-02). S. 24–26, 2022 | DOI: 10.5073/JfK.2022.01-02.04 | Nachrichten
Neues aus der Deutschen Genbank Obst (DGO):
Die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg als Partner der Genbank Obst
Die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg (LVWO) ist eine Ausbildungs- und Forschungseinrichtung des Landes Baden-Württemberg. Sie untersteht direkt dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz. Die als Königliche Weinbauschule 1868 gegründete Anstalt ist die älteste deutsche Wein- und Obstbauschule (siehe Abb. 1). Die Bildungsgänge sind sehr praxisorientiert und erstrecken sich vom Niveau „Staatlich geprüfter Wirtschafter“ und „Meister“ über „Techniker“ bis zum „Bachelor of Science“ im dualen Studium mit der Dualen Hochschule Heilbronn (DHBW).
Eine weitere Aufgabe der LVWO ist die praxisangewandte Forschung im Wein- und Obstbau. Hierzu bewirtschaftet die LVWO vier Außenbetriebe mit einer Gesamtfläche von 85 Hektar. Die obstbaulichen Arbeiten finden auf dem Staatlichen Obstversuchsgut Heuchlingen bei Bad Friedrichshall statt.
Auf dem Obstversuchsgut Heuchlingen werden alle Obstarten angebaut, die in Süddeutschland anbauwürdig sind. Die Versuchstätigkeit umfasst alle Beerenarten (Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Tafeltrauben), ebenso das gesamte Steinobst (Süß- und Sauerkirschen, Zwetschgen und Pflaumen, Pfirsiche und Nektarinen sowie Aprikosen) und das Kernobst (Apfel, Birne und Quitte). Als Besonderheit unter den bundesdeutschen Versuchsinstitutionen im Obstbau werden in Heuchlingen mehrere Hektar Walnuss- und Haselnusssorten angebaut. Basis jeder Versuchsanstellung ist die Suche nach neuen Sorten mit besseren Anbaueigenschaften. Diese mündet in weitere Versuche zur optimalen Kulturführung dieser Sorten (geeignete Unterlagen, Erziehungs- und Schnittsysteme, Pflanzenschutz).
Seit 1988 beschäftigt sich die LVWO Weinsberg mit dem ökologischen Obstbau. Diese Versuchsarbeiten führten im Anbaubereich zu neuen pilzwiderstandsfähigen Sorten (z. B. Einführung der Sorte ‘Topaz‘ mit aktuell 430 ha Anbaufläche in Baden-Württemberg) und zur Entwicklung von biologischen Pflanzenschutzmitteln (z. B. NeemAzal-TS mit dem Wirkstoff Azadirachtin gegen Läuse) oder von Hefeextrakten zur Beschleunigung des Falllaubabbaus zur Apfelschorfbekämpfung. Zusammen mit dem Versuchswesen wurde der Beratungsdienst ökologischer Obstbau an der LVWO etabliert. Die Fördergemeinschaft Ökologischer Obstbau hat ebenfalls ihren Sitz in Weinsberg genommen. Sie ist ein überverbandlicher Zusammenschluss von zirka 200 ökologisch wirtschaftenden Erwerbsobstbauern und -bäuerinnen in ganz Deutschland. Sie fördert den Ökologischen Obstbau durch Bildungsangebote, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit. Aufgrund dieser Aktivitäten finden zahlreiche Veranstaltungen zum ökologischen Obstbau an der LVWO statt (z. B. Ökologische Obstbautage, Einführungskurse, Beerenobsttagung etc.).
Seit 2004 betreibt die LVWO Weinsberg ein eigenes Züchtungsprogramm zu pilzwiderstandsfähigen Apfelsorten speziell für den ökologischen Anbau (siehe Abb. 2 und 3). Aus diesen Arbeiten entstanden mehrere Neuzüchtungen, die mittlerweile beim Bundessortenamt zum Sortenschutz angemeldet sind (z. B. ‘Summercrisp‘, ‘Barbarossa‘, ‘Jucunda‘, ‘Mammut‘ usw.) und auf den Erzeugerbetrieben bereits in größerem Umfang angebaut werden.
Allen Züchtungslinien gemein ist der grundlegende Einbau einer Resistenz oder zumindest Robustheit gegenüber Apfelschorf (siehe Abb. 4). 2016 konnte mit der Genehmigung eines Europäischen Innovationsprojektes mit dem Titel „Einführung robuster Apfelsorten für den ökologischen Obstbau und den Streuobstanbau“ und der damit verbundenen finanziellen Förderung der Züchtungsumfang wesentlich ausgedehnt und die Züchtungsziele erweitert werden. Durch die bewusste Nutzung von Streuobstsorten und Wildarten als Elternsorten soll der genetischen Verarmung von künftigen Erwerbssorten gegengesteuert werden. Neue Züchtungsziele sind auch sehr starkes Wachstum für den landschaftsprägenden Streuobstanbau oder die Anpassung an den Klimawandel bzw. die damit verbundene Blütenfrostgefahr, der mit der Züchtung spätblühender Sorten begegnet werden soll.
Abb. 4. Links: erfolgreiche Schorfinfektion = Pflanze anfällig, rechts: infiziertes Blatt mit Abwehrreaktion („Nadelstiche“) = resistente Pflanze.
Mitte der 1970er Jahre wurden im Rahmen des „Landesprogrammes für die Anzucht gesunder leistungsfähiger Obstpflanzen“ vier Reiserschnittgärten in Baden-Württemberg aufgebaut und die Verteilung der Edelreiser zentral durch die LVWO Weinsberg vorgenommen. Durch die Trennung der einzelnen Aufgaben wie Virustestung, Virusfreimachung und Betreuung des Kernquartieres durch die Landesanstalt für Pflanzenschutz in Stuttgart, die Sortenkontrolle durch das Landwirtschaftsamt Karlsruhe und die Edelreiserproduktion sowie den Verkauf durch die LVWO Weinsberg war ein zukunftsweisendes Konzept erarbeitet worden. Der staatliche Reiserschnittgarten wurde im Mai 1998 privatisiert und von der „Reiserschnittgarten Baden-Württemberg GmbH & Co.Kg“, einem Verbund von Gesellschaftern aus der Baumschulwirtschaft, übernommen. Die Sortenkontrolle des von der Landwirtschaftlichen Technologiezentrale Augustenberg (= Nachfolgeanstalt der LfP Stuttgart) virusfrei gemachten Edelreisermaterials wurde der LVWO Weinsberg überantwortet. Diese hoheitliche Aufgabe der Sortenkontrolle für das Kernstufenmaterial findet seither auf dem Obstversuchsgut in Heuchlingen statt. Das Birnensortiment aus diesem Kontrollgarten ist Bestandteil der Deutschen Genbank Obst, der die LVWO seit September 2017 mit dem Teilbereich "Birne" angehört. Aktuell hält die LVWO in diesem Birnenbestand rund 70 Sorten vor. Hinzu kommen zirka 15 Lokalsorten aus dem mittleren Neckarraum, die überwiegend in der Brennerei oder als Saftbirnen Verwendung finden.
Die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.