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Journal für Kulturpflanzen, 75 (01-02). S. 55–59, 2023 | DOI: 10.5073/JfK.2023.01-02.07 | Feldmann et al.

Nachrichten
Falko Feldmann, Mona Quambusch, Ute Vogler

Urbane Landwirtschaft in der grünen Infrastruktur: Bericht vom 12. Fachsymposium Stadtgrün

Urban agriculture in the green infrastructure: report of the 12th Expert Symposium on Urban Green

Affiliation
Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau und urbanem Grün, Braunschweig.
Kontaktanschrift
Dr. Falko Feldmann, Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenschutz in Gartenbau und urbanem Grün, Messeweg 11-12, 38104 Braunschweig, E-Mail: falko.feldmann@julius-kuehn.de

Zusammenfassung

Das 12. Fachsymposium Stadtgrün beschäftigte sich mit Fragen der Verbindung der urbanen Landwirtschaft mit der grünen Infrastruktur. Daraus resultiert ein Mehrwert in Form einer produktiven, urbanen, grünen Infrastruktur, die multifunktional entwickelt werden soll und mit der Sicherstellung der zukunftsfähigen landwirtschaftlichen Produktion in der Stadtregion einhergeht. Die Nutzbarkeit der vielfältigen Ökosystemleistungen des Stadtgrüns sollte durch die produktive grünen Infrastruktur nicht eingeschränkt, sondern ergänzt werden. Bei der vorhandenen Flächenkonkurrenz im städtischen Raum gilt es, Wege zu diesem Miteinander zu suchen.

Stichwörter

urbane Landwirtschaft, Stadtgrün, produktive grüne Infrastruktur

Abstract

The 12th Expert Symposium on Urban Green discussed questions of the relationship between urban agriculture and green infrastructure. This connection results in added value in form of a productive, urban, green infrastructure that is to be developed in a multifunctional manner and with the assurance of sustainable agricultural production in the city region. The usability of the diverse ecosystem services of urban green should not be restricted by the competition for land from the productive green infrastructure, but complemented. It is important to look for ways to achieve this togetherness.

Keywords

urban agriculture, urban green, productive green infrastructure

Thematik des 12. Fachsymposiums Stadtgrün

Immer mehr Städte suchen Wege, die Einbindung urbaner Landwirtschaft in lokale Konsum- und Produktionsmuster zu stärken. Soziale Interaktionen sollen Netzwerke lokaler Märkte und Geschäfte zusammenschließen und wirksame Handelsverbindungen im gesamten Stadt-Land-Kontinuum fördern. Diese Intensivierung der Landwirtschaft in der Stadt führt zu Flächenkonkurrenzen mit dem Stadtgrün, das wegen seiner vielfältigen Ökosystemleistungen für die Stadtbevölkerung von größter Bedeutung ist.

Vor diesem Hintergrund widmete sich das 12. Fachsymposium Stadtgrün der zentralen Frage, wie urbane Landwirtschaft betrieben werden kann, ohne die Funktion der grünen Infrastruktur einzuschränken.

In einer hybriden Präsenzveranstaltung präsentierten unter der Leitung von Herrn Dr. Thomas Schmidt, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, interdisziplinäre Expert*innen im Julius Kühn-Institut in Berlin am 15.-16.11.2022 Forschungsergebnisse zum Thema. Mehr als 60 Vertreter*innen aus Wissenschaft, Verbänden und interessierter Öffentlichkeit nahmen vor Ort oder online daran teil.

Diese Fragen standen im Vordergrund: Von welchem Raum sprechen wir, wenn wir von „urbaner Landwirtschaft“ sprechen? Welche Ökosystemleistungen kann die urbane Landwirtschaft für Stadt und Umland erbringen? Wo liegen ungenutzte Potenziale, wo die Herausforderungen der urbanen Landwirtschaft? Stehen Fördermaßnahmen für eine solche urbane Landwirtschaft zur Verfügung? Wie kann Landwirtschaft in die urbane grüne Infrastruktur integriert werden? Welche Rolle spielt die Partizipation der Stadtbewohner für die Etablierung urbaner Landwirtschaft?

Urbane Landwirtschaft in Deutschland: vielfältig und vernetzt

Dr. Falko Feldmann, Julius Kühn-Institut Braunschweig, stellte in der Einleitung dar, dass die Bundesforschungseinrichtungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft eine umfassende Definition der urbanen Landwirtschaft vorgeschlagen hätten (Feldmann et al., 2023a), die von einer Bestandsaufnahme zu Formen der urbanen Landwirtschaft in Deutschland (Feldmann et al., 2023b) begleitet worden sei. In den Studien wurde deutlich, dass sich eine große Vielfalt landwirtschaftlicher Initiativen selbst zur urbanen Landwirtschaft zugehörig empfände. Die Hauptakteure agierten a) kommunal, gemeinwohlorientiert, b) privat, nicht-gewinn-orientiert und c) privat, gewinnorientiert. Es zeigten sich zahlreiche Wechselwirkungen zwischen diesen Hauptakteuren, die in der Herausbildung von stadtnahen ruralen, peri-urbanen und intra-urbanen Wertschöpfungsketten und Märkten eine zentrale Rolle einnahmen und eingebunden war in ein nachhaltiges Ernährungssystem der Städte.

Es habe aufgezeigt werden können, dass die Koordinierung einer Politik der nachhaltigen Ernährungssicherung im stadtregionalen, d. h. stadtnahem ruralen, peri-urbanen und intra-urbanen, Raum darüber hinaus die Herstellung, die Lagerung, den Transport und die Vermarktung von Nahrungsmitteln unter zukunftsorientierten Bedingungen und zu erschwing­lichen Kosten erleichtern, Nahrungsmittelverluste verringern und Lebensmittelabfälle vermeiden könne. Gebäudegebundene urbane Landwirtschaft ergänze die bodengebundene Produktion und erschließe neue Potenziale der Pflanzen- und Tiererzeugung in der Stadt.

Die räumliche Abgrenzung der Stadt: ein noch offenes Problem

Frau Dr. Antonia Milbert, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, beschäftigte sich mit der Abgrenzung des ländlichen Raumes vom urbanen Raum als Grundlage für die räumliche Einordnung der urbanen Landwirtschaft. Sie stellte dar, dass es verschiedene Abgrenzungsmodelle in Deutschland gäbe (Küpper, 2016; Küpper & Milbert, 2020). Ein neuer, wahrscheinlichkeitsbasierter Ansatz sei vielversprechend. Dabei werde die Definition von neuen Raumeinheiten, die von administrativen Grenzen unabhängig sei, über einen Gridzellen basierten Ansatz vorgenommen und die Gridzellen anhand der getesteten Indikatoren und Schwellenwerte als urban bzw. rural eingestuft.

Dr. Zvonimir Peric, Julius-Kühn-Institut, stellte ein vom JKI entwickeltes solches Gridzellen-Modell vor, das durch Integration verschiedenster Datenquellen in einem „digitalen Zwilling“ des urbanen Raumes münden könnte und so Planungsentscheidungen für unterschiedliche Zielgruppen nachvollziehbar machen könnte. Auf diese Weise könnte Raum für urbane Landwirtschaft leichter und unter Reduzierung von Zielkonflikten mit der grünen Infrastruktur gefunden werden.

Insgesamt stimmten die Teilnehmer*innen des Fachsymposiums überein, dass die Abgrenzung der unterschiedlichen Räume wichtig für Landschafts- und Stadtplanung, aber auch für statistische Zwecke mit dem Fokus auf urbane Landwirtschaft ist.

Die produktive, grüne Infrastruktur: Konkurrenz und Ergänzung für Grün­flächen vor und in der Stadt

Die urbane Landwirtschaft kann ökonomische, ökologische und soziale Ökosystemleistungen erbringen, so Frau Dr. Annette Piorr, Leibniz-Zentrum für Agrarlandwirtschaftsforschung e. V., Müncheberg, die Biodiversität in der Stadt fördern, die Klimaresilienz von Städten erhöhen, das soziale Miteinander in den Quartieren verbessern und vielfältige Ernährungs- und Bildungsaspekte bergen (Potschin et al., 2010; Haines-Young et al., 2012). Betrachtet man aber die Leistungen des Stadtgrüns (z. B. die Kühlungsleistung der Bäume) im Vergleich zur ruralen Vegetation (Schwaab et al., 2021), so sind die Ökosystemleistungen der urbanen Landwirtschaft als geringer anzunehmen. Es gäbe unterschiedliche Transformationspfade für den intra- und peri-urbanen Raum mit unterschiedlichen Logiken. Nahrungsproduktion sei das Allein­stellungsmerkmal der urbanen Landwirtschaft. Doch müssten Lösungen zum Ausgleich von Interessenkonflikten zwischen gewinnorientierten und gemeinwohlorientierten Akteuren vor dem Hintergrund immer eingeschränkterer Ressourcen gefunden werden. Es gäbe insofern Bedarfe nach gekoppelten Ökosystemleistungen, Planungen und Beteiligungsverfahren.

Dr. Daniel Münderlein, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, warb dafür, das Konzept der grünen Infrastruktur als Trägerkonzept und EU Strategie weiterzuentwicklen, indem „leftover spaces“ zu einem Miteinander der derzeitigen grünen Infrastruktur mit einer „Continuous Productive Urban Landscape“ über so genannte „food strips“ verbunden würden. Insgesamt solle so eine Gesamtbetrachtung sämtlicher Ernährungsstrukturen im urbanen Kontext erfolgen („Urban Food Systems“), in dem die Ausweisung von Vorranggebieten für urbane Landwirtschaft erfolgen könne (Münderlein & Pszola, 2022).

Ressourcen im urbanen Raum: ein teures Gut

Das Miteinander von urbaner Landwirtschaft und Stadtgrün konkurriert nicht nur um Flächen, sondern insbesondere um die Ressource Wasser.

Ralf Minke, Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft der Universität Stuttgart, stellte in diesem Zusammenhang die Herausforderungen für Städte dar, die Wasserversorgung und den Gewässerschutz zu gewährleisten. Er stellte zunächst fest, dass derzeit in deutschen Städten grundsätzlich noch kein Wassermangel bestehe, weil Regionen mit unzureichenden Wasservorkommen durch Fernwasserversorgung versorgt würden. Dennoch würde die Verknappung von Wasser aber vielerorts absehbar und könne schon bald nur schwer ausgeglichen werden. Die Teilsysteme der Siedlungswasserwirtschaft seien seit 150 Jahren gewachsen und wiesen eine lineare Struktur auf. Eine der Herausforderungen sei es, hier eine Kreislaufwirtschaft flächendeckend einzuführen. Höhere Anforderungen an Gewässer- und Ressourcenschutz führen zur Entwicklung von Kreislaufsystemen nicht nur für Wasser sondern auch für Nährstoffe (Rott et al., 2018a). Zunehmende Wetterextreme würden die vorhandenen Systeme temporär über ihre Leistungsgrenze hinaus belasten. Die erforderlichen Technologien seien größtenteils vorhanden. Allerdings sei die großtechnische Umsetzung in Deutschland bisher noch nicht bzw. kaum erfolgt: mangelndes Problembewusstsein, rechtliche und organisatorische Hindernisse sowie fehlende Akzeptanz seien hier Ursachen. Deshalb seien anschauliche und erfolgreiche Pilotprojekte plus intensive Aufklärungsarbeit erforderlich (Rott et al., 2018b).

Der Ressourcenbedarf und seine ökologischen Auswirkungen auf die Umwelt wurde von Prof. Dr. Werner Kloas, Humboldt Universität zu Berlin, am Beispiel urbaner Aquakultur dargestellt (CITYFOOD | IGB, 2023). Er zeigte auf, dass der Ressourcenverbrauch für die Produktion von Fisch in Aquakultur weitaus effizienter sein könne als die Produktion von Fleisch (Geflügel, Schwein, Rind). Die Effizienz hänge von der Kreislaufwirtschaft des verwendeten Wassers, aber auch der Nutzung sonstiger Ressourcen (z. B. Abwärme) ab und könne deshalb in einer Kreislauf-orientierten Stadt besonders hoch sein (Stadler et al., 2017). In Gebäuden würden geschlossene Aquakultur-Kreislaufsysteme (RAS) realisiert, die mit gerin­gen Mengen frischen Wassers und geringen Emissionen auskämen. Die Kombination von Aquakultur (Fisch) plus Hydro­ponik (Gemüse), zusammen als Aquaponik bezeichnet, eröffneten weitere Möglichkeiten der Ressourceneinsparung. Letztlich würde durch die Integration einer weiteren trophischen Ebene (Insektenkultivierung) ein Kreislauf aufgebaut, der ohne Reste oder Abfälle auskomme. Solche Perspektiven würden heute intensiv voran getrieben und hätten große Erfolge zu verzeichnen (CUBES Circle | Future Food Production, 2023).

Prof. Dr. Claus Bull, Berliner Hochschule für Technik, unterstrich die Bedeutung der Ressourcenschonung und Ressourceneffizienz zur Sicherung der Nachhaltigkeit auch im urbanen Gemüsebau. Würden keine ressourceneffizienten Produktionssysteme im intra-urbanen Raum gefunden, bliebe der professionelle Gemüseanbau auf den peri-urbanen und stadtnahen ruralen Raum beschränkt. Heute könne die professionelle Gemüseproduktion im intra-urbanen Raum die Bevölkerung nicht ernähren. Das läge an den hohen Kosten und an den noch wenigen Produktionsstätten, die allenfalls Salate oder Kräuter produzierten. Sie werde auch in Zukunft keine große Rolle spielen, sofern die Kriterien für Nachhaltig­keit (z. B. Energieverbrauch) nicht erfüllt würden. Die professionelle bodengebundene Gemüseproduktion im peri-­urbanen Raum spiele auch in Zukunft eine wichtige Rolle. Der Anbau auf dem Feld und im Gewächshaus bilde den Wunsch der Verbraucher nach regionalen Lebensmitteln ab und stelle somit für die Branche einen Image-Gewinn dar.

Die Kultursystementwicklung zur Steigerung der Ressourceneffizienz und des Wertschöpfungspotentials sowie die Differenzierung und Qualitätsoptimierung gemüsebaulicher Produkte des intra-urbanen Gartenbaus stand im Fokus der Präsentation von Prof. Dr. Andreas Ulbrich, Hochschule Osnabrück. Erzielt werden sollte die Effizienzsteigerung im Gemüseanbau durch „Controlled Environment Agriculture“ (CEA), z. B. Indoor- Vertical-Farming oder Hybridsysteme aus Gewächshaus und Indoorfarm. Solche gebäudeintegrierten Verfahren könnten bei hoher Raumausnutzungs- und Ressourceneffizienz ganzjährige Produktion gewährleisten. Begrenzend sei derzeit der hohe Energiebedarf und die begrenzte Kulturpflanzenauswahl. Zunächst werde der Identifikation neuer Kulturpflanzenarten Aufmerksamkeit geschenkt. Auswahlkriterien seien die Eignung als Makronährstofflieferant (Proteine, Kohlenhydrate, Fette), der Ernährungsphysiologische Mehrwert/Gesundheitswert, das Verwendungspotential der gesamten bzw. überwiegenden Biomasse, die potentielle Marktrelevanz und die Hydroponik-/Indoorfarmeignung. Die komplexe Einbindung des CEA Systems in Ressourcenkreisläufe solle die Effizienzsteigerung auch im Energiebereich und bei Stoffströmen erbringen und insgesamt die Preise der Waren senken helfen (Hochschule Osnabrück, 2023).

Förderung der urbanen Landwirtschaft aus der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU denkbar

Wie könnte die (professionelle) urbane Landwirtschaft gefördert werden? Ist sie bereits Gegenstand der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP)? Dieser Frage widmete sich Simon Stork, Fachhochschule Südwestfalen, Soest, in seinem Beitrag. Er zeigte auf, dass die urbane Landwirtschaft sehr viele Politikfelder tangiere, aber in keinem explizit integriert sei. Sie könnte zwar theoretisch von vielen verschiedene Fördermechanismen profitieren, aber kaum Förderoptionen nutzen. Die GAP adressiere urbane Landwirtschaft bisher nicht direkt, doch könnten aus der so genannten 2. Säule Mittel für die Etablierung von Netzwerken und Kooperationen, Investitionsförderung, Unterstützung von Neueinsteiger*innen, Förderung von Diversifizierungsmaßnahmen, spezielle Unterstützung für kleine landwirtschaftliche Betriebe, Stärkung der Verarbeitung und des Direktverkaufs, Förderung regionaler Lebensmittelversorgung, Entwicklung kurzer Wertschöpfungsketten, Stärkung ressourceneffizienter Produktionsmethoden genutzt werden. Genau wie es keine historisch gewachsenen Strukturen für urbane Landwirtschaft in der Politik gäbe, existierten auch keine in diversen Rechtsbereichen, Verwaltungen und es gäbe keine Interessenvertretung der urbanen Landwirtschaft als Ganzes (EFUA, 2023).

Urbane Landwirtschaft in das Ernährungs­system Stadt integrieren

Die in der Stadt lebenden Menschen sind in ihrer Ernährung darauf angewiesen, dass Nahrungsmittel für sie bereitgestellt werden, die gesund sind, ihren Qualitätsansprüchen genügen und die so produziert sind, wie sie es sich wünschen.

Dr. Philipp Stierand, Speiseräume F + B, Berlin, betonte deshalb die Bedeutung der Partizipation der Stadtbewohner*­innen: Jede Ernährungswende beginne heute in der Stadt: Gemeinschaftsgastronomie, Außer-Haus-Verpflegung, Schulverpflegung und andere Formen der gemeinschaftlichen Er­nährung hätten das Potential, gesünderes Essen so zu präsentieren, dass eine Wertschätzung für Nahrungsmittel entstehen könne, die zukunftsorientiert und nachhaltig sei (Gugerell et al., 2021). Die Stadt könne als „Speiseraum“ gedacht werden und dabei auch die Formen der urbanen Landwirtschaft mit einbeziehen (Stierand, 2008). So entstehe neben einer Wertschätzung für Nahrungsmittel ebenso eine für bestimmte Produktionsbedingungen. Stadtverwaltung und Bewohner*innen der Stadt würden heute über Ernährungsämter, Ernährungskoordinatoren, Ernährungsräte, Ernährungsstrategien, Ernährungschartas oder Aktionspläne auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden (Speiseräume F + B, 2023).

Ein Beispiel für die nicht-professionelle urbane Landwirtschaft im intra-urbanen Raum zeigte Frau Eva Foos, Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e. V., Berlin, auf. Das Zusammenspiel von bodengebundenem Eigenanbau von Obst und Gemüse saisonal und regional, Erholung und Umwelt- und Naturschutzbelangen mache die Kleingärten zu multifunktionalen Elementen der produktiven grünen Infrastruktur. Selbstorganisierte Vereine trügen zur Bewusstseinsbildung, Bildung und Beratung bei. Fachberatung auf allen Organisationsebenen und niedrige Pachtpreise und Kündigungsschutz ließen die Kleingärten zu wohnortnahen, sozialen, umweltgerechten und vielfältigen Orten der Partizipation am Ernährungssystem Stadt werden (Bundesverband Deutscher Gartenfreunde e.V, 2023).

Eine Verbindung zwischen landwirtschaftlichen Produktions- und Handels-Betrieben standen im Mittelpunkt der Ausführungen von Klaus Lorenzen, EVG LANDWEGE eG, Lübeck. Er stellte heraus, dass genossenschaftlich organisierte Betriebe wichtige Verbindungen zwischen Stadt und stadtnahem ruralem Raum darstellen würden, die geeignet wären, diese Räume wirtschaftlich miteinander zu verbinden. Darüber hinaus gäbe es eine Wechselwirkung zwischen den Produzenten und den Konsumenten: man verständige sich nicht nur über das Warenangebot, sondern auch über die Art und Weise des Anbausystems. So seien bei seiner Genossenschaft die Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft vereinbart und gelebt. Diese Beziehungen zur Stadt würden in Lübeck eine Stadtregion von mehr als 50 km Durchmesser definieren. Gerne würde man das Netzwerk weiter ausbauen und noch mehr verarbeitende Betriebe integrieren. Dies sei aber immer schwieriger, weil Kleinbetriebe immer seltener würden. Gerade genossenschaftliche Organisationen könnten dem aber entgegenwirken (Landwege e.G., 2022).

Prof. Dr. Frank Lohrberg, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, fügte den Überlegungen zur partizipativen Integration der urbanen Landwirtschaft den Aspekt des kulturellen Erbes hinzu. Der lateinische Begriff für Landwirtschaft „Agrikultur“ mache die Verankerung der Kulturtechniken und Verfahren, die Produktionssysteme, aber auch ihre Auswirkung auf Sitten und Gebräuche besser deutlich. Agrikultur sei ein steter Begleiter der Stadtentwicklung gewesen, ihre Blütezeit habe in der Frühen Neuzeit stattgefunden – gefördert durch enge räumliche, stoffliche und gesellschaftliche Durchwirkungen. Es habe eine Intensivierung hin zum Stadtkern gegeben (Thünen‘sche Ringe). Die Versorgung, Direktvermarktung und Diversifizierung der Kulturpflanzenarten sei stadtregional organisiert und die Landwirtschaftspolitik deswegen eine kommunale gewesen. So habe die Stadt als Inno­vationsmotor für die Landwirtschaft gewirkt. Durch die Industrialisierung sei es zu einem Bedeutungsverlust der urbanen Agrikultur gekommen. Die Moderne sehe die Agrikultur sogar als Gegensatz zur Stadt. Eine Rückbesinnung sei seit der Milleniumswende zu beobachten. Die Betrachtung der Agri­kultur aus dem Blickwinkel des kulturellen Erbes zeige sie als Trägerin kollektiver Erinnerung. Kollektive Praktiken seien wichtiger Bestandteil des Erbes. Die Vielfalt der Agrikulturen sei an die „community of practice“ gebunden. So sei die großstädtische Agrikultur mehr und mehr durch Migration geprägt. Agrikultur eröffne den Zugang zu immateriellem Erbe und Landwirtschaft könne als „living heritage“ aufgefasst werden. Wenn jetzt die urbane Landwirtschaft wieder in die grüne Infrastruktur der Städte zurückkehre, könne auf einen vielfältigen Wissenspool zurückgegriffen werden. Die „urbane Agrikulturdiversität“ sei deshalb zunehmend Forschungsgegenstand (Lohrberg et al., 2023).

Fazit

Die Definition der urbanen Landwirtschaft als stadtregionaler Raum, der sowohl den stadtnahen ruralen, peri-urbanen und intra-urbanen Raum miteinschließt, führt zwangsläufig dazu, dass sie bereits heute als Teil der grünen Infrastruktur ruraler Räume und als produktive grüne Infrastruktur angesprochen und verstanden werden kann. Der Vorschlag, durch die Bildung von „Food strips“ landwirtschaftliche Elemente in der grünen Infrastruktur miteinander zu verknüpfen, ist eher ein ökonomischer Aspekt als ein landschaftsökologischer: die Ökosystemleistungen der nicht-landwirtschaftlichen grünen Infrastruktur dürften intensiver für die Stadt nutzbar sein als die der landwirtschaftlichen. Umgekehrt erscheint der Ansatz aber interessant. Wie könnte man die landwirtschaftlichen Flächen im stadtnahen ruralen und im peri-urbanen Raum funktional so gestalten, dass ihre Ökosystemleistungen denen der nicht-landwirtschaftlichen grünen Infrastruktur nahekommen? Hier liegen Konzepte vor, die bislang in Deutschland nur diskutiert und experimentell eher im intra-urbanen Raum nicht-professionell erprobt werden: Permakulturansätze, regenerative Landwirtschaft, gekoppelt mit Agroforst-Systemen, Intensivierung von Mischanbauverfahren, Vermeidung industrieller ökologischer Landwirtschaft und dergleichen mehr. Sozio-ökonomisch bedeutet das, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Stadt und Umland eher auf Kleinbetrieben aufgebaut sein sollten, die genossenschaftlich organisiert oder sogar partizipativ aufgebaut sind wie die Solidarische Landwirtschaft (Feldmann et al., 2023b). Neue Methoden der Bewertung von Standorten, einschließlich der digitalen modellbildenden Verfahren können hier der Planung wesentliche Vorteile bringen.

Während also der peri-urbane und stadtnahe rurale Raum eher den bodengebundenen (partizipativen) Mischkulturanbau vorbehalten bleiben wird, prallt im Stadtkern, im intra-urbanen Raum, die nicht-professionelle Nahrungserzeugung in Gemeinschafts-, Haus- und Kleingarten auf die modernste und technologisch am weitesten entwickelte Form der urbanen Landwirtschaft, die Indoor und Vertical farming Ansätze, einschließlich der Aquakultur und Hydroponik. Weder letztere, Altbauten nutzend, stellen eine unbedingte Flächenkonkurrenz für das Stadtgrün dar, noch erstere, die traditionell bereits ihre Flächen im Gesamtkonzept des Stadtgrüns gefunden haben. Problematisch ist lediglich möglicherweise die Ressourcenverteilung zwischen beiden. Hier gilt es, frühzeitig gerade bei den modernen gebäudeintegrierten Verfahren durch Etablierung von Kreisläufen eine vorausschauende Planung durchzuführen.

Spannend wird gesellschaftlich die Beantwortung der Frage, ob sich Städte zu Speiseräumen weiterentwickeln lassen und die Wechselwirkung zwischen Menschen in der Stadt und den Erzeugern ihrer Nahrung so mutualistisch gestaltet werden kann, dass daraus ein ökonomisches Überleben von (Klein-) Betrieben der urbanen Landwirtschaft gesichert ist und die Wertschätzung der „Lebensmittel“ zu nachhaltigen Bewirtschaftungsformen führt. Damit wäre der Grundstein gelegt, dass wir eine neue Tradition im Sinne des kulturellen Erbes einer multikulturell veranlagten Agrikultur begründen.

Danksagung

Die Autoren danken Herrn Dr. Thomas Schmidt und Herrn Johannes Graf, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Ref. 716, für die Bereitstellung der Mittel zur Finanzierung dieses Fachsymposiums. Frau Feuerhack und Herrn Zimmermann, Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, wird stellvertretend für das gesamte BLE-Team für die perfekte organisatorische Umsetzung des Fachsymposiums gedankt.

Erklärung zu Interessenskonflikten

Der Autor und die Autorinnen erklären, dass keine Interessenskonflikte vorliegen.

Literatur

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