Journal für Kulturpflanzen, 75 (05-06). S. 129, 2023 | DOI: 10.5073/JfK.2023.05-06.01 | Editorial
Die Dosis und das Gift
Als Leser dieses Journals gehe ich davon aus, dass Sie auch die Tagesmeldungen verfolgen. Sie kennen sicherlich die Berichte, dass mal wieder irgendetwas im Boden, im Grundwasser, im Blut oder in sonstigen Kompartimenten der Umwelt oder des Daseins „gefunden“ wurde. Wir alle wissen: „only bad news are good news“ und können solche Meldungen dann auch entsprechend einordnen. Zumal die heutige Analysetechnik mittlerweile so leistungsfähig ist, dass jedwede Spuren von Stoffen in noch so kleinen Dosen analytisch bestimmt werden können. Die wirklich spannende Frage ist doch aber, ob von der bloßen Existenz eines Stoffes auch unmittelbar ein Risiko ausgeht? Schon Paracelsus wusste: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“1
Um die Frage nach dem Gift wissenschaftlich richtig einordnen zu können, gibt es das System der Risikobewertung. Hier sitzen Experten an Messdaten und Modellen, die bewerten, ob die bei einer Anwendung auftretende Exposition von Stoffen in der Umwelt oder in Bezug zur Gesundheit auf toxikologischer Basis kritisch einzustufen ist oder nicht. Es geht also nicht nur darum, ob etwas gefunden werden kann, sondern vielmehr um die Frage, ob die zu findende Menge nach aktuellem Stand der Wissenschaft ein tatsächliches Risiko darstellt. Nach diesen Kriterien findet u. a. auch die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen des Zulassungsprozesses statt.
Wie jedes Modell, sind auch die zur Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln nur so gut, wie die getroffenen Annahmen und die Daten auf denen sie gründen. Inhaltlich geht es dabei z. B. um die Bewertung von Risiken, die durch das Verdriften von Pflanzenschutzmitteln bei der Ausbringung entstehen. Der Experte spricht hier von der Exposition auf sogenannten Nicht-Zielflächen. Das sind Strukturen, wie beispielsweise Hecken, Gräben und Wege, die das zu behandelnde Feld ggf. umgeben. Ein anderes Beispiel ist die inhalative und dermale Exposition von Anwendern, Anwohnern und Nebenstehenden (= Amtsdeutsch für Spaziergänger, Fahrradfahrer, Autofahrer, die mit ihrem Hund spazieren gehen etc.). Um all diese Dinge verlässlich und realitätsnah bewerten bzw. modellieren zu können, braucht es Daten. Aber, wo kommen diese Daten her? Nach welchen Methoden werden diese erhoben? Sind die Methoden zur Erhebung der Daten eigentlich realitätsnah? Wer macht sowas überhaupt?
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir dieses Themenheft zusammengestellt, um Ihnen den Blick hinter die Datenkulisse zu eröffnen. In dieser Ausgabe dreht sich daher alles um neue Methoden zur Erhebung von Expositionsdaten für unterschiedlichste Anwendungsfälle, um die Modelle der Risikobewertung mit möglichst realitätsnahen Daten zu füttern. Erlauben Sie mir zum Schluss noch folgenden Hinweis: Da Sie wissen, dass die Dosis relevant ist, konsumieren Sie bitte nicht alle Beiträge auf einmal!
Fußnoten:
Theophrast Paracelsus: Werke. Bd. 2, Darmstadt 1965, S. 508-513, URL: http://www.zeno.org/nid/20009261362 |