Das Ausbreitungspotenzial der Zuckerrübe vom Saatgut bis zum Zucker unter besonderer Berücksichtigung genetisch veränderter Sorten

Autor/innen

  • Bernward Märländer Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ), Göttingen
  • Tina Lange Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ), Göttingen
  • Antje Wulkow Institut für Zuckerrübenforschung (IfZ), Göttingen

DOI:

https://doi.org/10.5073/JfK.2011.11.01

Schlagworte:

Verbreitungsgebiete, Saatgutvermehrung, Saatgutaufbereitung, Einkreuzung, Auskreuzung, Pollenübertragung, kleine Rüben, Rübenrückstände, „geschlossene Systeme‟

Abstract

Das Taxon Beta umfasst verschiedene Kulturrüben- und Wildrübenarten, die entsprechend ihrer Kreuzbarkeit drei Genpools zugeordnet werden. Die Verbreitung der Wildrübenarten ist in Europa auf wenige Gebirgs- und Küstenstandorte begrenzt. In Regionen mit Zucker­rübenanbau potentiell bedeutsam und in Deutschland ausschließlich existent ist die Wildrübe Beta vulgarisssp.maritima L. Arcang., deren Vorkommen lediglich auf der Insel Helgoland sowie an Küstenstreifen zwischen der Insel Fehmarn und Kiel dokumentiert ist. Die Zuckerrübe wurde 2010 in Mitteleuropa auf etwa 1,5 Mio. ha, in Deutschland auf 380.000 ha angebaut (WVZ 2010). Die Vermehrung- und Aufbereitung von Saatgut konzentriert sich auf wenige, klimatisch günstige Regionen in Norditalien und Südfrankreich, für die Produktion von Basis- und zertifiziertem Saatgut sowie für Vorstufen- und Zuchtmaterial auf die direkte Umgebung von wenigen Zuchtstationen in Mitteleuropa. Saatgutvermehrung und -aufbereitung erfolgen mit äußerst gezieltem Management aus­schließ­lich und in alleiniger Verantwortung der Züchtungsunternehmen.

Die Vermehrung erfolgt über Stecklinge im Reihenanbau, um eine gezielte Pollenübertragung von der männlich fertilen Vaterlinie auf die männlich sterile Mutter­linie zur Erzeugung von Hybridsorten zu gewährleisten. Während der Blütezeit von etwa vier Wochen kann eine Pollenübertragung durch Wind über eine Distanz > 500 m erfolgen. Zur Vermeidung von Ein- und Auskreuzung erfolgt die Saatgutproduktion konzentriert auf wenigen Standorten, räumlich isoliert vom Zuckerrübenanbau sowie von Gebieten, in denen Wildrübenpopulationen wachsen. Nach der Ernte wird das Saatgut in Containern verlustfrei zu regionalen und zentralen Aufbereitungsstationen transportiert und technisch aufbereitet. Das Saatgut kommt ausschließlich in verschlossenen Ver­packungen in den Handel.

Das pillierte Saatgut wird präzise in das vorbereitete Saatbett abgelegt und mit Boden bedeckt. Ein Saatgutaustrag ist auf wassererosionsgefährdeten Flächen durch Abschwemmung möglich, kann aber durch Mulchsaat weitestgehend verhindert werden. Von Mäusen geknackte Samen sind nicht regenerationsfähig, da deren Keimling gefressen wird. Etwa 90% der keimfähigen Samen (Labor­keimfähigkeit ca. 95%) laufen auf. Samen, die nicht auflaufen, sind im Feld unter den jeweiligen Umweltbedingungen nicht lebensfähig.

Zuckerrüben sind zweijährige Pflanzen und entwickeln im ersten Vegetationsjahr als Ernteorgan die Rübe. Das generative Wachstum von Zuckerrüben würde nach entsprechender Vernalisation im zweiten Vegetationsjahr mit der Bildung blütenbildener Stängel (Schosser) erfolgen. Allerdings können sich auch (Wahrscheinlichkeit < 0,05%) bereits im ersten Vegetationsjahr bei kühler Witterung durch genetische Konstitution oder ungünstige Witterungsbedingung während der Samenreife Schosser bilden. Die Blüten von Schossern aus Hybridsorten sind semifertil/-steril, so dass der fertile Samenansatz im Gegensatz zu Schossern aus früheren angebauten, vollfertilen Sorten geringer ist. Aus-/Einkreuzung von Kulturrübenformen in Wildrübenpopulationen und vice versa setzt räumliche Nähe, gleichen Blühzeitpunkt sowie entsprechende Windstärke, -richtung und geringe Luftfeuchtigkeit voraus. Aufgrund des unterschiedlichen Blüh­zeitraums von Kulturrüben und Wildrübenarten behalten deren Populationen trotz räumlicher Nähe zum Zuckerrübenanbau überwiegend ihre genetische Divergenz. Ein wirksamer Schutz vor Einkreuzung von Kulturrüben in Wildrübenpopulationen kann durch räumliche Isolierung des Zuckerrübenanbaus erreicht werden.

Durch Genfluss von Wildrüben und einjährig schossenden Kulturrüben in schossende Zuckerrüben entstehen durch Hybridisierung und anschließende Entwicklung und Verbreitung von Samen Bastardrüben, die wiederum einjährig sind. Durch die frühere Blüte sind diese kritischer bezüglich Aus-/Einkreuzung zu bewerten als später blühende Schosser aus Hybridsorten. Schossende Zucker­rüben sowie Bastardrüben sind agronomisch minder­wertig und werden daher aus Kulturrübenbeständen üblicherweise manuell, mechanisch oder teilweise mit nicht selektiven Herbiziden eliminiert. Ohne Regulierung können Schosser von Kultur- und Bastardrüben Samen bilden und eine dauerhaft keimende Samenbank für Unkrautrüben etablieren.

Der Rübenkörper besteht aus der Rübe mit Wurzel, Hypo­kotyl und unterem Abschnitt der gestauchten Sprossachse mit abgestorbenen Blattansätzen sowie dem Kopf als oberem Abschnitt der gestauchten Sprossachse mit lebenden Blattansätzen, der potentiell regenerations­fähig ist. Während der Ernte wird der Kopf maschinell von der Rübe entfernt, wobei nicht bei jeder Rübe ein opti­maler Köpfschnitt zu realisieren ist. Verluste an kleinen Rüben oder nicht optimal, sondern zu tief geköpften regenerationsfähigen Köpfen können durch angepasste Fahrgeschwindigkeit und optimale Einstellung des Roders verringert werden. Trotzdem verbleibt ein gewisser Anteil mehr oder weniger regenerationsfähiger Köpfe oder kleiner Rüben im Feld, die bei anschließender Aussaat der Folgefrucht entweder durch Grubbern oder Pflügen vergraben werden oder bei Mulchsaat auf der Bodenoberfläche verbleiben und eine gute Futtergrundlage für Wildschweine, Wildgänse u.a. sind. Den Winter überstehende, kleine Rüben oder sonstige Rübenteile können durch agrono­mische Maßnahmen in der Folgefrucht aber sicher beseitigt werden. Auch während der Vegetationsperiode ist Fraß durch Wildtiere möglich, wobei jedoch in aller Regel die regenerationsfähige gestauchte obere Sprossachse bevorzugt gefressen wird. Die Rüben werden entweder sofort nach der Ernte oder nach Einlagerung in eine Miete am Feldrand verladen und in die Zuckerfabrik transportiert. Dabei kann durch sachgemäßes Verladen, eine Sicherung des Transportgutes und eine ordnungsgemäße Rückführung von verlorenen Rüben und Rübenteilen während der Verladung die Ausbreitung potentiell regenerations­fähigen Pflanzenmaterials wirksam verhindert werden.

In der Zuckerfabrik werden die Rüben frisch oder nach Zwischenlager gewaschen und bei hohen Temperaturen extrahiert. Abgereinigte Blattreste und kleine Rübenteile sind nicht mehr regenerationsfähig und werden entweder mit Pressschnitzeln verkauft oder in Biogasanlagen der Zuckerfabrik fermentiert. Abgewaschene Rübenerde wird etwa drei Jahre gelagert und in den Stoffkreislauf zurückgeführt. Die Zuckerfabrik stellt somit ein „geschlossenes System‟ dar, in dem sämtliche regenerationsfähigen Pflanzenteile degeneriert, daraus gewonnene Produkte verkauft und Reststoffe in den Stoffkreislauf zurück­geführt werden. Neben der Zuckerproduktion dienen Zucker- und Futterrüben als Ausgangsstoffe zur Fermentation in Biogasanlagen landwirtschaftlicher Betriebe und werden dort rückstandslos umgesetzt.

 

 

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Veröffentlicht

2011-11-01